Wer den Begriff „social media“ schon mal gehört hat, der wird ein ähnliches Gefühl dabei entwickelt haben wie bei „proaktiv“, „außerhäusig“ oder „zeitnah“. Man hat den Eindruck, dass alle es benutzen, aber im Grunde führen diese Begriffe keine neuen Bedeutungen in die Sprache ein. Man empfindet dahinter keine Innovation wie etwa hinter „Regensensor“, „Navi“ oder gar „Euro“. Die Gründe für das leichte Unbehagen mit solchen Modewörtern ohne erkennbaren Sinnzugewinn liegen tiefer. Die Artikel, die sich über Social Media Berater lustig machen sind mittlerweile Legion und enthüllen eigentlich nicht mehr als das Loch, dass die Leere der Massenmedien in postmodernen Zeiten hinterlassen haben.
War früher noch das Fernsehen als elektrische Oma für Hausfrau, Kind und Hund zu gebrauchen und das Radio ständiger Begleiter auf den täglichen Arbeitswegen, ist seit dem Einzug des Internet alles anders. Saß früher der „King of Remote“ noch zwischen Chips, Bier und pupsendem Hund vor der Glotze und konnte jederzeit herannahende spannende Fernsehabende mit einem Klick zunichte machen, ist der Mensch vor seiner Tastatur Herrscher über 6712 Kanäle und 8723 Zeitungen im Web. Und was noch besser ist: Die postmoderne Fernbedienung namens Tastatur hat nicht nur Programmtasten und eine Lautstärkewahl. Sie hat Schraubenzieher, Zange und Säge für den Heimwerker in Dir und Mir.
Und so heimwerken wir uns unsere eigenen Zeitungen, Comics, Talkshows, Testmagazine, Strickseiten und Ratgebermagazine für gelungenes Kerzenziehen, vollendetes Weinöffnen oder die aufrechte Katzenpflege.
Als die Internetblase vor 10 Jahren zum ersten Mal platzte, hatten alle Unkenrufer gegen das digitale Brimborium plötzlich eine Figur wie der Terminator persönlich. Sie hatten recht, das Webdings war Blödsinn. Das war herrlich für diejenigen, die gemerkt hatten, dass man sich im Web ungezwungen eine eigene Welt mit eigenen globalen Freunden und Bewunderern zusammenbauen konnte, ohne dafür Unsummen auszugeben oder sich fragwürdige Marotten wie ein Guru anzueignen.
Diese normalen Menschen mit einem Tick messianischem Sendungsbewußtsein entwickelten die kruden Werkzeuge der Softwarewelt zu halbwegs bedienbaren nutzerfreundlichen Publikations- und Diskussionsplattformen. Themen gab und gibt es genug, wenn die Sprache weit verbreitet ist. Und so findet sich zu allerlei Krimskrams, der Menschen interessieren könnte, immer auch eine Website, ein Beitrag oder ein Diskussionsstrang in einem Online-Forum.
Damit spiegelt diese Buchstabenflut im Grunde das große Spektrum all der Diskussionen und Meinungen, die Menschen haben, die lesen und schreiben können und einen Zugang zum Web haben. Das ist aber nicht unbedingt die Mehrheit der Menschheit.
Was aber ist das Besondere an social media? Im Prinzip wendet sich ein Massenmedium von einer Institution an viele Zuhörer oder Zuschauer. Das Verhältnis ist also eins zu Vielen, was im formalen Jargon als 1:n beschrieben wird. Wenn diese Medien interaktiv sind mit dem berühmten TED aus dem ZDF, dann gibt es ein n:1 Verhältnis. Ein Gespräch zwischen Nachbarn wäre dann logischerweise 1:1. Im Bereich social media nun wird in einem geflügelten Wort der Konsument (Zuschauer) gleichzeitig immer auch per Kommentar oder eigenem Blog oder via Youtube-Video auch zum Produzenten und Sender einer Botschaft (n:n).
In der Theorie klingt das ganz einleuchtend. Aber Medien senden ja nicht einfach mal eine Sendung nach Belieben. Sie haben einen Sendeplan, ein Programm, viele Sendeplätze. Die Zuschauer haben sich daran gewöhnt, dass es um 20 Uhr die Tagesschau gibt. Und bei social media?
Ja, und genau hier beginnt die Arbeit der vielgeschmähten social-media-Berater: Denn wer mal ein Blog anfängt und nach änfänglicher Durststrecke merkt, dass ihm oder ihr Leser folgen, der bekommt nach ein paar Monaten eine Sinnkrise. Warum tue ich das? Stundenlang sitze ich vor dem Rechner, um für nichts und wieder nichts Texte ins Nichts zu senden.
Wenn Firmen ihre Kommunikation mit den Kunden umstellen wollen, dann müssen sie aufhören, Rundfunksender (1:n) zu spielen. Sie sollten sich darauf einlassen, dass in einer Firma viele Meinungen zu einem Thema herrschen. Das muss erstmal intern gelernt werden. Da sind Akzeptanz und eine gewisse Streitkultur nur die einfachste Übung. Denn n:n bedeutet auch, dass niedere Elemente in einer Hierarchie plötzlich eine klare und anerkannte Meinung sehr präzise formulieren vor den Augen aller. Im Umkehrschluß kann es passieren, dass ein gewichtiges Mitglied der Geschäftsleitung eine ähnliche Glanzleistung hinlegt wie unser neuer Europa-Kommissar Oettinger neulich im besten Kinderenglisch – und das schriftlich dokumentiert vor aller Augen und Ohren!
Man begegnet in den Firmen etwas, dass man Transparenz und Öffentlichkeit nennt. Die ganz Mutigen wagen diesen Schritt sogar nach außen. Wer jahrelang nur mittels Gehorsam und Geduld seine Karriere aufbaute, wird geschockt sein. Der geneigte Leser wird mir glauben, dass man sehr viel therapeutisches Feingefühl braucht, um die Herren und Damen aus dem Himmel der Hierarchie, in die sich viele unsichere Persönlichkeiten gerettet haben, auf den Boden eines offenen Dialogs zu holen. Software und Webanwendungen sind bei dieser Aufgabe das allerletzte Glied einer Kette, die man mit Neuorganisationen nur sehr vage angedeutet hat. Das Anwenden von Plattformen in denen jeder die belanglosesten Dinge des Alltags seinen Freunden mitteilt, ist ein mutiges Unternehmen. Oft sind Firmen in mehr oder weniger privaten Räumen der Freundschaft wie bei facebook oder twitter alles andere als willkommen. Es jeden Tag Hunderte Gelegenheiten, sich peinlichst die Kommunikationsfinger zu verbrennen und alle machen reichlich Gebrauch davon – ob mit oder ohne Berater. Nur wer Persönlichkeit und eine Stimme hat, kann gewinnen oder verlieren, alle anderen verschmelzen im Rauschen der Kakophonie.
Andrew Keen schreibt in seinem Buch „Cult of the Amateur:
„Out of this anarchy, it suddenly became clear that what was governing the infinite monkeys now inputting away on the Internet was the law of digital Darwinism, the survival of the loudest and most opinionated. Under these rules, the only way to intellectually prevail is by infinite filibustering.“
Und hier hat Keen unbewußt das auf social media bezogen, was schon lange im Elfenbeinturm der Akademiker gang und gäbe ist, das ewige Publizieren endloser Tiraden und Studien sowie Bewertungen und Metabetrachtungen. Man kann also zusammenfassen, der citation index war früher Vorrecht der C4-Professuren und nun ist der whuffie-index oder die Anzahl der verlinkten Blogbeiträge das Zeichen für Relevanz einer Meinung. Im Grunde ist es daher schon verständlich, dass die ehemalige Deutungshoheit der ehemaligen Meinungsführer keinen Gefallen an der Entwicklung findet: Denn der Kuchen der Aufmerksamkeit ist begrenzt – aber der willkürlichen Aneinanderreihung von Buchstaben sind keine Grenzen gesetzt als das große Universum der möglichen Verbindungen von 26 Symbolen…
Und um das Ganze abzurunden zu einem realistischen Bild, gibt es hier noch zwei Links, wie das Ende des Social Dingsbums eingeleitet wurde, einmal bei den adbusters und natürlich für alle, die es nicht kennen, den virtuellen Selbstmord.
Bildnachweis: msquanna
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18 comments
Ich finde den Bericht sehr umständlich :-( Wenn ich in einem Satz zusammenfassen müssten, was Social Media ist, würde ich sagen:
Plattformen, die Gespräche zwischen Menschen ermöglichen.
Wenn man sich die Blogs in prä- oder nicht-demokratischen Ländern ansieht und die Potenz, die von globalvoices, ushahidi und die vielen kleinen und großen Blogs und Communities, die direkte politische Einflußnahme ermöglichen oder kulturelle Barrieren überwinden, dann geht es schon noch um ein bißchen mehr als Gespräche. Aber das kommt leider in den satten europäischen Ländern kaum an.
@wittkewitz
Gespräche sehe ich als Überbegriff für den Austausch von Daten und Informationen – auch zum Zweck der politischen und kulturellen Einflussnahme
Angesichts all der Lobhudelei und Schmähkritik gegenüber Social Media (Beratern) fand ich es einfach angemessen hier ein Nachdenken darüber anzuregen, was es mit und zwischen den Menschen so auf sich hat im Gegensatz zu Paradigmen aus dem 19. und 20. Jahrhundert wie strategische Planung, Hierarchie und Massenmedien…und zwar ohne Rückgriff auf die Metadiskussionen in der Wissenschaft aber mit Verweis auf einige dort diskutierte Themen…
Das Bild „long road ahead“ für Social Media ist gar nicht schlecht :-) – wir müssen nur aufpassen, dass die Straße nicht ins Nirgendwo führt…
Der Begriff „Social Media“ ist verbrannt, weil jeder etwas anderes darunter versteht; mal ist es eine Technologie, dann eine Kultur, dann ein Dialog, dann geht es auch ohne Dialog, …
Naja, es ist wohl war, dass es weitgehend sinnlos ist, eine Publikationsform im Netz mit dem Bestimmungswort SOCIAL zu etikettieren. Der Wandel hinter der Trennung von Medium und Inhalt, den manche Verlage, einige Sender und viele Werbeformen erleben ist jedoch aus meiner Sicht noch immer ein Potenzial, das noch für viele Schätze gut ist…
Das Bild hatte ich eigentlich anders gedacht:
Kuh als Contenlieferant.
Bauer als Werkmittler.
That´s social media: http://www.youtube.com/watch?v=MpIOClX1jPE
@ Pachulke
Schon klar, dass commoncraft, das schöner macht. Aber manche Ewiggestrige lesen auch noch ganz gern und interessieren sich für den Kram im internen Gebrauch, denn da wird Social Media über kurz oder lange enormen Einfluss auf die Bürowelt ausüben – und tut es schon jetzt sehr…
Ich vermute, dass das Unbehagen nicht in erster Linie auf den Begriff „social media“ abziehlt, sondern vielmehr auf die selbsterklärten Experten, die damit an allen Ecken und Enden des Netzes auftauchen und inhaltliche Diskussionen durch erhöhtes Sendebewusstsein ersetzen. Böse gesagt. Zumindest bei mir ist das so.
Natürlich ist nicht jeder, der sein Geld mit Unternehmensberatung verdient, automatisch ein Scharlatan, aber die Beraterkultur selbst bringt schon ein unangenehm hohes Maß an Lautsprechern in eigener Sache hervor.
Und wie ich anderenorts schon schrieb – sehr vielen von denen geht ganz offensichtlich die Erfahrung mit wissenschaftlichen Diskursen zu den Themen, für die sie Expertise vortäuschen, ab. Da frage ich mich schon, wo denn die Expertise her kommen soll, wenn einfache Sachzusammenhänge nicht erkannt und andere unreflektiert herbeifabuliert werden. Die argumentatorische Trennschärfe, die du hier leistest, bekommt längst nicht jeder hin. Das sage ich als Nicht-Meinungsführer.
@erz
Da magst Du recht haben. Die Beratersezene rund um social media ist sicher für einige ein rotes Tuch sowie die sogenannte Coaching-Szene für mich ein rotes Tuch ist. Wahrscheinlich ist es wirklich so, das nicht wenige mit zwei bis drei Händen voll slides übers Land ziehen und in betont authentischen Vorträgen und mit einen Wiki und Blog das Blaue vom Himmel herbeiwünschen. Aber ich denke auch, dass viele Firmen durch die ewigen Trend-Berater ein wenig imprägniert sind gegen derlei Bohei. Und wer es nicht ist, wird es spätestens bei diversen Panels auf diversen Messen werden. Da machen sich nicht wenige gestandene Autoren und andere Theoretiker gar nicht so selten zum Horst nach ein paar tiefergründigen Fragen oder Bemerkungen aus dem Publikum oder von verschmitzten Gesprächspartnern…
Die Firmen sind ja meine geringste Sorge – und die „Coaches“ und social-media-Berater stecke ich häufig in den gleichen Sack. Die gleichen Buzzwords, die gleiche Ubiquität, da weiß ich manchmal nicht, wo der Unterschied zwischen social-media und NLP sein soll. Zu viele snake oil salesmen sind unterwegs und spammen meine Kanäle mit belanglosem Geplärre zu.
Ich will nicht ständig bessere Filter entwickeln müssen, ich will verdammt noch mal nicht die Perlen im Dreck der Eigenwerbung suchen müssen. Und nicht zuletzt bin ich selbst Gefangener des Systems, wenn ich meinen Inhalten (und denen meiner Mitautoren) Verbreitung verschaffen möchte. Dann muss ich auch noch in die Kakophonie einstimmen, das kann es doch nicht sein.
Auf der oben genannten URL gibt es einen Social Media Kurs, bei dem die User die Möglichkeit haben ihre Fragen quasi interaktiv einzubringen … Nur, falls ernsthaft Interesse an dem Thema besteht