Die Revolution der freien Informationen

Das Internet umfasst derzeit mehr als eine Billion Seiten. Sich hier zurecht zu finden, geht nur über Suchmaschinen. Sie sind unser Zugang zum Web und all seinen Informationen. Laut Alexa, dem Analyseanbieter für Fragen rund um Webseitenaufrufe, sind die Hälfte der meistbesuchten Seiten im Netz Suchmaschinen. Allen voran Google, Yahoo und der chinesische Suchmaschinen-Riese Baidu.com. Diese Seiten leisten einen großen Anteil in Bezug auf Wissensvermittlung und auch der Meinungsbildung. Werden Wissenslücken doch zunehmend über Suchmaschinenanfragen geschlossen. Umso mehr stellen sich in dem Zusammenhang auch die Fragen: Wie viel Macht darf eine solche Suchmaschine im Netz eigentlich haben und ist es schlau, dass diese Macht zentral in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen gebündelt wird? Gerade auch im Bezug darauf, dass diese Unternehmen auch staatlicher Kontrolle unterliegen, sollten vorherrschende Strukturen überdacht und Alternativen geschaffen werden. Für die Antwort dieser Fragen gibt es Licht am Ende des Tunnels. Erstmalig…

Zensur ist Alltag, man glaubt es nur kaum

Dass wohl schärfste Beispiel für den Missbrauch des Vertrauens in Suchmaschinen und der Zensur durch staatliche Instanzen ist wohl Baidu.com. Im Zuge des sogenannten Golden Shield Projects, das die Mechanismen der Internetzensur, durch die chinesische Regierung beschreibt, ist Baidu.com zu einem oft kritisierten Suchmaschinen-Anbieter weltweit geworden. Baidu.com gehört zu den ca. 40 chinesischen Unternehmen aus der Internet- und Telekommunikationsbranche, die sich der Unterstützung des Golden Shield Projects verschrieben haben. Offenkundig geht es dabei um die Bekämpfung von Betrügereien, der Eindämmung von Falschinformationen und Gerüchten sowie dem, anscheinend nicht nur in Deutschland beliebten K.O.-Kriterium, der Internet-Pornografie. Alles in allem eigentlich eine sinnvolle und zum Wohle der Öffentlichkeit durchaus nachvollziehbare Richtlinie. Doch werden diese drei Gebote gelegentlich auch im Sinne der Kommunistischen Partei der Volksrepublik anders ausgelegt und für einige – auch in China verfassungswidrige – Handlungen ausgehöhlt. Im mindesten Fall handelt es sich um die innere Zensur als vorauseilenden Gehorsam.

So haben nicht zuletzt die Reporter ohne Grenzen massive Kritik an Baidu.com in den vergangenen Wochen geübt. Ein Beispiel findet sich anhand einer Demonstration in der chinesischen Stadt Zhili, wo im Oktober gegen die Erhöhung von Steuergeldern protestiert wurde. Schnell ist der Protest zu einer Revolte geworden. Durch Zusammenstöße der Demonstranten mit Polizisten ergaben sich Unruhen, die natürlich auch im Netz heftig diskutiert worden und in deren Debatten sich der Konsens gegen ein Fehlverhalten der Demonstranten gebildet hatte. Kurzerhand reagierte die KP und ließ sämtliche Seiten zu dem Thema sowie alle Suchanfragen zu den Schlüsselwörtern „Zhili“, „Steuern“ und „Protest“ sperren. Ein Vorgehen welches keinesfalls als Ausnahme zu handeln ist. Und ein Unding, wenn man außerdem bedenkt, dass die Anzahl der chinesischen Internetnutzer in etwa die 500-Millionen-Marke erreicht hat und sämtliche möglichen Anfragen auf Baidu.com zu dem Thema ins Leere geleitet werden. Als ob dieser Protest nie existiert hätte.

Wer nun aber glaubt, dass so etwas im offenen und toleranten Westen nicht passiert, der irrt gewaltig. Unterliegen doch auch Google und Yahoo solchen regionalen Zensur-Befehlen. Google macht daraus auch keinen Hehl mehr und veröffentlicht in Form seines – nicht ganz kritikfreien – Transparency Reports jährlich die Anzahl der Zensurmaßnahmen durch Staaten. Viele Anfragen müssen dennoch außen vorgelassen werden, da sie unter anderem aus sicherheitspolitischen Gründen gar nicht veröffentlicht werden dürfen. Angeblich. Privatwirtschaftliche Unternehmen unterliegen nun mal dem Gesetz der Staaten, die sich nebenbei gesagt, gerne aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stehlen, um ihre eigenen Interessen zu decken. Die Dunkelziffer solcher Zensurmaßnahmen ist also um ein vielfaches höher. Hinzu kommt das Unternehmen wie Google und Yahoo sich in der Vergangenheit oft haben kaufen lassen. Um z.B. den Markt in China zu erobern, haben sich die beiden Giganten dazu hinreißen lassen, ebenfalls den Richtlinien des Golden Shield Projects folge zuleisten. Zum einen erfuhren die Nutzer also konkrete Google- und Yahoo-Zensur in China, zum anderen gibt es aber auch ähnliche Fälle in Europa und den USA.

Das Vertrauen in die Suche zum Thema Internet-Piraterie wird zum Beispiel hierzulande, in Deutschland, aktuell völlig fehlgeleitet. Einige Begriffe die in dem Zusammenhang stehen, wurden aus den Autocomplete- und Instantservices von Google bereits seit Januar 2011 ausgeschlossen. Momentan werden diese Suchbegriffe wieder erweitert. Betroffen sind vor allem Filesharing-Plattformen wie The Pirate Bay oder Torrentfreak, die aber gar nicht in Deutschland sitzen und somit auch nicht unter deutsches Recht fallen. Unter dem Deckmantel des Urheberrechts muss der Konzern agieren. Ob er will oder nicht. Doch dieses Verhalten ist dennoch grundsätzlich nicht zu tolerieren. Ist das Netz, und alles was sich darin befindet, doch im Grunde frei und gehört weder Deutschland, noch China, geschweige denn Google oder Yahoo. Es gehört den Nutzern. Freilich gibt es auch Thematiken im Netz, deren Zensur augenscheinlich Sinn macht. Das möchte ich gar nicht bestreiten, doch ist die Meinung darüber doch oftmals sehr subjektiv und völlig dehnbar.

Unter dem Schutze des § 130 Strafgesetzbuches wird zum Beispiel Volksverhetzung geahndet. Was berechtigterweise zur Löschung von rechts- und linksradikalen Seiten führt. Doch wie steht es eigentlich um Themen, die die Politik für sich beansprucht und darum gerne im Netz veröffentlicht sehen will? Stefan Niggemeier beispielsweise hat in seinem Blogpost: „Blomige Worte über Volksverhetzung„, die BILD und den Chefredakteur Nikolaus Blome aufgrund seiner hetzerischen Artikel gegen das griechische Volk kräftig unter Beschuss genommen. Und er hat Recht mit dem was er sagt. Der BILD und Herrn Blome könnte man eine Volksverhetzung gegen die Griechen vorwerfen, wenn man sich Niggemeiers Argumente anschaut. Wieso ist die BILD eigentlich noch online? Und warum sperrt man dahingehende Suchbegriffe nicht einfach aus?

Yet another Cyberspace!

Die Thematik ist also nicht so einfach. Oder ist sie einfacher als wir denken? Eine Suchmaschine, die staatlichen Paradigmen und dem Zutun privatwirtschaftlicher Interessen entgegensteht, muss her. Eine Suchmaschine, die die Meinungsvielfalt bejaht und die sich dabei höchstens den freiheitlichen Grundgesetzen unterwirft. Es wird Licht am Ende des Tunnels, denn einen Schritt in die richtige Richtung unternimmt jetzt das YaCy-Projekt mit deren Suchmaschinen-Software. YaCy steht für „Yet another Cyberspace“ und kann sich jeder installieren, der sich selber ein Suchportal aufbauen will. Die besondere Fähigkeit des Projektes laut den Entwicklern ist aber, die Vernetzung in ein Peer-to-Peer Suchmaschinennetzwerk. YaCy besteht aus momentan 600 unabhängigen Knoten und verzichtet komplett auf einen zentralen Server. Die Benutzer sind Teil des Netzwerkes und transportieren die Suchergebnisse von Computer zu Computer weiter. Jeder Nutzer kann auf YaCy suchen, aber auch gleichzeitig den Index erweitern. Das geschieht durch einen sogenannten Webcrawler den man losschicken kann oder durch die Verwendung des YaCy-Proxis auf den besuchten Webseiten. Der Proxy arbeitet dabei wie jede andere Kommunikationsschnittstelle, die die Anfragen entgegennimmt und sie auf andere Seiten weiterleitet.

YaCy ist sehr sinnvoll, wenn man sich die oben beschriebenen Verhältnisse um den freiheitlichen Informationsfluss anschaut. Die Motivation für das Projekt geht aber noch tiefer. „Suche ist eine Grundfunktion für das meiste von dem, was wir im Internet tun. Für eine derart grundlegende Funktion können wir uns nicht auf einige wenige große Firmen verlassen und dabei unsere Privatsphäre riskieren“, sagt der Projektleiter Michael Christen. Privatsphäre ist nämlich das andere große Angstthema, welches dem Vertrauen der Nutzer, auf den Magen schlägt. Google und Co. sind bekannt für deren Datenhunger und der gleichzeitigen Vermarktung dieser Informationen zum Zwecke der Werbung. YaCy schlägt auch hier den herkömmlichen Anbietern ein Schnippchen. Suchanfragen werden verschlüsselt, bevor sie den Computer des Nutzers verlassen und werden somit für andere im Peer-to-Peer-Netzwerk unkenntlich gemacht. Laut Golem.de wird außerdem die Reihenfolge, in der die Suchergebnisse ausgegeben werden, vom Rechner des Nutzers selber erstellt. Somit gibt es keinen Sichtbarkeitskampf mehr unter den Webmastern. SEO-Maßnahmen betreibt der Nutzer selber, indem ihm mit der Zeit die Seiten angezeigt werden, die seinen Interessen und Bedürfnissen entsprechen. Somit haben wir ein freies Suchmaschinennetzwerk, welches sich dem Terror durch Cookies, der Profilbildung und der Kommerzialisierung der Suche völlig entzieht.

YaCy hat das Zeug dazu eine Revolution loszutreten, die so mancher Machtinstanz, sei sie staatlicher oder privatwirtschaftlicher Natur, das Damoklesschwert über den Köpfen kreisen lassen kann. Im Moment verfügt das Projekt über vergleichsweise weniger Inhalte als bei Google oder Yahoo, was an der geringen Anzahl der Peers, also der Nutzer liegt. Das ist das große Manko von YaCy. Doch wie so oft bei Revolutionen, beginnt der Protest im Kleinen, ja fast im Verborgenen und kann durch winzige Flügelschläge am anderen Ende der Welt zu massiven Stürmen führen, die schon so manche alte Eiche entwurzelt haben.

schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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