Das Kreuz mit dem crossmedialen Journalismus

Der ehemalige Journalist und Netzpiloten-Gründer Wolfgang Macht kommentiert die aktuelle Debatte um die heutigen Anforderungen im digitalen Journalismus. Eine rege Diskussion entfachte unser Beitrag „6+ Fähigkeiten, die der Journalist von heute drauf haben sollte“ von Andreas Weck. Hierauf erwidert Wolfgang Macht mit einem Kommentar zur Gefahr der Selbstausbeutung bei Online-Journalisten.

„So sehr ich die aktive Rolle junger Journalisten bewundere, mit der sie die Zukunft der Zunft in die Hand nehmen, so wenig gefällt mir doch die klaglose Bereitschaft, sich all die Disziplinen aufzubürden, die auch in schöner Arbeitsteilung und Kongenialität zu herausragenden journalistischen Arbeiten führen können. Der Gedanke, dass ein aufwändig recherchiertes und mit viel Konzentration geschriebenes Stück vom selben Textarbeiter auch noch optimal multimedial angereichert, gelayoutet und in allen Social Media Kanälen rauf und runter promotet werden soll, macht mich doch sehr müde. Seit wann dürfen wir eigentlich nicht mehr mit Stolz das arbeiten, was jeder für sich am besten kann? Multitasking schön und gut, aber ich schätze doch auch über alles die tollen Momente, wenn Fachkenntnis und Leidenschaft verschiedener Disziplinen zusammen kommen.

Ich habe in den 90er Jahren ein paar Jahre bei einem Wochenmagazin gearbeitet und es sehr genossen, wenn ich gemeinsam mit Bildredakteuren, Layoutern, und Schlussredakteuren um die optimale Qualität eines Stücks gerungen habe. An welcher Stelle haben wir im Netz eigentlich beschlossen, dass wir all das nicht mehr brauchen? Nur weil die dicken publizistischen Schiffe offenbar nicht mehr zeitgemäß sind, machen wir jetzt also alles selbst und können nicht einmal von unserer Arbeit leben? Na, das läuft ja bestens.

Musiker und Schriftsteller haben derzeit das gleiche Problem mit ihren einstmals wichtigen und heute offensichtlich veralteten und überforderten Ko-Strukturen. Die Haltung der Digitalwelt wirkt dazu oft recht kaltschnäuzig: Die Künstler sollen einfach via Internet direkt zu ihren Endkunden durchdringen und als ihr eigener Promoter, Fanbetreuer und Ticketverkäufer agieren. Einer von Tausend kann das vielleicht auch ganz lässig. Die meisten wollen ihr Tagwerk aber mit dem verbringen, was sie glauben am besten tun zu können und sind gerne bereit, gute Prozente ihrer Erlöse abzugeben an andere Experten, die das Erzeugnis erfolgreich machen. Was ist daran falsch?

Ich plädiere dafür, dass wir im eigenen Interesse die publizierenden Disziplinen nicht pauschal zugunsten einer selbstausbeutenden Do-it-yourself-Kultur demontieren. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe als alter HBO-Fan die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir eines Tages vergleichbar dazu noch Premium Online- Journalismus Netzwerke sehen werden.“


Image (adapted) „bw hacked“ by Andrew Turner (CC BY 2.0)

 

ist Gründer und Vorstand der Netzpiloten und zählt zu den Pionieren der deutschen Internet-Macher. Er hat den Internet Boom seit 1995 mit allen Höhen und Tiefen erlebt. Die Plattform www.netzpiloten.de begleitet die digitale Revolution erst als virtueller Reiseführer für Netz-Neulinge (Webtouren) und heute als smartes Autoren-Magazin aus der Mitte der Digital-Szene. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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6 comments

  1. Ich unterstütze ihr Plädoyer, sehe aber in immer kleiner werdenden Redaktionen einfach die Notwendigkeit des Multitaskings. Persönlich habe ich noch in keiner Redaktion gearbeitet, aber ich kenne z.B. eine Online-Redaktion einer Zeitschrift, die von einem einzigen Menschen geleitet wird. Diese Person muss verschiedene Fertigkeiten beherrschen. Und für Journalist_innen mit eigener Online-Präsenz gilt dies auch. Gerne würde ich es sehen, dass Grafiker_innen, Lektor_innen, etc. verstärkt wieder Arbeit in Redaktionen finden, ich glaube es aber nicht. Das es einzelne Journalist_innen gibt, die sich als Marke mit eigenem Blog profilieren werden (wenn auch wenige), halte ich für wahrscheinlicher. Die müssen, um interessant zu sein, derartige Fertigkeiten beherrschen.

  2. Ich denke „Survival of the fittest“ ist derzeit aktueller denn je. Arbeitsteilung hat natürlich seine Vorteile. Ganz klar. Und ich fände es auch gut, wenn es nach wie vor so ablaufen würde, wie in deinem Kommentar. Aber die Realität sieht leider anders aus. Was sollen die jungen Journalisten schon tun? So lange die Arbeit niederlegen bis daran sich etwas ändert? Dann werden wir kulturell arme Jahre vor uns haben.

  3. Herrn Macht ist 100 Prozent Recht zu geben.

    Das Internet ist ein großer Segen wie auch Laster für den Journalismus.

    Zuerst haben sich die „jungen“ Onliner über das neue Spielzeug gefreut, alles an sich gerissen und viel freiwillig gemacht. Den konservativen (Print)Autoren mit ihren privilegierten Stellungen wurde damit der Garaus gemacht.

    Dafür ist Lohndumping in der Online-Medien-Branche heute gang und gäbe. Für das Korrektorat in einer (Print)Zeitung bekommt man in Österreich etwa 15 bis 20 Euro Honorar pro Stunde. Als freier Journalist 10 Euro. Das Arbeitsrecht hat in der Branche – in der Online-Redakteure als Datenverarbeiter gelten – keine wirkliche Bedeutung mehr. Alle sägen gemeinsam an ihrem Baum, der sie derweilen noch nährt.

    Der Spass ist längst vorbei. Die digitalen Allrounder mit Multitaskingkompetenzen begegnen uns mittlerweile als eine Schar verkrüppelter Burn-Out-Patienten. Und sie wächst und wächst …

    Da läuft doch etwas grob verkehrt?

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