Gestern gab es in der FAZ einen Text „Was soll nur aus unseren Gehirnen werden?“, der die Schirrmachersche These vom schädlichen Buchdruck, Radio, Fernsehen, Walkman, Internet bestätigen wollte. Ein Neurobiologe der TU Braunschweig namens Martin Korte sollte es richten. Wir erinnern uns: War die Leitwissenschaft in den Siebzigern die Physik, kam in den Achtzigern mit dem Siegeszug der Biologie auch die Psychologie zum Zuge. Sie wollte sich schnell eingliedern in die Reihe der harten Faktenwissenschaften, die aus dem Positivismus hervorgegangen sind. Doch in den Neunzigern wurde klar, dass keiner an der Mathematik und ihren Trivialformen wie Rechnungswesen oder Informatik vorbeikommen konnte. Die Psychologie wurde immer mehr zur Hilfswissenschaft der Neurowissenschaftler aus der Medizin und der Biologie und die Physik bekam grundlegende Probleme über ihren eigentlichen Untersuchungsgegenstand, der sich zunehmend aus der Welt des Messbaren entfernte. Umso angestrengter versuchte man in den Neurowissenschaften mithilfe bildgebender Verfahren das Loch der Messbarkeit von Intelligenz, Wissen oder Lernen durch physiologische Vorgänge in den Bereich des Faktischen als Beweismittel zu erheben. Die dort angewandten Deutungsmethoden der Bildchen bleiben intransparent. Korrelationen zwischen Gedankentätigkeiten und beobachtbaren Stoffwechselvorgängen werden über Nacht in den Stand der Kausalität erhoben.
Da verwundert es nicht, wenn so ein Deutungspriester uns das Neueste über das Monster „Multitasking“ nahezubringen versucht. Er muss kognitive Dissonanzen (Unterschiede zwischen Überzeugung und Alltag) abbauen und das kann man am besten via Medien. Die Psychologisierung des Alltags erlebt fröhliche Urständ auf der Basis von Schädelbildern in Echtzeit. Begeben wir uns in die Text-Exegese:
Zweifeln hilft beim Lernen, beim Philosophieren, und auch naturwissenschaftlicher Fortschritt wäre ohne ihn kaum denkbar. Darüber hinaus lässt uns diese Geistestätigkeit langsamer altern, da man Entscheidungen bewusster treffen muss, wenn man über den Zweifel den Autopiloten des Handelns und routinierten Denkens verlässt. Bedingt durch den Umstand, dass das Gehirn an seinen Aufgaben wächst und nicht etwa durch eine Schonhaltung gestärkt wird, ist Zweifeln kognitiv lohnend, eine Geistestätigkeit, die uns nicht verlorengehen sollte.
Der erste Satz ist eine Verballhornung von Descartes* methodischem Zweifel. Der Satz über den Alterungsprozess ist in keiner Weise validierbar. Auf dieses Niveau gehe ich nicht weiter ein. Was routiniertes Denken und Autopilot des Handelns bedeuten mag, läßt sich schwer erahnen. Offenbar ist dem Autor Martin Korte bewußt, dass Routinen in der Verarbeitung von Reizen zu einen Verlust von Negentropie führt. Denn Ordnung der Gedanken entsteht durch Offenheit für das täglich Neue im Leben. Das kann jeder Meditationsforscher bestätigen. Routine im Denken ist im Gegenteil das Abprüfen auf bereits Gewußtes, wodurch sehr viel Differenz verloren geht.
Jeder Gestaltheoretiker oder die triviale Form namens Systemtheorie wird das ebenfalls bestätigen. Der Autopilot des Handeln bezieht sich offenbar auf die Tatsache, dass die mentale Instanz in uns, die das Selbstmodell entwirft mitnichten identisch ist mit der Person. Dieser Instanz jedoch mit Begriff Autopilot eine Autonomie abzusprechen bzw. eine Fremdsteuerung zuzudichten basiert auf einem Kategorienfehler in der Deutung der neuobiologischen Befunde. Nicht das Selbst oder das Subjekt ist das Zentrum eines Menschen, sondern die Instanz, die zum Zweck der Informationsverarbeitung ein konsistentes Modell des Selbts aufbaut. Dies geschieht bereits im Mutterleib und in den ersten Stunden nach der Geburt anhand der Zuwendung bzw. Vermeidung der Mutter durch Stimulusintensität (T.C. Schneirla 1959). Das Gehirn wächst nicht an seinen Aufgaben. Es verbreitert die Basis der Informationsverarbeitung mit zunehmender Differenz der Stimuli. Aufgaben gibt es nicht auf der Hirnebene. Jeder aktuelle Zustand ist immer dann neu, wenn er neu bewertet wird, Das geschieht, wenn er den Brei des abgefilterten Hintergrunds aufgrund intentionaler Akte verläßt oder der Stimulus so intensiv ist, dass kein Element des Subjektmodells zur Relevanz beitragen muss, um „durchgelassen“ zu werden.
Schon allein unter diesem Gesichtspunkt scheint es gerechtfertigt, unsere Mediennutzung, insbesondere das Internetsurfen, genauer – das heißt: aus neurobiologischer und psychologischer Sicht – unter die Lupe zu nehmen. Ein Hirnforscher verfügt hierbei über eine Perspektive außerhalb der üblichen Diskussion zwischen hysterischer Technikphobie und den Überzeugungen der digital natives, die das Internet längst als Teil ihrer normalen Umwelt akzeptiert haben.
Bisher erfolgte noch keine stringente Argumentation, warum das Zweifeln mit dem Surfen im Internet gemeinsam betrachtet, verglichen oder korreliert werden muss. Der Zweifel selbst als Untersuchungsgegenstand hat noch keine Veranlassung erfahren, als Referenz hätte er wenigstens in seinem intensionalen und extensionalen Gehalt erklärt werden müssen. Die von Schirrmacher initialisierte Diskussion um den Schaden durch das Internet bewegt sich also zwischen hysterischer Phobie und grauem Alltag. Aha. Ein Glück, dass hier neutral und objektiv argumentiert wird.
Was macht das Internet mit unserem Gehirn? Wie bei allen menschlichen Tätigkeiten, die wir intensiv betreiben, verändert sich bei jeder Benutzung das Gehirn, manchmal sogar dauerhaft und oft länger, als wir dies wahrnehmen. Selbst wenn wir eingeübte Tätigkeiten lange nicht mehr ausgeführt haben, behält das Hirn eine strukturelle Erinnerung an diese Aktivitäten. Aber möglicherweise verändert die Internetnutzung weit mehr als nur unsere Gedächtnisspeicher. Das jedenfalls legen Experimente des Neurowissenschaftlers Gary Small von der University of California in Los Angeles nahe. Seine Ausgangsfrage war simpel: Gibt es sichtbare Unterschiede in der Gehirntätigkeit von internetunerfahrenen Probanden gegenüber den Aktivierungsmustern erfahrener Websurfer?
Das war in der Tat der Fall, vor allem in bestimmten Stirnlappengebieten der Großhirnrinde. Aber das war gar nicht der Clou des Experimentes: Small und seine Mitarbeiter ließen die Novizen für lediglich fünf Tage das Internet nach einem vorgegebenen Arbeitsplan benutzen. Diese kurze Zeit reicht offensichtlich aus, um die Aktivitätsmuster von Anfängern den Aktivitätsmustern erfahrener Nutzer anzugleichen. Das Hirngebiet, welches hier Anpassungsprozesse zeigt, trägt den Namen dorso-lateraler präfrontaler Cortex – es liegt im hinteren seitlichen Teil des vorderen Bereichs des Stirnlappens.
Wichtiger noch als seine Lage sind dessen Funktionen: Es wird in Verbindung gebracht mit strategischem Denken, logischen Analysen und dem Treffen von Entscheidungen. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine der Kommandozentralen des menschlichen Gehirns.
Der erste Satz deutet daraufhin, dass das Internet wie auch das Gehirn ein überschaubares und homogenes Geschehen darstellt. Beides ist in keiner Weise belegbar. Zumal es zu beidem keine für uns zugängliche Außenperspektive gibt. Das Denken kann nicht gedacht werden. Genausowenig wie man das Hören hören kann. Solche Versuche begehen einen grundlegenden formalen logischen Fehler: Sie wollen das zu Beweisende mit sich selbst begründen.
Das Web ist ein virtueller Raum. Virtualität ist das Gegenteil von physisch und nicht das Gegenteil von real. Physische Entitäten wie Raum, Zeit, Ausdehnung oder Energie greifen hier gar nicht als beschreibende Elemente. Wir benutzen das Gehirn nicht. Es entwirft eine Person, ein Subjekt, damit die Koordination mit der Umwelt konsistent ablaufen kann. Man müsste also folgerichtig sagen, dass das Hirn uns benutzt. Der Begriff der strukturellen Erinnerung ist ein Fehlgriff, der dies plastisch darstellt. Entweder erinnert man sich als Teil des aktuellen Geschehens aktiv an etwas oder außerhalb des Selbstmodells erscheint ein Reiz, der eine Erinnerung auslöst. In beiden Fällen ist der aktuelle Vorgang Auslöser der Erinnerung. Die Struktur als Modell für Zusammenhang liegt außerhalb von uns. Denn das Selbstmodell hat weder aktiven Zugriff auf die uns zufällig gegebene Kontingenz noch ist es in der Lage, Erinnerungsinhalte zu filtern und so nur Bestimmtes regenerieren. Die neuronalen Korrelate sind aktuell mitnichten kausal begründbar. Und die Frage, ob es sichtbare Unterschiede gibt, deutet wieder auf das alte Dilemma. Da man nichts empirisch nachweisen kann, müssen die physikalischen, bildgebenden Apparate herhalten, die allerdings in einer post-mechanistischen Erklärwelt deutlich bedeutungsloser wirken als die Erklärung, dass seit den verschiedenen Konstruktivismen der letzten Jahrzehnte solche Fragestellungen allein daran scheitern, dass jedes Selbst eine eigene Realität, eine eigene Wirkwelt zu jedem gegebenen Moment mit erschafft.
Es gibt demzufolge gar keine reine Information ohne subjektives Genese, die wir zu einem abstrakten kategorischen Bewertungsmuster verarbeiten könnten. Dies schafft eben nur die formale Welt der Mathematik, die hält aber in den Neurowissenschaften auch keinen begründeten Einzug, wenn man Farbmuster vergleicht. Das heißt in der Folge, um allgemeinverbindliche Aussagen über die Internetnutzung zu erhalten, müsste man handfeste organische Defekte des Gehirns mit dem Web korrelieren, um Aussagen auf organischer Basis zu tätigen. Alles andere ist schlicht das Deuten von Bildern. Das war zwar als Rorschach-Test ganz aufschlußreich. Aber aus Sicht der community of scientists ist das Publizieren solcher Deutungen sehr individuelle und hält keiner Wiederholung stand. Wir halten also fest. Das Gehirn ist plastisch und passt sich den Gegebenheit der Präsentation von Reizen an. Dazu brauchte man aber kein Internet. Man hätte dies einfach mit verschieden aufgebauten Lerninhalten per Video, Radio mit struktriertem Lernen und Egenrecherche auf der anderen Seite erreichen können. Das Setting hat in diesem Fall keine Aussagekraft außer der bekannten Weisheit, dass das Hirn sich eben gut anpassen kann. P.S. Das ganze Gehirn ist eine Kommandozentrale. Die verschiedensten Areale können verschiedene Funktionen übernehmen. Was die Durchblutung bestimmter Hirnareale über den Einfluß des Web auf den Mensch aussagen soll bleibt nebulös.
Welche Schlüsse kann man aus dem Experiment ziehen? Einerseits ist es erschreckend, wie schnell sich das Gehirn durch neue Tätigkeiten verändern lässt, auf der anderen Seite aber auch beruhigend, denn es zeigt, wie formbar und flexibel dieses vornehme Organ in unserem Kopf ist. Man könnte nun einwenden, dass das Ergebnis trivial ist: Natürlich ändern sich im Gehirn Verarbeitungswege und Aktivitätsmuster, wenn wir etwas lernen und dieses Gelernte abspeichern – wo sollte das Gelernte sonst abgespeichert werden? Bemerkenswert aus meiner Sicht ist jedoch nicht, dass man Veränderungen feststellt, sondern wo sie stattfinden. Die durch den Internetkonsum beeinflussten Areale in der Hirnrinde bestimmen nämlich unsere Art und Weise, Probleme zu lösen, Emotionen zu kontrollieren oder zu erkennen, ebenso wie unsere Konzentration und die Fähigkeit, Belohnungen aufzuschieben und langfristige Ziele zu verfolgen.
Die Bewertung, dass die enorme Plastizität des Gehirns erschreckend oder beruhigend sei, halte ich nicht für einen Schluß sondern eben für eine Deutung eines Sachverhalts unter einer gegebenen Erwartung. Man nennt dies auch Atrribution. Dadurch, dass verstärkte Durchblutung in den besagten Arealen auftritt ist in keiner Weise belegt, dass unsere Art und Weise der Problemlösung durch das Web bestimmt ist. Erhöhter Metabolismus ist in keiner Weise ein eindeutige Ursache für einen bestimmenden Effekt. Aktuell weiß man noch gar nicht, wie Informationsverarbeitung im Gehirn und Stoffwechseln zusammenhängen. Qualitative Aussagen der Kategorie „Dort im Areal ist mehr Stoffwechsel als hier, also ist das Areal bestimmend oder seine von uns zugeschrieben Aufgabe dominant“ sind reine Spekulation und halten keiner wissenschafttheoretischen Prüfung stand. Solches Ummünzen von Korrelationen zu manifesten Kausalitäten ist der Religion näher als der Wissenschaft.
Untersuchungen haben auch gezeigt, dass der Internetgebrauch unsere analytischen Fähigkeiten und unsere Leistung, mehrere Aufgaben praktisch gleichzeitig auszuführen – Multitasking – ebenso verbessert wie die Geschwindigkeit der Bildverarbeitung im Gehirn. Die schlechte Nachricht dabei ist aber, dass wir Menschen generell schlecht im Multitasking sind. Gemeint ist hier vor allem die Fähigkeit unseres Arbeitsgedächtnisses, parallel Probleme zu bearbeiten, eigene Gedankengänge zu protokollieren oder sich beispielsweise Gegenstände und Zwischensummen bei Kopfrechenaufgaben zu merken. Dieser Teil unserer Gedächtniswerkstatt hat erstaunlich geringe Kapazitäten.
Leider werden wir nie erfahren, welche Untersuchungen auf welche Art durchgeführt wurden. Aber um es mal basaler auszudrücken. Der „Internetgebrauch“ ist eine reichlich hilflose Beschreibung der Tatsache, dass wir mit einem PC lesen, Bilder und Filme ansehen und zuhören. Die Art und Weise, wie das Internet unsere Art des Lesens, des Sehens und des Zuhörens verändert, wäre in der Tat interessant. Denn ich würde gerne wissen, wie in den Achtziger Jahren eine Hausfrau vor dem Fernseher bügelte, dabei die Kinder bei den Hausaufgaben beaufsichtigte und nebenbei dem muskulösen Nachbarn beim Rasenmähen zusah, ohne ernste Probleme im Arbeitsgedächtnis zu bekommen. Im Ernst: Wir beginnen gerade, die verschienden Arten der Gedächtnisse des Menschen zu erkunden. Wir sind noch lange nicht soweit, dass wir diese Arten mit direkten Tätigkeiten aktuell und in Echtzeit korrelieren können. Ich muss außerdem zugeben, dass ich nur Computer mit einem einzigen Monitor benutze. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es den Bankern ergeht, die auf vier oder fünf Monitore achten müssen und dabei noch Devisen, Aktien und ähnliches ein- und verkaufen. Aber ich vermute, dass das Gehirn dieser Leute schon vor dem Internet trefflich adaptiert war für diese Aufgaben.
Ich breche hier die Exegese ab, weil substanziell nichts wirklich Neues dazukommt, wer mag, kann das Pamphlet ja hier weiterlesen
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Schlagwörter: Gehirn, Korte, Multitasking, Neurobiologie, Schirrmacher
2 comments
Sehe ueberhaupt nicht was das hier soll. Eine philogiscge entgegnung auf einen wissenschaftker? Autodidaktengeschwafel.
Vielen Dank für die profunde Stellungnahme und die differenzierten Argumente, hatte schon befürchtet, dass sich gar kein Experte mehr meldet. Auf dieser Basis kann man sicher irgendwo im weltweiten Web weiter diskutieren. Mir fehlt dazu allerdings die Expertise.