Mit einer App durch die ganze Welt: Captain Train verbindet Europa

Im vergangenen Jahr sind meine Freundin und ich für zwei Monate durch Europa gereist. Was neben dieser unglaublichen Erfahrung hängen blieb, waren jede Menge Apps von Bahnunternehmen, Fluggesellschaften, Verkehrsanbietern und diversen Sharing-Diensten auf unseren Smartphones. Der europäische Binnenverkehr besteht aus Dutzenden nationalen Einzelunternehmen.

Europa ist selbst im Jahr 2016 noch nicht einmal die Summe seiner Teile, sondern einfach nur eine Ansammlung vieler kleiner Teilchen. Dieser Mangel an einer europäischen Identität und, so banal das klingt, vor allem im Verkehrswesen, hat vielleicht mehr mit der europäischen Krise zu tun als vielen klar ist. Ein Teil einer Lösung könnte eine einzige, alles verbindende App sein. Und zwar die des französischen Startups Captain Train.
Captain Train vergleicht bestehende Fahrkartenangebote nationaler Bahnunternehmen und kombiniert verschiedene Streckenangebote. So kriegen die Kunden des Startups immer die günstigsten Preise angeboten und können zusätzlich internationale Bahnstrecken, die so meist nicht angeboten werden, einfach und direkt als Onlineticket buchen.

Das 2009 von Jean-Daniel Guyot in Paris gegründete Startup ist inzwischen das größte Buchungsportal für Bahntickets in Europa. Im vergangenen Jahr konnte mit Daniel Beutler ein ausgewiesener Experte der Bahnindustrie als neuer Geschäftsführer gewonnen werden. Beutler war zuvor als Leiter des Vertriebs für Westeuropa im Vorstand der DB France, der Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn in Frankreich.

Vor Kurzem traf ich Daniel Beutler und Mounir Laggoune, Country Manager Deutschland von Captain Train, zum Interview im St. Oberholz. Die Beiden erklärten mir, wie es Captain Train geschafft hat, den europäischen Markt, in dem jedes Jahr Bahnfahrkarten im Wert von mehr als 70 Milliarden Euro verkauft werden, zu erobern. Die Antwort ist einfach: Es machte sonst niemand. Daniel Beutler erklärt die Motivation:

Ich glaube, dass es wichtig ist, mehr als nur nationale Produkte zu verkaufen. Wir denken alle europäisch, aber viele reden immer darüber, dass man das auch verkaufen können muss. Ich glaube einfach, die Bahnunternehmen verlieren Kunden, wenn sie es nicht schaffen, eine Strecke auch grenzüberschreitend anzubieten.

Was Beutler im Jahr 2016 als noch zu erreichendes Ziel von Bahnunternehmen anspricht, ist leider wirklich noch genau das: ein nicht erreichtes Ziel. Es ist immer noch kaum möglich, eine Zugreise von einem europäischen Land in ein anderes europäisches Land einfach und schnell zu planen.

Daniel Beutler
Daniel Beutler von Captain Train will Europa zusammenführen.

Viele Menschen nehmen deshalb einfach einen Flieger, was aber nicht sonderlich umweltfreundlich ist. Von Berlin nach Danzig ist der Flug beispielsweise sehr teuer, preiswerter kann man mit dem Zug fahren. Wenn man das Ticket allerdings bei der Deutschen Bahn kauft, bekommt man nicht zwingend die preiswerteste Verbindung angeboten. Besser ist es, mit der Regionalbahn von Berlin nach Stettin und dann mit der polnischen Eisenbahn nach Danzig weiter zu fahren. Auf die Idee muss man aber erst einmal kommen.

Captain Train hat die polnische Staatsbahn PKP noch nicht im System, die App verfügt dafür aber über Verbndungen in ganz Westeuropa. Die App findet stets die besten Verbindungen, denn diese Bahn-Tricks in den Grenzregionen kennt nicht jeder. Danier Beutler findet auch, dass man dieses Detailwissen vom Kunden nicht erwarten kann. Genau deshalb macht Captain Train für ihre Kunden genau diese Überlegung. Mounir Laggoune erläutert: „Wir sind die Einzigen, die wirklich in alle Systeme reingehen, sei es das von der Deutschen Bahn, der SNCF oder Trenitalia, und so immer die besten Preise anbieten. Selbst innerhalb Deutschlands, beispielsweise auf Teilstrecken der Verbindung von Frankfurt/Main nach Paris, wo DB- und SNCF- Züge in Kooperation fahren, aber die Vertriebssysteme in Konkurrenz sind, können wir auf beide Systeme zugreifen und dann den besten Preis anzeigen.“

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Sogar ein Reiseland wie Belgien, dem man trickreich begegnen muss, wenn man komfortabel und günstig reisen will, schreckt Captain Train nicht ab. Es kann dort oft preiswerter sein, ein Zehnerticket der belgischen Bahn SNCB zu holen, das es einem ermöglicht, eine Strecke pro Streifen abzufahren, egal wie lang die Strecke ist. Dazu kommen Rabatte für Menschen unter 26 Jahren und Journalisten. Die möglichen Kombinationen sind hier gefühlt unendlich. Beutler erläutert: „Bei Belgien sind wir gerade dran, um dir genau das anzubieten. Das ist auch unser Anspruch. Ich möchte ja nicht, dass du eine Sache findest, wo du hinterher sagst: ‚Hey! Das ist nicht drin!’, sondern eigentlich muss es genau andersherum sein. Du hast was im Kopf und wir finden noch was Besseres. Das ist unser Anspruch. Und was wir so als Feedback bekommen, klappt das schon relativ häufig.“

Das französische Startup ist damit aktiver als die Politik dabei, einen europäischen Binnenmarkt zu schaffen – zumindest wenn es um den Online-Verkauf von Bahntickets geht. Die großen, nationalen Bahngesellschaften bieten diesen Service teilweise zwar auch an, aber teurer und vor allem nicht für den Kunden bestmöglich kombiniert. Genau das macht Captain Train – und noch vieles mehr: Bei Problemen bietet das Startup einen eigenen Kundenservice an. Dieser ist zur Zeit auf Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch erreichbar, ein beeindruckendes Angebot für ein europaweit agierendes Startup.

Wesentlich größere Corporates schaffen dies noch nicht – oder wollen einfach nicht. Als Beispiel soll hier die Postbank genannt werden, die kürzlich via Twitter einen Kundendienst auf Englisch verweigerte. Beutler meint dazu: „Wir entwickeln unser Produkt immer weiter und sind stets Vorreiter, weil wir immer die neuesten Features von Apple und Android in unsere Apps integriert haben. Das ist immer noch wichtig, denn wenn auch die Bahnunternehmen mit ihren eigenen Apps näher rücken, ist unser Alleinstellungsmerkmal, dass wir viel mehr als die Bahnanbieter anbieten. Das heißt, man muss jetzt nicht in Frankreich eine App runterladen und dann wieder in Spanien und dann wieder in Deutschland, sondern man hat eine App, die immer das gleiche Nutzungserlebnis bietet. Das ist, denke ich, sehr wichtig.“

Durch Startups wie Captain Train wird Europa besser erlebbar – und somit auch verständlicher. Dieser Dienst an der Gesellschaft ist sicher nicht das Ziel des Unternehmens, aber eine positive Nebenerscheinung und ein weiteres Beispiel, welchen Beitrag die Digitalisierung für eine bessere Welt leisten kann.


Images & Screenshot by Daniel Beutler


ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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