Silicon Valley? Die Innovation liegt anderswo!

Francis Pisani, Entrepreneurial Journalist, antwortete Steffen Leidel auf die Frage, wo Innovation eigentlich herkommt. // von Steffen Leidel

Er lebt das, was andere bisher nur in der Theorie als Zukunftsmodell für Journalisten auf Konferenzen oder an Universitäten vortragen. Der Franzose Francis Pisani ist ”Entrepreneurial Journalist”. Acht Monate hat er sein neuestes, selbst finanziertes journalistisches Projekt vorbereitet. Es ist eine Weltreise auf der Suche nach den Orten, wo die innovativen Ideen der Zukunft verwirklicht werden. Pisani selbst hat über 15 Jahre im Silicon Valley gelebt und von dort über neue Technologien berichtet. Doch die Innovation werde künftig von ganz anderen Orten kommen, da ist sich der 69-Jährige sicher. Mehr als 30 Städte hat er seit September 2011 schon besucht, er reiste auf fünf Kontinente, von Mexiko City nach Recife, von Accra, Nairobi bis nach Kapstadt, von Kairo nach Beirut und Tel Aviv. Er war in Russland, Indien und Indonesien.

Derzeit bereitet er sich in Paris auf den letzten Reiseabschnitt vor. Er wird ihn nach Singapur , Tokio, Peking und am Ende nach New York und San Francisco führen. Sein Projekt Winch5 (steht für Wave of Innovation and Change on 5 continents) finanziert er sich selbst aus den Verkäufen seiner Beiträge an ein gutes Dutzend Klienten. Pisani publiziert über seine Reise in renommierten Tageszeitungen wie Le Monde, El País, Folha de São Paulo oder Clarin in Argentinien. Er bloggt für die Telefonica-Stiftung und für die Consulting-Firma Capgemini. Seine Vielsprachigkeit und sein exzellenter Ruf als Journalist helfen ihm dabei, sein Produkt zu verkaufen. Pisani spricht fünf Sprachen fließend, hat in mehr als 100 Zeitungen und Zeitschriften auf der ganzen Welt veröffentlicht. Pisani war Nieman-Fellow der Harvard Universität und Gastdozent an den Universitäten Berkeley und Standford.

Steffen Leidel: Sie selber haben viele Jahre im Silicon Valley gelebt und dort über Technologie berichtet. Heute sagen Sie, dass in einigen Jahren Innovation nicht mehr aus Silicon Valley, sondern aus anderen Orten dieser Welt kommen wird. Wie kommen Sie auf diese These?

Francis Pisani: Aus meiner Sicht gibt es da mehrere Gründe. Zum einen hat Silicon Valley an Dynamik verloren. Diese Ansicht teilen viele Leute. Da ist Dave Winer zum Beispiel, einer der Väter der Blogs oder Nick Denton, Gründer von Gawker.com. Sie sind nach New York gegangen, weil es aus ihrer Sicht dynamischer ist. Andere zeigen einfach ihre Frustration. Ich erinnere mich an ein Interview mit Jerry Yang, den Gründer von Yahoo im Jahr 1996. In dem ersten Büro von Yahoo stand sein Fahrrad, dort schliefen auch die ersten Mitarbeiter. Er sagte mir: “Ich möchte die Welt verändern und Milliardär werden.” Auch heute gibt es dort noch hochqualifizierte Leute, aber die wollen nur noch reich werden. Es gibt nicht mehr den unbedingte Willen, die Welt zu verändern. Dazu kommt, dass die Herausforderung, die die Leute dort am meisten interessiert hat, nämlich die persönliche Produktivität zu steigern, inzwischen gemeistert ist. Persönlich denke ich außerdem, dass es einfach zu viele Vorschläge gibt, die es schon mal in den Jahren davor gegeben hat – speziell was das Web 2.0 angeht. Das ist ganz anders, wenn man sich im Rest der Welt umschaut. Überall gibt es inzwischen Leute, die erkannt haben, dass Innovation eine Quelle für Wachstum und Entwicklung ist und auf diese setzen. Sie suchen nach Risikokapital und versuchen, sich zu qualifizieren. Heute ist immer weniger Kapital nötig, um ein Start Up zu gründen, und auf der ganzen Welt kann man dank des Internet zusammenarbeiten.

SL: Welche Orte haben Sie besonders überrascht?

FP: Es gibt überall auf der Welt Geeks. Das gilt auch für die ärmsten und am wenigsten entwickelten Orte dieser Welt. Besonders beeindruckt haben mich die Leute in Accra in Ghana und in Nairobi. Im Nahen Osten haben mich vor allem der Libanon und Israel überrascht. Ich bin sicher, dass Israel bald eine der führenden Nationen in Informationstechnlogien sein wird. Besonders spannend fand ich Recife in Brasilien. Die Stadt hat es geschafft, kluge Köpfe und Start-Ups aus ganz Brasilien und internationale Unternehmen anzuziehen. Inzwischen ist sie der drittwichtigste Technologiestandort Brasiliens.

SL: In Afrika gibt es mit Afrilabs.com ein ganzes Netzwerk an Innovationsstandorten. Haben Sie ein paar konkrete Beispiele für interessante Entwicklungen?

FP:In Ghana gibt es ein Unternehmen mit dem Namen NandiMobile. Es hilft Unternehmen über SMS und mit künstlicher Intelligenz Kunden einen besseren Service zu bieten. Oder nehmen sie das Start-Up Mpedigree, das hilft zu verifizieren, ob ein Medikament echt oder gefälscht ist. Dann gibt es ShopAfrica53.com, eine Art Online-Kaufhaus, das es kleinen afrikanischen Unternehmen ermöglichen soll, ihre Produkte zu vermarkten. Gegründet wurde ShopAfrica53.con von Herman Chinery-Hesse, der mir als Bill Gates von Africa vorgestellt wurde. Aus Nairobi kommt M-Pesa, ein Geldtransfersystem von Safaricom, dessen Wirkung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Es ermöglicht über Mobiltelefone, Überweisungen zu tätigen. Du kannst in Nairobi auf dem Markt mit deinem Mobiltelefon einkaufen. In Paris geht das nicht. Das sind nur einige wenige Beispiele. Die Liste ist sehr lang.

SL: Wer sind die Leute, die innovative Ideen verwirklichen? Es gibt ja oft die Kritik, dass die westlichen Industrieländer die Welt mit ihren Innovationen dominieren und dass hinter vielen Initiativen in Entwicklungsländern am Ende doch wieder Europäer oder Amerikaner stehen, die verdeckt fertige Projekte in diese Länder einführen.

FP:Dafür gibt es sicher Beispiele. Am Anfang der Entwicklung der Informationstechnologien fand man in den Entwicklungsländern Leute aus dem Norden oder Personen aus dem Süden, die ihre Ausbildung im Norden erhalten haben. Doch diese Phase ist so gut wie überholt. Es gibt aber keinen Grund, einen Kenianer, Libanesen oder Inder zu diskreditieren, nur weil er einige Jahre in den USA oder Großbritannien verbracht hat. Wir leben in einer offenen Welt und jeder darf lernen, wo er will. Das Entscheidende ist, dass die Leute in ihre Heimat zurückkehren und dort für ihre Leute arbeiten und helfen, deren Probleme zu lösen. Das sehe ich überall. Nur ein Beispiel von vielen: Adel Youssef, der Gründer von Intafeen. Er ist Ägypter, ein Ex-Google-Fellow, Entwickler von My Location. Er kehrte in sein Heimatland zurück, um einen arabischen Geolocation-Dienst zu programmieren.

Viele, die die angesprochene Kritik üben, vergessen, dass die besten Ideen im Silicon Valley – übrigens auch in den restlichen Ländern des Nordens – von den besten Gehirnen des Südens stammen. Viele der Start-Up-Mitbegründer in der Region um San Francisco Bay in den letzten 30 Jahren sind außerhalb der USA geboren. Nur ein Beispiel: Einer der beiden Mitbegründer von Instagram ist ein brillianter Entwickler aus Brasilien.

SL: Welche Bedingungen braucht es, damit Innovation entstehen kann?

FP:Wichtig sind zunächst einmal Geeks. Viele haben sich im Internet das Programmieren selbst beigebracht. Dafür braucht man eine Anbindung ans Internet. Und du brauchst vor allem Unternehmer und Geld. Viele beginnen mit dem Geld der Familie oder von Freunden. Das Problem ist dann häufig, wie bezahlt man die zweite, dritte Finanzierungsrunde.

SL: Das Mobiltelefon verändert die Welt wie kaum ein anderes technisches Gerät. Inwiefern hat das Mobiltelefon die Gesellschaften in den Entwicklungsländern verändert?

FP:Aus meiner Sicht ist Afrika Nordamerika und Westeuropa in einem entscheidenden Punkt voraus: Wir sehen das Mobiltelefon immer noch als ein Komplement an, während in Afrika die Menschen es inzwischen zu ihrem wichtigsten Kommunikations- und Informationsmittel gemacht haben. Jeder hat ein Handy, es ist billig. Dabei ist der Anteil von Smartphones in Afrika gering, er liegt nur zwischen einem und fünf Prozent. Doch es gibt viele Innovationen zur Nutzung von SMS. Verbreitet sind Feature Phones, die auf sehr ausgeklügelte Weise verwendet werden. Davon können wir lernen.


Hier kann man die Berichte von Francis Pisani lesen:


Autor: Steffen Leidel ist DW-World.de-Experte für Bolivien, Kolumbien, Venezuela und Peru mit den Schwerpunktthemen Entwicklungspolitik, Armutsbekämpfung, Drogenpolitik sowie Erdölwirtschaft und Energiepolitik. Außerdem ist er Experte für Europa in Sachen Migration (speziell Spanien).

Er betreibt zusammen mit Marcus Bösch den Gemeinschaftsblog „lab“ von wo aus wir diesen Crosspost mit freundlicher Genehmigung Steffen Leidels veröffentlichen durften.


 


Die Netzpiloten nehmen immer mal wieder Gastpiloten mit an Bord, die über ihre Spezialthemen schreiben. Das kann dann ein Essay sein, ein Kommentar oder eine kleine Artikelserie.


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