Mein Betonkopf gehört mir…

#Umsonstkultur #Piraten #Verlegerinteressen #Lobby

Mein Kopf gehört mir...

Da haben sich die Verleger aber eine hübsche Kampagne ausgedacht, die jetzt in Etappen über die klassischen Massenmedien ausgegossen wird. Nach der Wutrede von Sveni Regner und dem offenen Brief der GEZ-beseelten Tatort-Autoren werden nun im Handelsblatt 100 “kreative” Schriftsteller, Sänger, Künstler, Werber, Softwareentwickler und Unternehmer in Szene gesetzt, um gegen die “Umsonstkultur” im Internet und deren politischen Protagonisten, die Piraten, zu protestieren. Das ist wohl ein bislang einmaliger Vorgang in der Untergangsgeschichte des medialen Establishments, dass sich Meinungsbildner nicht nur vor den Karren von Lobbyinteressen spannen lassen, sondern expliziert gegen eine politische Partei lamentieren, die in Deutschland noch nirgendwo in der politischen Verantwortung steht. Peinlich auch der verkrampfte 68er-Habitus der Handelsblatt-Titelseite: “Mein Kopf gehört mir!”

Der Aufmacher auf der Innenseite wird dann noch mit der Überschrift “Kreative, hört die Signale” versehen. Fehlt eigentlich nur noch ein Gruppenfoto der 100 Kreativköpfe mit Che Guevara-T-Shirts. Da gibt es ja schon legendäre Vorbilder wie den automobilen Top-Manager mitbekommen, der vor einem Plakat des Revolutionskämpfer in Las Vegas hintergründige Analysen über den Kommunismus vorgetragen hat. Ein wahrer Car Sharing-Revolutionär, der sich als „Chief Guerilla Officer“ profilierte. Ähnlich subtil ist die Analogie zum Bekenntnis von Frauen vor gut 40 Jahren: „Mein Bauch gehört mir… “. Nur damals gehörte Mut dazu, sich in der Abtreibungsdebatte zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu bekennen.

    “Wir haben abgetrieben!”, titelt der stern am 6. Juni 1971. Und schreibt unter das Selbstbekenntnis von 374 Frauen: “Dies ist kein Aufstand gegen das Recht, sondern ein Protest gegen die Verlogenheit eines Paragrafen, an den selbst Richter nicht mehr glauben. Klagt uns an, sperrt uns ein, wenn ihr den Mut dazu habt.”

Im Unterschied dazu sind die Kalendersprüche der 100 Betonköpfe, die substanzlose Sätzchen zum Schutz des geistigen Eigentums loslassen, eine lauwarme Brühe. Selbst Google-Justiziar von Google-Nordeuropa hat sich in die Ahnengalerie aufnehmen lassen. Er hätte vielleicht vorher mal recherchieren sollen, um was es bei dieser Kampagne geht und in welcher Gesellschaft er sich befindet. Etwa mit so fortschrittlichen Geistern wie Thomas Middelhoff, der ja bei der Sanierung von Karstadt unglaublich erfolgreich bewährt hat.

Oder der Einschaltquoten-Erfinder Helmut Thoma. Oder der honorige Bert Rürup, Vorstand der MaschmeyerRürup AG. Oder Utz Claassen, Ex-Chef von EnBW, der sich mit Sicherheit Sorgen um Verwertungsrechte machen muss bei den spärlichen Abfindungen, die er kassiert hat. Maria Furtwängler darf nicht fehlen – Stichwort Burda. Bernd Buchholz, Vorstandschef von Gruner + Jahr. Jette Joop, die wahrscheinlich kein Oktoberfest mehr auslassen wird, um ihren Unwillen gegen Netzanarchie zu proklamieren.

Springer-Mann Christoph Keese, der sicher mit stolz geschwellter Brust die Kampagne begleitet. Pater Anselm Grün als digitale Avantgarde. SAP-Chefe Jim Hagemann-Snabe, der Erfahrung mitbringt bei der Vergabe von Lizenzen – da können einige Mittelständler ein kostspieliges Lied singen. Froschkönig Philipp Rösler, der noch als Vizekanzler unterzeichnet. CSU-Starker-Staat-Staastrojaner-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich – warum ist der eigentlich ein Kreativkopf?

In den 100 Sinnsprüchen findet man kaum eine Silbe über das Leistungsschutzrecht und die Interessen der Verleger. Das ist billige Propaganda: Umsonstkultur = Piraten. Auf diese Formel scheinen sich die Lobbyisten eingependelt zu haben. Hier wird in den Rückzugsgefechten der Gestern-Manager eine Leimspur gelegt. Niemand macht sich die Mühe, über die überkommenen Geschäftsmodelle des analogen Industriekapitalismus nachzudenken.

Setzt Euch mit wirklich kreativen Köpfen wie Chris Anderson zusammen und lasst die fordistischen Gerontologen links liegen. Mit den 100 Betonköpfen ist kein Staat mehr zu machen.


Dieser Artikel von Gunnar Sohn ist zuerst erschienen auf seinem Blog „ichsagmal.com“.


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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4 comments

  1. Naja, allein schon, das die Schlagzeile des Handelsblatts das Copyrightzeichen verwendet ist doch schon vielsagend: es gibt im hiesigen Recht zwar das Urheberrecht, das zu den Persönlichkeitsrechten gehört, aber ein Copyright, so wie es im angelsächisen Raum, vor allem den USA, besteht, gibt es nicht.

    Ich finde das dann auch sehr entlarvend, auch wenn man solche Nuancen im allg. Lärm des Kampfgetümmels gar nicht mehr recht wahrnehmen kann oder will, das also ein Symbol der „Verwertungsindustrie“ (als würden die etwas erzeugen bzw. herstellen) verwendet wird, und damit auch klar wird, wer denn hier sprechen läßt. Andrerseits: „Systeme“, die dem Untergang geweiht sind, sind in den letzten Zügen oftmals sehr gefährlich. Auch der syrische Staatspräsident hat keine Skrupel, auf Demonstranten schießen zu lassen. Im übertragenen Sinne gilt das auch für diese untergehende Industrie: kurz vor ihrem Exitus wird nochmals ein größtmöglicher gesellschaftlicher Schaden verursacht, ohne Rücksicht auf Verluste….

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