James Surowiecki hat mit seinem Buch „The Wisdom of the Crowds“ für einigen Wirbel in der Web-2.0-Welt gesorgt. Für die einen sind seine Ideen der Inbegriff von kollektiver Zusammenarbeit, für die anderen die Herrschaft des Pöbels. Doch worum handelt es sich dabei?
Was ist Wisdom of the Crowds?
Schon im 19. Jahrhundert hat der britische Wissenschaftler Francis Galton, der eigentlich die Dummheit der Masse beweisen wollte, herausgefunden, dass die Antworten mehrerer Individuen zusammengenommen im Schnitt richtig sind. Damals noch bezogen auf das Gewicht eines geschlachteten Ochsen, kam James Surowiecki in seinem Buch von 2004 zu einer anderen Hypothese: Viele zusammengenommen sind einfach schlauer als einzelne Meinungen.
Jason Kottke hat in einem Beitrag über Wisdom of the Crowds anschaulich Surowieckis Ideen zusammengefasst. Damit die Masse wirklich als weise bezeichnet werden kann, müssen einige Voraussetzungen gegeben sein:
- Diversität: Gruppen mit verschiedenen Meinungen treffen im Schnitt weisere Entscheidungen.
- Unabhängigkeit: Die Meinungen der einzelnen Mitglieder dürfen nicht gegenseitig beeinflusst sein.
- Dezentralisierung: Macht darf nicht an einer zentralen Stelle oder gar in einer Person gebündelt sein.
- Aggregation: Das ist die kniffligste Voraussetzung. Wie kommt man von mehreren Einzelmeinungen zu einer ausgewogenen Gesamtmeinung? Im Idealfall solle es einen unabhängigen Beobachter geben, der darin geschult wurde, unterschiedliche Meinungen zu integrieren.
Wisdom of the Crowds trifft also genau den Zahn der Web-2.0-Zeit: Zusammenarbeit statt elitärem Top-Down-Denken. Wikipedia ist ein schönes Beispiel für diese Zusammenarbeit.
Unterscheidung zu Crowdsourcing
Crowdsourcing ist eine Anwendung des Prinzips von Wisdom of the Crowd. Entwickelt von Jeff Howe im Wired-Artikel „The Rise of Crowdsourcing„, bezeichnet es eine neue Tendenz in der Wirtschaft: Firmen setzen auf die kollektive Kraft der Massen, um Lösungen zu finden. Das können Antworten auf Forschungsfragen ebenso sein wie neue Marketingkonzepte oder die Suche nach neuen Produktideen. Doch wie Matthias Schwenk in einem Blogeintrag zum Crowdsourcing richtigstellt, muss die Lösung nicht immer eine ausgewogene Mischung der Ideen vieler sein: oft genug ist es dann doch wieder der geniale Einfall eines Einzelnen.
Josh Catone gibt in einem Beitrag für das Read Write Web neben vielen Beispielen einige hilfreiche Einschränkungen, damit Crowdsourcing funktioniert:
- Crowds sollten innerhalb definierter Grenzen arbeiten.
- Manche Entscheidungen eignen sich nicht für demokratische Abstimmungen und Wisdom of the Crowds.
- Individualität und Meinungsvielfalt sollte gefördert werden.
- Crowds sind gut darin, Produkte zu bewerten. Die Entwicklung eines Projektes sieht Catone eher in den Händen von Mitarbeitern.
Praxis: Wisdom of the Crowds bei digg
digg ist wohl der bekannteste Vertreter des Wisdom of the Crowds-Prinzips: Nutzer bewerten Beiträge danach, ob sie sie nützlich finden. Beliebte Beiträge lassen sich dann leichter finden und können von anderen Nutzern gelesen werden. Josh Catone und Muhammad Saleem weisen aber auf ein Problem hin: Menschen richten sich nach dem, was andere Menschen machen – und reproduzieren so auch deren Fehler. So könnten uninteressante Beiträge als interessante Beiträge erscheinen.
Diskussion und Kritik
Der Titel von Kathy Sierras Beitrag sagt schon, was sie anmerken möchte: „The Dumbness of Crowds„. Gruppen führen zu angepassteren, langweiligeren Ergebnissen. Oder zu Chaos. Viele Kundenmeinungen zu einem Buch geben gut die durchschnittliche Meinung wieder. Das bedeute aber nicht, dass ein Buch auch gut wird, wenn es von vielen Individuen gleichzeitig geschrieben wird. Wisdom of the Crowds bietet sich in dieser Lesart für einige Bereiche hervorragend an – für andere aber überhaupt nicht.
Philipp Winn geht in seinem Beitrag für das blogcritics magazine sogar noch weiter. Wenn die Hälfte der Nutzer einem Buch einen Stern gibt und die andere Hälfte fünf – ist es dann ein 3-Sterne-Buch? Oder ist es einfach nur ein Buch, das für manche Nutzer extrem wertvoll ist, für andere aber überhaupt nicht? Seine Ansicht: das Problem von social-news-Seiten wie digg liegt darin, dass zu viel Wert gelegt wird auf das „social“, aber zu wenig auf die „news“.
Was sagt die Wissenschaft?
Auch die Wissenschaft beschäftigt sich umfassend mit dem Thema „Wisdom of the Crowds“. So etwa Eric von Hippel, der in einem frei verfügbaren Buch die Möglichkeiten einer Demokratisierung von Innovation untersucht. Oder Thomas W. Malone und Mark Klein, die sich in einem PDF-Artikel fragen, wie man mit Wisdom of the Crowds die Klimaprobleme lösen könnte.
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Schlagwörter: Crowdsourcing, digg, Social Media, Wisdom-of-the-Crowds
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