Wikileaks 2.1: P2P-Journalismus

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte sich in den letzten Jahren im Kreis von Medienjournalisten und Webexperten eine Diskussion um die Vierte Gewalt im Staat verselbstständigt. In einer frühen Phasen entwickelten sich einige Fachblogs zu Quellen aus denen sich seriöse Journalisten gerne und fast immer ohne Angabe von Quellen bedienten. Als die Leserschaft diese Aktionen bemerkte, schwenkte die Wertung gegenüber Blogs um. Die Reichweitenbeschaffer alias Leser, die Verlage an ihre Anzeigenkunden verkaufen, schauten nun immer öfter selber nach, was fefes blog, Don Alphonso, netzpolitik.org oder Bildblog sich ausdachten oder recherchierten bzw. zugetragen bekamen.

Das war schmerzlich, weil die Verlage eine Deutungshoheit beanspruchen, die sie mit dem Begriff Qualitätsjournalismus gegenüber diesen Emporkömmlingen abgrenzen wollten und wollen. Das größte Problem waren die Diskussionen im Web rund um Artikel, die nicht selten lawinenartig neue Artikel auslösten. Neben der Deutungshoheit verloren die klassischen Medien also auch noch ihre Funktion des Agendasettings, die sie gekonnt im Umgang mit Politikern und PR-Agenturen einzusetzen gewöhnt sind. Einige Verlage haben sich schon verdächtig nahe an die PR-Ausbildung herangerobbt wie die FAZ mit dem FAZ Institut beweist oder arbeiten auf halbseidenen Wegen mit Detektiven, um Fakten, Fakten und Fakten zu schaffen, wo vorher keine waren oder die Privatsphäre einen Schirm aufspannte. Der Begriff Qualitätsjournalismus ist also eher ein Potemkinsches Dorf hinter dem man gegenüber Politikern einen enormen Aufwand (trotz radikaler Entlassungen) als Medienapparat im Dienste der Demokratie verkaufen kann. Im Grunde geht es dabei um ein Ringen nach Subventionen, oder präziser einem Beamtenstatus für alles, was man selbst so qualifiziert. Was nicht Qualitätsjournalismus ist (und das definieren immer die Verlagsvertreter!) – zum Beispiel die Blogger und selbsternannten Journalisten im Web – muss nicht staatlich geschützt werden, weil es keine zwölfstöckigen Denkmäler für die Vierte Gewalt erbaut und außerdem auch noch die hoheitliche Aufgabe der Qualitätsjournalisten vermissen lässt: Man entwertet diese Onlineschreiberlinge mit dem Hinweis darauf, dass sie nicht Agenturmeldungen filtern und umschreiben, dass sie kein Fact-Checking betreiben (wie viele deutsche Verlage auch) und dass sie ja immer nur Meinungen verbreiten…

Und dann kam wikileaks….

Vor einigen Jahren war es der Anlass für viele Leser überhaupt  die Existenz des Begriffs whistleblower zur Kenntnis zu nehmen. Es gab also noch eine andere Welt als die Agenturen. Investigativer Journalismus kann ohne sie gar nicht existieren. Anders als viele glaubten, haben die Mitarbeiter von „Report“ oder „Monitor“ gar nicht wie der selige Wallraff falsche Bärte angeklebt und recherchierten als verdeckte P-Männer und -Frauen (V-Mann=Verfassungsschutz-Mann und P-Mann=Presse-Mann). Und nun kommen so ein paar Irre Hacker daher (wer kennt den Unterschied zwischen Hacker und Cracker?) und ermöglichen whistleblowern das Publizieren ihrer heimlich entwendeten Dokumente über die Scheinheiligkeit von Politikern, multinationalen Konzernen und die bösartigen Greueltaten zu denen Menschen Menschen treiben.

Und nun? Jetzt überschlagen sich plötzlich alle in der Ansicht, dass ein neues Zeitalter angefangen hätte? Die Masse der Daten, die ins Web gekippt werden sollen nun über den Grad der Freiheit der Menschen entscheiden. Wie immer glauben die Adepten aus dem Lager der Webexperten, dass Quantität (Speicherplatz, Bandbreite, Userzahlen etc) über Freiheit, Erfolg und Demokratie entscheiden. Sie sind damit sehr nahe an den klassischen Verlagen: Reichweite=Leserschaft=Relevanz für Demokratie.

Und in der anschließenden Diskussion purzeln die Begriffe nur so durcheinander. Sind Verleger (Veröffentlicher) wie wikileaks nicht eigentlich die neuen Journalisten? Sind Staaten wie die USA oder Frankreich, die Schwächere schon immer gern via Währungsfonds und Weltbank drangsaliert haben und mit economic hitman Weltgeschichte schreiben, sind solche Staaten eigentlich genauso schlimm wie China, die so ein Verhalten ganz offen und schroff zeigen? Nun die Antworten liegen im WIE. Denn es gibt große Unterschiede, nicht nur wenn man ins Detail guckt. Anders als es Reporter ohne Grenzen mit ihrem Vergleich zwischen USA und China Glauben machen wollen, sind die USA ein Land mit weitgehender bürgerlicher Freiheit und sehr pingelig, wenn es um ihre nationale Souveränität geht. China ist in allem mit einer extremen Art von Kontrollzwang. Aber Details interessieren viele gar nicht, die mal wieder den Teufel am Werk sehen? Es ist verständlich, wenn sie Assange in Schutz nehmen wollen, obwohl ich nicht weiß, ob er wirklich die Lichtgestalt ist, die man aus ihm gemacht hat und an die er jetzt offenbar sogar selber glaubt. Eigentlich wäre es schlau aus den Daten und Informationen Erkenntnisse zu gewinnen. Aber das setzt Wissen voraus und nicht jedes Urteil ist Ausdruck oder Folge von Wissen.

Wissen entsteht nur auf dem Hintergrund dessen, was jeder schon vorher kannte. Angesichts so eines Datentsunamis wie bei wikileaks liest jeder – auch und gerade die Qualitätsjournalisten –  nur das heraus, was ihm oder ihr als fehlendes Puzzle zum vorhandenen Hintergrundwissen passend erscheint.

Es macht also Sinn, das alte Modell des Filesharings namens peer-to-peer heraus zuholen. Ein Peer ist eine Bekannter oder Freund. In den Peer-to-Peer oder P2P-Netzwerken sind Daten immer auf allen angeschlossenen Rechnern gemeinsam gespeichert. Keiner weiß wo eine Datei wirklich liegt und wie oft ihre Kopie bei anderen vorhanden ist. Wie sollten dieses Modell für wikileaks nutzen um dieses tolle Werkzeug nicht in persönlichen Ränkespielen Einzelner zu trivialisieren. Ich kenne Assange nicht, aber das Werkzeug wikileaks sollte aus seinen Händen genommen werden, um ihn und uns zu entlasten. Wie? Es gibt ein tolle Projekt namens dot-p2p dazu, dass wir alle unterstützen sollten: URLs, die auf .p2p enden werden in dieser P2P-Cloud von uns allen gehostet und können nicht mehr von einzelnen Providern abgeschaltet werden. Dies ist erst der Anfang der wahren Diskussion um Netzneutralität, denn es geht um den Ort der Daten: Sie müssen da sein, wo auch das Wissen ist – bei uns allen.



ers

  ist seit 1999 als Freier Autor und Freier Journalist tätig für nationale und internationale Zeitungen und Magazine, Online-Publikationen sowie Radio- und TV-Sender. (Redaktionsleiter Netzpiloten.de von 2009 bis 2012)


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7 comments

  1. Eine sehr gute Zusammenfassung der Lage und, wie ich finde, auch eine interessante Schlussfolgerung, deren Entwicklung ich weiter im Auge behalten werde. Nur bei der Umschreibung des Begriffs „Peer“ muss ich dir widersprechen. Ein Peer ist zunächst einmal einfach ein „Ebenbürtiger“, und das besondere an Peer-to-Peer ist eben, dass es keine Hierarchie zwischen den Rechnern gibt, die miteinander vernetzt sind, keine zentrale Instanz, die die Dateien verwaltet (wie du ja auch schreibst).

    Als angenehme Assoziation schwingt bei mir dabei aber auch immer noch die angelsächsische Rechtssprechung mit, die ja im Endeffekt auf die Magna Carta zurückgeht und bis heute im Jury-System nachschwingt: „NO Freeman shall be taken or imprisoned, or be disseised of his Freehold, or Liberties, or free Customs, or be outlawed, or exiled, or any other wise destroyed; nor will We not pass upon him, nor condemn him, but by lawful judgment of his Peers.“

    Mit anderen Worten: Das Urteil (und das kann man vielleicht auch auf die Auswertung von Inhalten beziehen) sollte von Ebenbürtigen gesprochen werden. Nicht von hoheitlichen Deutern. Passt das?

  2. Ich wünschte hier gebe es auch noch eine Edit-Funktion, dann hätte ich meine Website nachträglich richtig eingegeben und nicht nur auf eine uralte Filmkritik verlinkt.

  3. Ja Alex, da hast Du wohl recht mit dem Begriff Peer, den ich wohl eher aus dem soziologisch-pädagogischen Kontext entlehnt habe. Mit der Rechtsprechung halte ich mich zurück, den ich halte noch immer dafür, dass es zuviel Menschen gibt, die inconsiderably morally superior sind und mir bis dato keine Begründung für diese DonQuichotterie gaben. Das Rechtsprechen ist aus meiner Sicht ein schwierig Ding bei Ebenbürtigkeit. Aber grundsätzlich bin ich eben dafür, das alles Wesentliche in p2p-netzen residieren sollte, damit die seltsame Idee, das Netz vergäße nichts auch wirklich umgesetzt wird. Das Problem des Entlernens können sich dann ja die Menschen vor den Monitoren machen…

  4. Nur zur Klarstellung: Ich bin überhaupt nicht qualifiziert, um mir eine Meinung darüber zu bilden, ob diese Form der Rechtssprechung eine gute Idee ist (ich bin einem Staat großgeworden, wo es nicht so ist, und es erschien mir nie falsch). Ich meinte lediglich die Assoziation des „Peer“ als jemand, der mit mir auf einer Stufe steht und mit dem ich dann gemeinsam die Daten auswerte und eben niemand, der „von oben herab“ eine Deutungshoheit beansprucht.

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