Interview: Das Slow Media Manifest

Slow Media

Vor wenigen Tagen hat der Münchener Soziologe Benedikt Köhler gemeinsam mit zwei Mitstreitern, Jörg Blumtritt und Sabria David ein slow-media-Manifest veröffentlicht. Slow Media, das ist ungefähr so etwas wie Slow Food für Essen: In Gegenbewegung zur überschnellen Verfügbarkeit soll ein besinnlicher Gang zurückgeschaltet werden. So richtig selbsterklärend ist das allerdings nicht. Darum haben die Blogpiloten einfach mal bei den Autoren nachgefragt.



1. Warum brauchen wir ein slow media-Manifest?


Benedikt Köhler: Unbedingt brauchen wir ein Slow-Media-Manifest. Die endlosen Debatten über Qualitätsjournalismus, Print-vs-Online oder Content-ist-König haben unserer Meinung nach nicht die richtigen Fragen gestellt. Wir glauben daran, dass das Konzept „Slow“ die geeignetere Sonde ist, um ergiebige Diskussionen darüber anzustoßen, was im Netzwerkzeitalter inspirierende Medien auszeichnet. Medien, für die Nutzer auch bereit sind, Geld auszugeben.


2. An wen richtet sich das Manifest – und was soll damit passieren?



Jörg Blumtritt: Das Manifest richtet sich an alle, die Interesse an der aktuellen Debatte über Qualität von Medieninhalten haben. Es ist für uns Ausgangspunkt einer Diskussion. Diese Diskussion hat unmittelbar nach Veröffentlichung mit einiger Heftigkeit begonnen.


3. Vielleicht sollten wir erst einmal klären: Was genau versteht ihr unter slow media? Wollt ihr Newsportale entschleunigen oder ist das ein Plädoyer fürs Bücherlesen?


JB: Nachrichten müssen schnell sein. Dafür gibt es Twitter, Google News, Techcrunch. Die sollen bitte so schnell wie möglich bleiben. Was Slow Media sind, versuchen wir anhand von Beispielen zu entwickeln, die wir auf slow-media.net posten.

BK: Genau, uns geht es in dem Manifest nicht darum, alles Schnelle zu verdammen und dafür zu plädieren, das die Menschen wieder auf Marmortafeln meißeln sollen. Ganz im Gegenteil! Es gibt Bedarf für schnelle Medien und nachhaltige Slow Media. Da in den letzten Jahren die Diskussion ziemlich einseitig in Richtung Geschwindigkeit gegangen ist – der aktuelle Modebegriff „Echtzeit“ zeigt dies deutlich -, versuchen wir als Ausgleich die andere Seite wieder zu Wort kommen zu lassen.

SD: Dem Begriff „Slow Media“ nähern wir uns von zwei Seiten: zum einen theoretisch – mit dem Manifest – und zum anderen praktisch in Form von konkreten Beispielen auf unserem Blog. Unsere Leser können sich an diesem Prozess beteiligen und Medien vorschlagen, die sie selbst inspirierend finden. Das ist ja kein statischer Begriff, sondern einer, der zu entwickeln ist. Unseren Vorschlag dazu haben wir gemacht.


4. Gibt es im deutschen Onlinemarkt ein Beispiel für Slow Media?


JB: ‚telepolis‘ von Heise, das ‚Projekt Gutenberg‘, aber auch eine Reiche von Projekten, die sich nur am Rande dem Markt zuordnen lassen. Ein wunderbar slowes Medium finde ich z. B. die Datenbank geodaten.bayern.de – ein wahrer Schatz, wie man ihn kaum in den größten Bibliotheken finden wird.


BK: Wir haben das Blog http://slow-media.net eingerichtet, um Positivbeispiele dieser Art zu sammeln und vorzustellen – ganz gleich, ob gedruckt, gesendet, gepresst, gemalt oder online. Qualität und Slowness sind für uns Konzepte, die nicht eine bestimmte Mediengattung für sich beanspruchen kann.


5. Wie langsam müssen slow media sein? Warum sollten wir jetzt, wo wir in einem irren Tempo Informationen austauschen können, plötzlich wieder auf die Bremse treten? Bringen wir uns damit nicht um einen immensen Vorteil?


SD: Schneller als Echtzeit geht nicht. Im Moment kommen Informationen nahezu in dem Moment, in dem sie entstehen, schon zu uns. Das hat es so bisher noch nicht gegeben. Der Fokus auf „immer schneller“ hat sich damit zwangsläufig überholt. Die entscheidende Frage ist doch: Was machen wir jetzt damit? „Slow“ meint ja nicht notwendig „langsam“, sondern eher bewußt, aufmerksam, konzentriert (anlog zu Slow Food, wo es auch nicht um das langsame Gemüseschneiden geht). In dem Sinne treten wir nicht auf die Bremse, sondern wechseln die Kategorie. Einen bewussten Umgang mit den schnellen Informationen vermisse ich oft (s. Punkt Quellenkritik im Manifest). Die zunehmende Schnelligkeit verlangt ja von uns allen auch eine zunehmende (Medien)Kompetenz, weil man immer mehr selber filtern muss. Wenn falsche Informationen sich im Netz rasend schnell verbreiten, dann reichen eben zehn gleichlautende Quellen zur Gewichtung nicht aus. Da müssen wir neue Bewertungs- und Kulturtechniken entwickeln.


BK: Dem stimme ich voll zu. Wir haben Push-Technologien, die es ermöglichen, mediale Inhalte in Echtzeit zu verbreiten. Schneller geht es einfach nicht, deshalb ist die Frage: „Wie können wir XYZ weiter beschleunigen?“ irrelevant geworden. Stattdessen geht es nun darum, sich über die positiven wie negativen Folgen der Beschleunigung Gedanken zu machen. Der Kommunikationsphilosoph Vilém Flusser unterscheidet sehr plausibel zwischen erfinden und entdecken. Wir haben in den letzten Jahrzehnten sehr viele neue Technologien und Medienkanäle erfunden, jetzt sind wir gefordert, gute Verwendungen und Nutzungsweisen dafür zu entdecken.


6. Es scheint Euch ja konkret etwas gestört zu haben im medialen Alltag. Hattet ihr einen Informationskoller so wie Frank Schirrmacher ihn in „Payback“ beschreibt? Oder wart ihr einfach gestresst davon, immer und überall via Twitter und Co sendefähig zu sein?


JB: Die Verfügbarkeit von Inhalten, wie wir das täglich neu bei Wikipedia erleben dürfen, ebenso wie die vollkommene Zwanglosigkeit bei Kommunikation für die Twitter steht, ist etwas wundervolles, dass keiner von uns missen möchte.
Was uns stört ist, dass die Debatte meist einseitig geführt wird, in Richtung gute/schlechte Medien(kanäle). Auf der einen Seite die „Zweck-Arroganz“, mit der viele Journalisten und Publisher vom „Qualitätsjournalismus“ reden, der als Staatsziel sogar ins Grundgesetz festgeschrieben werden soll, auf der anderen Seite der Reflex „alles Digitale ist immer besser“, mit dem die Internet-Apologeten häufig darauf antworten.
In beide Richtungen sei gesagt: „es gibt sie noch, die guten Medien“ – und zwar sehr wohl Online aber eben auch gedruckt, gesungen oder gespielt.


SD: Die Entdeckung von Twitter und des Bloggens ist für mich ein wirkliche Bereicherung gewesen. Es hat dazu geführt, dass ich manche Dinge mehr mache (Bücher lesen, mich mit Thesen auseinandersetzen, mit Menschen in Kontakt treten) und andere weniger (Fernsehen). Von Überdruss also keine Spur, meine Aufmerksamkeit verlagert sich halt.


7. Das Konzept slow media haben Sie aus den USA importiert. Gibt es dort schon Ansätze? Und was ist der Unterschied zur medialen Landschaft in den USA?


JB: Slow Media ist als Konzept genau gleichzeitig und unabhängig voneinander in den USA und in Deutschland geboren worden. Die Zeit war wohl einfach reif dafür. Im Unterschied zu Deutschland, besteht für Online Angebote in den USA, allein aufgrund der Größe des Marktes, eher die Chance, genügend Publikum und damit Werbeeinnahmen zu erlangen. Auf der anderen Seite ist die Start-Up-Kultur in den USA viel ausgeprägter. Das führt zum einen zu viel mehr Angeboten, die mit hoher Ambition präsentiert werden, zum anderen aber zum Teil zu sehr kurzfristigem Optimieren im Hinblick auf die nächste Finanzierungsrunde, und weniger zu einer überlegten Wahl eines längerfristigen Entwicklungspfades.


8. Mehr Langsamkeit zugunsten von Qualität zu fordern ist ja schön und gut. Das Problem, das viele Medienhäuser aber haben, ist, dass sie online kein Geld verdienen und aus diesem Grund auf schnellen, agenturgetriebenen Journalismus setzen. Oder seht ihr das anders?


JB: Es gibt Beispiele für sehr gute Online-Inhalte, die den Print-Inhalten der Medienhäuser nicht nachstehen. Das ‚Wired Magazin‘ hat nicht nur seinen gesamten Print-Inhalt auf wired.com stehen, sondern täglich weitere Artikel, die nicht im Heft stehen. Hat nicht jede Redaktion zahllose Beiträge, die es nicht in den begrenzten Platz des Hefts schaffen?
Von einer Nachrichtenseite erwarte ich allerdings schnelle Meldungen. Nachrichten sind einfach nicht ‚Slow‘.


SD: Die Veränderungen im Anzeigenmarkt haben vielleicht auch eine gute Seite. Immerhin entfällt damit für manche Medien die Notwendigkeit, ein anzeigenfreundliches redaktionelles Umfeld zu schaffen. Vielleicht tun sich da ja noch ganz neue Fenster auf, auch für neue Finanzierungswege.


9. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass am Bildschirm weniger aufmerksam und gründlich gelesen wird als auf Papier. Wollt ihr trotzdem, dass slow media den Fokus auf lange, gut ausrecherchierte Stücke legt?


JB: Slow Media zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Medienkanal optimal nutzen und die Nutzungssituation anerkennen. Einen Roman lesen die wenigsten auf ihrem Laptop.


BK: Die Länge ist nicht das entscheidende Kriterium. Viel wichtiger ist uns die Inspiration – und zwar sowohl im Produktionsprozess als auch der Rezeption. Slow Media sind Medien, die inspiriert geschaffen wurden und den Nutzer inspirieren. Das Telefonbuch ist zwar lang und gut ausrecherchiert, dennoch würden wir es nicht unter den Begriff Slow Media fassen.


10. Was meint ihr: Wie sieht die mediale Zukunft in zehn Jahren aus?


JB: In zehn Jahren gibt es nur noch digitale Inhalte, die mobil empfangen werden – bis auf einige Luxus-Reservate. Alle Inhalte werden völlig widerstandslos miteinander collagiert werden können.


SD: Ich bin total gespannt, wie die Medienwelt in 10 Jahren aussehen wird. Fest steht, dass wir uns mitten in einem tiefgreifenden Wandel befinden, den ja McLuhan schon in den 60er Jahren vorhergesehen hat. Es gibt ein sehr schönes Video auf youtube, in dem er ganz milde in die Kamera sagt: „To live right on the shooting line, right on the frontier of change is terrifying“. Da ist viel Wahres dran. Und zugleich ist es spannend zu sehen, wie sich die Schriftlichkeit unter dem Einfluss der neuen webgetriebenen Mündlichkeit weiterentwickelt.


11. Und wie würdet ihr sie euch wünschen?


JB: Genau so.


SD: Ich glaube an das Gute, auch hier. Hinsehen, verstehen, die Veränderungen zum Guten nutzen – das wäre mein Wunschbild.


BK: Ich hoffe darauf, dass Medien wie Twitter, Blogs und Social Networks sich endgültig von nationalstaatlichen und sprachlichen Grenzen emanzipieren. Die soziologische Forschung über die Blogosphäre hat immer wieder gezeigt, wie wenig zum Beispiel die deutschen und italienischen oder französischen Blogger miteinander in Austausch treten, von den vielen Bloggern in Rumänien oder Iran ganz zu schweigen.



Bildnachweis: sioda

(www.laaff.net) lebt und arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie ist stellvertretende Ressortleiterin bei taz.de, schreibt für überregionale Zeitungen, Onlinemagazine und produziert Radiobeiträge. Sie betreut zudem das taz-Datenschutzblog CTRL.


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