Crowd Union: Gewerkschaften als Plattform

Die Digitalisierung der Arbeitswelt stellt auch traditionelle Organisationsformen wie Gewerkschaften in Frage. // von Prof. Dr. Dr. Ayad Al-Ani

Mobile Worker (Bild: junpinzon, via PicsaStock)

Erstaunlicherweise werden die Effekte der Digitalisierung bislang vor allem aus Unternehmenssicht betrachtet. Dabei beeinflussen soziale Medien auch die Art und Weise, wie wir uns zusammenschließen und so politische Meinungen und Interessen kundtun und auch politische Issues lösen werden. Die neuen digitalen Mechanismen der politischen Organisation folgen dabei den generellen Prinzipien der Netz-Kollaboration: Individuen identifizieren ihre Aufgaben und steuern ihren Arbeitseinsatz selbstständig. Und sie agieren vor allem auch gemeinsam mit anderen handlungsorientiert – im Sinne des Paradigmas „To resist is to create“.

Braucht ein solch selbstgeleitetes, autonomes und gleichzeitig hochgradig anschlussfähiges Individuum bzw. ein solches Netzwerk von freien Produzenten (sog. Peer-to-Peer-Kollaborationen) Unterstützung durch traditionelle politische Organisationen, wie sie etwa Gewerkschaften darstellen, oder machen neue und billige Kollaborationsmechanismen diese überflüssig? Theoretiker der Multitude – eine Betrachtung, die die Gesellschaft nicht mehr aus Klassenbeziehungen sondern aus Sets von Interessen heraus beschreibt – würden diese Frage etwa verneinen. In solchen Modellen lösen sich Konflikte von selbst, da unzufriedene Personen abwandern (Exit) und per „Knopfdruck“ neue Plattformen aufsuchen oder „auf der Flucht“ konfliktvermeidend eigene Lösungen und Gegenpositionen mehr oder weniger „post-politisch“-aufbauen. Man erkennt hier eine gewisse Nähe zu klassischen Beschäftigungstheorie die auch davon ausgeht, dass man einfach (d.h. ohne Kosten) die Firma verlassen kann, wenn man mit der gegenwärtigen Beschäftigung unzufrieden ist.

Betrachtet man die möglichen Konflikte der Peers mit traditionellen Playern der Wirtschaft, fällt ein massives Machtgefälle bzw. eine markante Kooptationsstrategie der Unternehmen auf, die sehr ungleiche Positionen entstehen lässt. Dies deshalb, weil das Individuum zwar im Netz mit anderen Peers kooperiert, die Ergebnisse dieser Kooperation, sei es nun Codes oder Produktideen, von Unternehmen kooptiert und monetarisiert werden (und so ihren „öffentlichen“ Charakter verlieren). Dieser Prozess der Vereinnahmung der P2P-Produktion ist unausweichlich, weil die schlanke, abgemagerte Hierarchie der Unternehmen, keine Möglichkeiten mehr hat, Innovationen durch Experimente und Spielräume selbst zu erzeugen. Der Finanzdienstleistungsbereich ist hier instruktiv: Diese Unternehmen versorgen sich zunehmend durch einen eigenen „Fintech„-Sektor bestehend aus Startups und Crowd-Plattformen mit Innovationen, die die eigenen Ressourcen nicht mehr hervorbringen können: Der große Teil der IT-Ressourcen dieses Sektors ist ja mit der Umsetzung von Compliance-Anforderungen ausgelastet und steht für Innovationsleistungen nicht mehr zur Verfügung. Neben dieser Kooptation durch die Unternehmen werden die Peers auch durch findige Plattformunternehmer konsolidiert und vermarktet (Uber), die deren Ressourcen (Zeit, IT, Fahrzeuge, Wohnungen) als Konkurrenzangebot zu bestehenden Unternehmen aufbauen.

Das Individuum sieht sich in all diesen Fällen ausgeformten Interessenssituationen gegenüber, gegen die es sich alleine und auch mit anderen Peers nicht immer durchsetzen kann. Ein Exodus aus einer unvorteilhaften Situation ist in dem Maße auch nicht möglich, indem sinkende Beschäftigungszahlen in traditionellen Bereichen, den ursprünglichen voluntaristischen Charakter der P2P-Produktion zu einem Lebensstil transformiert, für den das Einkommen aus dieser Arbeit ein immer wichtiger oder sogar schon alleiniger Beitrag zum Haushaltseinkommen darstellt. Einiges spricht also dafür, dass in der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft Konflikte entstehen, die sich nicht durch Abwanderung in einen „glatten Raum“ lösen werden, sondern dem Aufbau von politischer Gegenmacht bedürfen, wie dies die Politiktheoretikerin Chantal Mouffee in einer Replik auf die Multitude befürwortet: „Widerstandspraktiken existieren in den unterschiedlichsten Räumen und es ist wichtig, zwischen ihnen eine Verbindung herzustellen„.

Wie können nun derartige Verbindungen zwischen isolierten, politischen Knotenpunkten und Widerständen entstehen und ist das Herstellen einer solchen Verbindung nicht die eigentliche Aufgabe von Gewerkschaften? Noch können wir beobachten, dass Gewerkschaften neue Plattformen und P2P-Arbeitsformen reflexhaft kritisieren, weil diese zulasten der traditionell Beschäftigten und gewerkschaftlich organisierten ArbeitnehmerInnen agieren. Weitergedacht sind aber auch die Uber-Fahrer mit ihren Interessen gegenüber der Plattform durchaus eine Zielgruppe für Gewerkschaften, die ihnen helfen können, Widerstandpunkte zu konsolidieren und zu verstärken, um das Machtgefälle auszugleichen.

Selbst wenn Gewerkschaften diese Erkenntnisse der digitalen Transformationen beherzigen und versuchen sollten, Peers auch als ihre Zielgruppe zu verstehen, scheint die Verbindung zwischen Gewerkschaften und Peers nicht einfach. Die Herausforderung für die Gewerkschaften besteht ja darin, dass sie hierarchisch organisiert sind und diese Art der Steuerung und Konsolidierung mit den als Netzwerk agierenden Peers nur schwer vereinbar ist. Wir könnten uns aber leicht eine Gewerkschaftsorganisation vorstellen, die diese neuen Prinzipien inkorporiert: Diese Organisation verwendet als Interaktionsfläche eine Art Plattform: Mitglieder (und Interessierte) nutzen diese virtuelle Plattform, indem sie zunächst Ihr Profil erstellen (Tätigkeiten, Skills, Berufsbild, Interessen …) und bekommen einerseits Zugang zu profilspezifischen Angeboten (Bildungsinhalte, Familien- und Arbeitsrecht) und natürlich zu anderen Teilnehmern, die ähnliche Interessen haben bzw. relevante Issues schon gelöst haben oder gerade lösen. Natürlich können sich die Plattformteilnehmer für bestimmte Aktionen zusammenschließen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Die Plattform unterstützt also die Selbstorganisation und die Gewerkschaft erfährt durch Blogs und Fragen, welche Probleme ihre Mitglieder haben und Unterstützung benötigen und auch wo sich eventuell Konflikte innerhalb der Community auftun (Piloten gegen Flugbegleiter).

Wie solche Kollaborationen aussehen können, kann man etwa am Beispiel der Uber-Fahrer-Kollaboration erkennen. Um diese Gruppe bei ihren Arbeitskampf in den USA zu unterstützen, gründete die Transportgewerkschaft eine eigene Suborganisation (California App-based Drivers Association – CADA). Die Fahrer selbst haben sich über eine eigene Plattform, uberpeople.net, zusammengeschlossen, mit der CADA enge Beziehungen unterhält: Diese Plattform steht jedem Interessierten offen und stellt sich als ein Forum dar, in dem man sich zu Themen wie Bezahlung, Beschwerden und Tipps sowie Konflikte austauschen und auch organisieren kann. Die Organisation der Peers bzw. ArbeitnehmerInnen in der digitalen Ökonomie beginnt also in jedem Fall und die Frage scheint nur zu sein, ob Gewerkschaften diese Organisationen verstehen und unterstützen, oder abseits stehen werden. Und es ist ja auch klar, dass diese Selbstorganisation nicht bei einem Anmahnen von Forderungen enden muss: Dieselbe ArbeitnehmerInnenplattform kann ja auch der Nukleus eines neuen Geschäftsmodells sein, welches Uber-Fahrer über eine eigene Plattform ihre Dienstleistung in Eigenregie anbieten lässt.


Teaser & Image by junpinzon, via PicasaStock


ist ein Professor für Change Management und Consulting. Momentan forscht er am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) auf dem Gebiet der internetbasierten Innovationen und ist Geschäftsführer der Beratungsagentur «tebble». Zuvor war er Professor an der ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin und der Hertie School of Governance in Berlin. Zusätzlich führte er die Berliner ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin als Rektor. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Change Management, Digitale Ökonomie und Politik, Organisationtheorie und Strategisches Management. Prof. Al-Ani verfügt über 20 Jahre Erfahrung in internationaler Beratungsfirmen und war zuletzt Executive Partner bei Accenture und Managing Director des Wiener Büros.


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