Zwei deutsche Jungjournalistinnen recherchieren in Brasilien die Geschichten, die ihre Leser wollen.
Die beiden deutschen Jungjournalistinnen Lisa Altmeier und Steffi Fetz haben ein außergewöhnliches Projekt gestartet: Crowdspondent.de. Finanziert mit einem Stipendium, sind sie drei Monate in Brasilien unterwegs, um Geschichten zu recherchieren. Geschichten, die die Internet-Crowd in Auftrag gibt. Via Twitter, Facebook oder im Blog können Interessierte Recherchen vorschlagen, Tipps geben oder für Artikel voten, die Altmeier und Fetz dann vor Ort bearbeiten. Im Interview sprechen die beiden über die Gefahren beim Recherchieren, den Unterschied zu normalen Auslandskorrespondenten und den Crowdfunding-Hype.
- Die beiden Journalistinnen Lisa Altmeier und Steffi Fetz berichten drei Monate lang aus Brasilien.
- Die Ideen für die Auslandsreportagen werden von den Lesern an die beiden Journalistinnen geschickt.
- Das Medienportal VOCER finanziert das Projekt, dass neue Formen des Journalismus testen soll.
Warum habt Ihr gerade Brasilien, mal abgesehen von Eurer Südamerika-Leidenschaft, ausgesucht?
Steffi: Wir haben uns das letztes Jahr im Sommer überlegt. Brasilien ist einfach ein spannendes Land, in dem sich viel verändert. Und wir hatten damals das Gefühl, dass das in den deutschen Medien zu kurz kommt.
Lisa: Natürlich wussten wir auch, dass die WM und die Olympischen Spiele hier stattfinden werden und waren gespannt, wie das das Land beeinflusst.
Einige Nutzer wollen Geschichten aus den Favelas oder der brasilianischen Drogenszene von Euch. Wo zieht Ihr die Grenze, wo wird es euch zu gefährlich?
Lisa: Die Frage stellen wir uns natürlich auch. In der Regel verlassen wir uns auf unser Bauchgefühl und auf das, was unsere brasilianischen Kontaktpersonen dazu sagen. Wenn sie eine Geschichte oder einen Ort zu gefährlich finden, nehmen wir das ernst.
Steffi: Wir informieren uns sehr gut, bevor wir irgendwo hingehen. Und wenn wir wie jetzt zum Beispiel in den Favelas recherchieren, sind wir mit zwei Brasilianern unterwegs, die sich dort gut auskennen.
Facebook-Nutzer werden euch nur Storys vorschlagen können, die sie schon einmal wo gehört/gelesen haben. Wie aber könnt Ihr bei eurem Projekt auf neue Geschichten stoßen, oder ist sind die Storys sowieso nicht fix an die Votings der Online-Community gebunden?
Steffi: Die User schlagen uns bisher eher grobe Themen vor und stellen uns Fragen. Welche Geschichte dabei am Ende genau heraus kommt, ist zu Beginn noch sehr offen. Manchmal bekommen wir auch nur den Tipp, eine interessante Person zu treffen – und die schickt uns wieder weiter zu einer anderen Person. Das läuft dann quasi nach dem Prinzip Schneeballsystem.
Lisa: Mittlerweile melden sich auch immer mehr Brasilianer bei uns, die in Deutschland leben und unser Projekt spannend finden. Die erzählen uns dann Geschichten, von denen man dort gar nichts mitkriegt. Wir sind aber selbst auch noch dabei, auszutüfteln, wie stark uns die Community lenkt und wie stark unser eigener Einfluss ist.
Wie nehmt Ihr die Proteste, die unter dem Schlagwort #ChangeBrazil laufen, wahr? Werden diese Proteste Eurer Einschätzung nach Auswirkungen auf die WM haben?
Steffi: Die WM wird vermutlich trotz aller Proteste so laufen wie die FIFA das will und nicht so wie sich die Brasilianer das wünschen würden. Das Stadion Maracanâ war zum Beispiel früher ein Ort für das Zusammentreffen aller. Jetzt wurde es für viel Geld umgebaut, privatisiert und nur noch Reiche werden sich die Tickets für die WM leisten können. Deshalb wird es nächstes Jahr sicher wieder Proteste geben – auch weil sich bis dahin die Probleme im Gesundsheits- und Bildungswesen etwa nicht ändern werden.
Lisa: Junge Leute erzählen uns, dass sie während der WM umso lauter und heftiger protestieren werden, weil sie dann wieder mehr internationale Aufmerksamkeit genießen. Die WM wird für Touristen wahrscheinlich weniger unbeschwert sein als bei den letzten Malen.
Ihr zieht ohne Auftragsmedium los. Erhofft ihr euch, im Zuge der nächsten Monate nicht nur von euren Social-Media-Fans, sondern auch von etablierten Medien Aufträge zu bekommen?
Lisa: Natürlich freuen uns, wenn uns jemand Geschichten abkauft, auf die wir bei der Crowdspondent-Recherche gestoßen sind. Solche Anfragen haben wir auch schon bekommen. Aber Priorität hat unser Projekt, denn deshalb sind wir hierher gekommen.
Wissen eure ehemaligen Arbeitgeber “Zeit Online”, “Süddeutsche” oder der “ZDF” von eurem Projekt? Und wenn ja, haben die sich dafür interessiert?
Steffi: Ja, wir haben die Idee weiterverbreitet. Einige Redaktionen sind auf uns zugekommen und meinten, dass sie gerne Geschichten von uns haben wollen. Aber sie interessieren sich schon mehr für konkrete Themenideen als für das Konzept an sich.
Ihr habt vom Medien-Thinktank VOCER ein Stipendium bekommen und steckt zusätzlich eigenes Geld in die Reise. Warum lässt sich Euer Projekt nur so finanzieren?
Lisa: Vielleicht ließe es sich ja auch anders finanzieren. Als wir die Idee hatten, haben wir aber direkt an ein Stipendium gedacht. Wir dachten, dass zum Ausprobieren ein unabhängiger Geldgeber erst mal besser ist als ein großes Medienhaus. Und wahrscheinlich haben wir auch geglaubt, dass wir bei einem Programm wie dem VOCER Innovation Medialab mit einer verrückten Idee besser landen können. Hat ja dann auch geklappt.
Euer Geldgeber VOCER schwärmt von der “Erkundung neuer Darstellungsformen und Kommunikationswege” im Journalismus. Welche setzt Ihr in eurem Projekt ein?
Steffi: Die User haben mit uns ihre persönlichen Reporter im Ausland, die sie durch die Gegend schicken können. Sie wissen, wer da für sie unterwegs ist. Wir experimentieren also mit einer neuen Form von Kommunikation zwischen Journalist und Rezipient. Der große Unterschied zu normalen Auslandsjournalisten ist ja, dass wir immer im direkten Kontakt mit den Usern stehen: Unsere Redaktionskonferenz findet in der Crowd statt.
Lisa: Und was die Darstellungsformen angeht: Wir sind ja erst zwei Wochen in Brasilien, und fangen gerade an, uns auszutoben. Wir versuchen aber, Audio, Film und Text möglichst kreativ und sinnvoll miteinander zu verknüpfen.
Euch geht es auch darum, neue Geschäftsmodelle für den Journalismus auszuprobieren. Welches erscheint euch aus heutiger Sicht am sinnvollsten?
Steffi: Uns geht es eher darum, neuen Journalismus auszuprobieren. Gerade gibt es natürlich durch Plattformen wie Krautreporter einen kleinen Crowdfunding-Hype und falls wir nach dem Brasilien-Experiment weitermachen, kann ich mir so was auch für unser Projekt vorstellen. Schließlich basiert Crowdspondent darauf, dass wir Leser und Zuschauer haben, die uns aktiv unterstützen.
Ihr habt beide “schlecht bezahlte Praktika” hinter euch, u.a. der Rhein-Zeitung, beim ZDF oder beim BR, habt bei Zeit Online und die Süddeutsche Zeitung gearbeitet. Wie steht es Eurer Meinung nach um die Chancen für den journalistischen Nachwuchs, woran mangelt es?
Lisa: Klar, der Arbeitsmarkt für junge Journalisten ist mies. Ich mag den Wandel in der Medienbranche trotzdem; ich glaube, dass man online Leute nochmal ganz anders für Themen begeistern kann. Insgesamt könnten sich die Medienunternehmen aber noch mehr trauen. Da fehlt ein bisschen der Mut.
Ab welchem Punkt wertet ihr Euer Projekt als Erfolg?
Steffi: Wir haben uns kein Ziel gesetzt, dass man an irgendwelchen Followerzahlen oder Like-Buttons festmachen könnte. Ich glaube, wir sind erfolgreich, wenn wir viel ausprobieren, dabei viel lernen und das Ganze dann auch unseren Usern gefällt. Und wenn wir es schaffen, Leute für Brasilien zu interessieren – und das nicht nur, weil da im nächsten Jahr die WM stattfindet.
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Schlagwörter: Brasilien, Crowdspondent, Innovation, journalismus, Projekt, Vocer
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