Das Problem der Netzpolitik ist die Netzpolitik

In seiner Kolumne beschäftigt sich Nico Lumma mit dem Medienwandel und Kompetenzen die damit einhergehen. Nicht nur im Beruf, sondern auch in der Schule und Familie. Diesmal geht es um Netzpolitik. // von Nico Lumma

Netzpolitik (Bild: redcctshirt [CC BY 2.0], via Flickr)

Netzpolitik ist ein Thema, das einfach nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen will. Allein schon der sperrige Begriff steht im Weg, wenn es darum geht, das Thema anderen Leuten näher zu bringen. Die netzpolitische Avantgarde schafft es nicht ansatzweise, die Relevanz des Themas zu transportieren und Leute dafür zu begeistern.

Das liegt an mehreren Faktoren. Erstens wird ein Diskussionsstil im Netz gewählt, der schon mal klar macht, dass man ohne technischen Sachverstand gar nicht erst mitzudiskutieren braucht. Experten haben ihre Fachbegriffe, aber in der Netzpolitik wird jeder Versuch, Sachverhalte einfacher zu erklären, gleich zunichte gemacht und ins Lächerliche gezogen.

Hinzu kommt eine Diskussionsführung, der wenig Raum für Kompromisse lässt und einen deutlichen Hang zur Rechthaberei offenbart. Dadurch entgleiten viele Diskussionen gleich zu Grundsatzdebatten, die man auch nicht immer bereit ist zu führen. Zweitens ist die Themenauswahl so sperrig, dass sie darauf angelegt ist, dass die Experten weiterhin unter sich bleiben, obwohl man eigentlich viel mehr Leute inkludieren müsste. Den meisten Leuten geht nicht das Herz auf, wenn über Vorratsdatenspeicherung, Überwachung oder Verschlüsselung diskutiert wird und in aller Regel sind sie nicht daran interessiert, komplizierte Lösungen umzusetzen, nur damit sie der reinen Lehre folgen.

Die Menschen haben aber sehr wohl ein Interesse an Netzpolitik, aber das Thema begegnet ihnen ganz anders. Die Frage der Ausstattung mit Tablets oder Laptops in der Schule, die Regelung der Email-Nutzung nach Feierabend oder die Breitbandversorgung auf dem Land sind Themen, die viel näher an der Lebenswelt der Menschen sind als die Frage echter End-to-End-Verschlüsselung von Emails, das Schicksal von Edward Snowden oder die Speicherfrist bei der Vorratsdatenspeicherung. Wir müssen akzeptieren, dass die Netzpolitik viel zu nerdig ist, als dass sie für die breite Masse verständlich ist.

Wir befinden uns als Gesellschaft in der Phase der digitalen Transformation. Getreu dem Ausspruch von William Gibson „the future is already there, it is just unevenly distributed“ sind einige in der Gesellschaft schon etwas weiter in diesem Transformationsprozess und andere hinken etwas hinterher. Uns sollte aber klar sein, dass es hier nicht um richtig oder falsch oder ganz oder gar nicht geht, sondern um einen Prozess, der teilweise quälend langsam passiert, aber auch mal so viel Momentum bekommen kann, dass er alle überfordert. Die Aufgabe der Netzpolitik sollte es sein, möglichst viele Menschen mitzunehmen auf diesem Weg und nicht das eigene Expertendasein zu nutzen, um weiterhin ein exklusiver Zirkel der Topcheckerbunnies zu sein. Ansonsten wird nämlich die Netzpolitik ohne die vermeintlichen Netzpolitiker gemacht, da diese keine Antworten zu den wirklich drängenden Fragen der digitalen Transformation finden wollen.

Für die Menschen mag Verschlüsselung und Privatsphäre wichtig sein, aber viel essentieller ist die Fragestellung, wie Arbeit und Freizeit von der digitalen Transformation betroffen sein werden. Wenn wir dies aber diskutieren wollen, dann müssen wir akzeptieren, dass wir einen Diskurs führen müssen, der ohne Technik-Allüren auskommt.


Teaser & Image by redcctshirt (CC BY 2.0)


arbeitet als COO des next media accelerator (http://nma.vc) in Hamburg. Er bloggt auf lumma.de und ist seit 1995 eigentlich nicht mehr offline gewesen. Er ist Mitglied der Medien- und netzpolitischen Kommission des SPD Parteivorstandes und Co-Vorsitzender des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. Unter @Nico findet man ihn auf Twitter. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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1 comment

  1. Einen Diskurs ohne Technikallüren zu führen, finde ich auch gut.

    Allerdings sollten wir niemandem vorschreiben, wie er zu diskutieren hat. Wenn ein Nerd Technikallüren hat und daher auf hohem technischem Niveau über Netzpolitik oder Vorratsdatenspeicherung diskutieren will, dann bin ich der letzte, der ihm das verbietet.

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