David Polfeldt ist Managing Director bei Massive Entertainment – dem Studio hinter Titeln wie World in Conflict oder The Division! Aktuell arbeitet das Studio an dem kommenden Avatar-Spiel. Vor kurzem hat er sein Buch The Dream Architects: Adventures in the Video Game Industry veröffentlicht, in dem er den Weg seiner Karriere sowie die Entwicklung der Videospielindustrie in den letzten 30 Jahren beschreibt. Hier erzählt er uns vom Beginn seiner Karriere in einer kleinen Spiele-Sparte eines typischen New Economy-Startups, über diverse Misserfolge, bis hin zu den ersten und jüngsten Erfolgen bei Massive. In seinem Buch beschreibt David Polfeldt allerdings mehr, als bloß die einzelnen Stationen seiner Karriere. Vielmehr geht es um das, was er auf seinem Weg über sich, über andere und über die Gamesindustrie gelernt hat. Wir haben uns mit ihm über die Industrie, den Prozess des Schreibens und die Notwendigkeit von Ehrlichkeit und Offenheit unterhalten. Ein Buch und ein Gespräch, aus dem sich viel Wissen, Motivation und Inspiration ziehen lassen. Ob ihr nun in der Spieleindustrie arbeitet, oder nicht, ist dabei eigentlich egal!
Dream Architects ist ein sehr offenes und ehrliches Buch über die Spieleindustrie und deine Karriere in dieser Branche. Was war deine Motivation, das Buch zu schreiben und so ehrlich zu sein?
Vielen Dank für die netten Worte! Ich habe das Buch aus verschiedenen Gründen geschrieben, aber für alle davon war es eigentlich notwendig, dass ich ehrlich bin. Bis zu einem gewissen Grad habe ich das Buch für Leute geschrieben, die jünger sind als ich und neugierig auf die Arbeit mit Games. Ich wollte einen ehrlichen Einblick in das geben, was die Arbeit mit Games von mir verlangt hat. Auch wollte ich zeigen, warum das Ganze für mich am Ende aber geklappt hat. Außerdem habe ich das Buch auch für mich selbst geschrieben, um meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Der Erfolg in der Spieleindustrie fühlte sich heute ganz anders an, als ich es mir vorgestellt hatte. Selbstreflexion erfordert aber nun mal eine gehörige Portion Ehrlichkeit. Alles andere wäre nur eine Form von Selbstbetrug. Und schließlich habe ich das Buch auch irgendwie für meinen Vater geschrieben. Der ist weggezogen, als ich neun Jahre alt war. Auf diese Weise wollte ich ihm auf authentische Weise von meinen beruflichen Abenteuern erzählen.
In Dream Architects sprichst du viel über die Ursprünge der New Economy. Manchmal hat man das Gefühl, du blickst amüsiert auf die „gute alte Zeit“ zurück. Wie denkst du heute über die frühen Tage der New Economy?
Ja, ich kann ein bisschen nostalgisch auf diese Zeit zurückblicken, denn in dieser Zeit waren die Menschen aufgeschlossen und hatten große Träume. Ich habe Träumer immer gemocht, auch wenn die Träume absurd waren. Wenn ich auf die Jahre der New Economy zurückblicke, würde ich sagen, dass tatsächlich die meisten Dinge, über die wir spekuliert haben, wahr geworden sind. Allerdings nicht genau so, wie wir es uns vorgestellt haben. Die Kernessenz der Ideen ist eigentlich dieselbe, aber die Logistik, die Finanzen und die Interessengruppen sind sehr unterschiedlich. Ich glaube, die naivste Vorstellung, die wir von der New Economy hatten, war, dass die alten Unternehmen verschwinden und durch hochmoderne Startups ersetzt werden würden. Was dann aber passiert ist, war eher, dass die alten Unternehmen einfach die neuen Ideen annahmen und sich langsam modernisierten.
Du warst nicht immer der Managing Director eines großen AAA-Studios, das mit Hollywood zusammenarbeitet. Tatsächlich befand sich dein erstes eigenes Büro in einem verlassenen Ballsaal. Was vermisst du an den Zeiten deiner Anfänge?
Eigentlich war mein aller, aller, aller erstes Büro in einem feuchten Keller in Stockholm. Im Ballsaal angekommen, hatte ich schon das Gefühl, erstaunliche Fortschritte gemacht zu haben! Wenn ich auf die alten Zeiten zurückblicke, vermisse ich es besonders, mit dem gesamten Team in einem Raum zu sein und gemeinsam an Lösungen zu feilen. Ein solches Team in Rockband-Größe kann eine fast telepathische Kommunikation erreichen. Es hat gut zu mir gepasst, in einer engen, ultra-loyalen Gruppe zu sein, die sich kaum um Unternehmensstrukturen kümmert.
Die Anfänge waren für dich und deinen Freund Kim Nordström schwer. Auch später in der Entwicklung von The Division hattest du mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen und hast dich verloren gefühlt. Was hat dich angetrieben? Wie hast du dich da rausgezogen?
Als ich das Buch gelesen habe, ist mir aufgefallen, wie oft ich mich von Misserfolgen wieder aufgerappelt habe. Ich hatte vorher eigentlich nicht viel darüber nachgedacht. Zu einem großen Teil ist das auch die Antwort: Während meiner gesamten Karriere habe ich sehr wenig Zeit damit verbracht, mich zu beschweren, mir die Schuld zu geben oder mich zum Opfer zu machen. Ich habe immer akzeptiert, dass es zu Misserfolgen führen kann, wenn man an seine Grenzen geht. Auf Umwegen betrachtete ich das Scheitern eher als ein Zeichen von Tapferkeit, anstatt von Inkompetenz.
Jetzt, wo ich zurückblicke, kann ich sehen, dass diese Einstellung manchmal an eine Wahnvorstellung grenzte, aber stell es dir einfach einmal so vor: Ein Fußballspieler, der kurz vor einem wichtigen Spiel steht, weiß, dass er daran glauben muss, dass er gewinnt. Das ist ein gewollter, konstruierter Optimismus – keine Naivität. Und wenn man dann verliert, gibt es Zeit zum Nachdenken und zur Verbesserung, aber das bedeutet immer noch nicht, dass man das nächste Spiel mit der Erwartung spielen kann, zu verlieren. Man muss sich selbst darauf programmieren, zu glauben, dass man erfolgreich sein kann.
Was vermisst du an der Spieleindustrie von damals?
Ich vermisse den kurzen Sprung von einer Idee zum Testen eines spielbaren Prototyps. Damals warf jemand beim Morgenkaffee eine Idee in den Raum und mit einem Schubs konnten wir sie noch am selben Tag testen, bevor wir nach Hause gingen. Die extrem kurzen Iterationszeiten führten zu einem Entwicklungsszenario, das uns im Grunde dazu gezwungen hat, unsere eigenen Annahmen sehr schnell zu testen und zu überprüfen. Wir wussten innerhalb von Stunden, ob eine Idee schlecht oder gut war, und das hat uns extrem schnell lernen und wachsen lassen. Ich bin ein großer Fan davon, neue Dinge zu entdecken und diese Art von Tempo hat mich wirklich fasziniert.
Was gefällt dir im Vergleich dazu an der heutigen Branche?
Der offensichtliche Vorteil der modernen Spieleentwicklung ist die wahnsinnige Menge an Muskeln, die wir haben. Ich meine die Hardware… die ist unglaublich. Das gilt auch für die besten Game-Engines. Die Dinge, die wir heute tun können, waren technisch und physikalisch unmöglich, als ich anfing. Es ist, als würde man ein Fahrrad mit einem Raumschiff vergleichen. Diese unglaubliche Menge an Möglichkeiten erlaubt es uns, noch größer zu träumen und das ist extrem cool!
Du hast davon gesprochen, dass du nie Brücken zu Menschen einreißt. Ein gutes Beispiel dafür ist deine Beziehung zu Martin Walfisz, der dich bei Massive einstellte, Jahre nachdem ihr euch kennengelernt hattet. Was waren die Herausforderungen bei diesem Buch, wenn man bedenkt, dass du keine Brücken einreißen wolltest?
Du hast Recht: Das war ziemlich schwierig und ich habe es mir selbst noch schwerer gemacht, weil ich kein billiges, klickgeiles Buch mit verrückten Trash-Geschichten über andere Leute schreiben wollte. Obwohl ich, um ehrlich zu sein, auch einen gewissen Groll hege und Dinge gesehen habe, die wahrscheinlich einem Skandal gleichkommen würden. Aber irgendwann habe ich beschlossen, dass Idioten in meinem Buch nichts zu suchen haben und damit war das Problem zur Hälfte gelöst. Dann habe ich die relevanten Teile des Buches an die meisten der Leute geschickt, die darin vorkamen, um zu prüfen, ob sie mit dem, was ich geschrieben hatte, einverstanden waren. In fast allen Fällen waren sie dann auch einverstanden, aber ich denke, am Ende habe ich wahrscheinlich mindestens zwei Brücken einreißen müssen…
In deinem Buch sprichst du viel über Unsicherheiten oder Verletzlichkeit. Diese Ehrlichkeit gefällt uns sehr. War es schwer für dich, so offen über deine persönlichen Unsicherheiten zu sprechen?
Nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass es sich sehr von dem unterscheidet, wie ich normalerweise bin. Ich glaube, ich bin eher neugierig als eitel und Ehrlichkeit ist ein notwendiges Werkzeug, um mit der Realität in Berührung zu kommen – dass das Dinge über mich selbst offenbart, ist fast ein zufälliger Nebeneffekt. Oft, nach einem besonders interessanten Gespräch oder einer guten Schreibsession, macht meine Eitelkeit sich ein wenig bemerkbar, aber letztendlich bin ich damit einverstanden, transparent zu sein. Es ist zu kompliziert, zu verstecken, wer man ist.
Du beschreibst eine Menge harter Arbeit in der Branche, die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen und zu sehen, ob es sich lohnt, eine Gelegenheit wahrzunehmen. Wie entscheidest du, ob du eine Chance ergreifen willst oder nicht?
Ich wünschte, ich wäre besser darin, haha! Aber ich sehe es folgendermaßen: Ich setze nicht viele Prioritäten und bleibe offen. Ich probiere lieber so viele Theorien wie möglich aus, um zu sehen, welche am Ende die richtige ist. Der beste Weg, um das zu tun, ist schnell Entscheidungen zu treffen, schnell zu handeln, schnell zu scheitern und schnell aufzuhören, Zeit auf schlechte Ideen zu verwenden. Je mehr Iterationen du an einem Tag durchlaufen kannst, desto mehr lernst du, bis schließlich irgendwann diese vielen kleinen Learnings zu deiner Experience werden. Und dann wirst du schließlich regelmäßig bessere Entscheidungen treffen, weil du dir einmal erlaubt hast, viele Fehler zu machen. Die größte Hürde ist es, mit Leuten zu arbeiten, die denken, dass sie alle Antworten kennen, weil sie nicht wirklich experimentieren oder sich selbst herausfordern, sondern einfach auf Nummer sicher gehen. Das ist Stagnation, nicht Innovation.
Du hast eine Menge verschiedener Spiele in vielen Genres entwickelt. Wie bist du an die Herausforderungen eines Genres herangegangen, in dem du zuvor noch nie ein Spiel entwickelt hast?
Wir haben immer unheimlich viele Spiele gespielt. Wir haben zuerst zum Spaß gespielt und dann, um zu sezieren und zu lernen. Sehr kluge und talentierte Leute haben die meisten Antworten bereits gegeben und durch die bewusste Recherche anderer Spiele fühlten wir uns sehr gut vorbereitet, neue Dinge auszuprobieren. Es gibt durchaus Zeiten, in denen ich denke, dass es für Massive gut gewesen wäre, konservativer zu sein, aber ich bin rastlos und neugierig, daher fühle ich mich automatisch zu neuen Herausforderungen hingezogen, selbst wenn sie entmutigend sind.
In deinem Buch geht es viel darum, dich auf neue Herausforderungen einzustellen und dich selbst und Massive in neue Bereiche vorzustoßen. Aber es geht auch um Überstunden, Burnout und Konflikte. Wie hast du es geschafft, deine Balance zwischen diesen Dingen zu finden?
Habe ich diese Balance gefunden? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das habe.
Du hast dich von einem Künstler, der allein an Gemälden und Illustrationen arbeitet, zu einem Managing Director entwickelt, der mit Hunderten von Leuten an Spielen arbeitet. Welche deiner Fähigkeiten aus dem Künstlerdasein haben dir später in deiner Karriere geholfen?
Was mir am meisten geholfen hat, ist die Tatsache, dass ich wirklich aus erster Hand verstehe, was es bedeutet, ein Handwerker zu sein. Als Illustrator habe ich viele persönliche Erfahrungen gemacht. Ich habe gelernt, wie andere Menschen mich zu einem besseren oder schlechten Künstler machen konnten. Daher habe ich sehr viel darüber nachgedacht, was die Dinge sind, die einen Künstler positiv und negativ beeinflussen und darauf habe ich meine gesamte Managementphilosophie aufgebaut. Wenn meine Mitarbeiter moderne Versionen von Michelangelo sind, wie kann ich sie besser machen?
Ico von Fumito Ueda ist eines der Spiele, das dich am meisten beeinflusst hat. Wie hat es deine Perspektive auf Spiele verändert?
Bis ich Ico spielte, hatte ich das Potenzial unseres Mediums nicht verstanden. Aber Ueda-sans Spiele haben mich erkennen lassen, dass Videospiele viel tiefgründiger sein können als Literatur, Theater, Filme, Fernsehen, Musik, Comics, Poesie, Radio oder jede andere Form von Medien der alten Schule. Manche Leute halten das für eine provokante Aussage, aber ich glaube nicht, dass es das ist. Denn Spiele sind ein partizipativer Dialog, während Old-School-Medien eher einen einseitigen Monolog darstellen. Spiele werden gemeinsam mit dem Publikum geschaffen, während Medien der alten Schule in kleinen, isolierten Gruppen geschaffen werden, die Annahmen im Namen ihres zukünftigen Publikums treffen.
Spiele nutzen außerdem mehr Sinne und Synapsen als jedes andere Medium der alten Schule. Somit ist es unvermeidlich, dass zukünftige Spieldesigner es verstehen lernen, all dieses Potenzial zu nutzen und Spiele zu erschaffen, die besser sind als Shakespeare, bewegender als jeder Film von Tarkovskij, subtiler als die besten japanischen Haikus und revolutionärer als die Beatles. Das ist es, was ich von der jungen Generation und ihren Spielestudios erwarte und fast schon fordere.
Du betrachtest Spiele als Kunst, aber bist auch mit der finanziellen Seite der Spieleentwicklung vertraut. Wie bringst du die Finanzen und die Kunst unter einen Hut?
Gott sei Dank ist Geld nicht die ultimative Macht in der Unterhaltungsindustrie. Die Qualität gewinnt immer. Natürlich gibt es unkreative Zyklen, in denen der Profit die Welt der Videospiele zu beherrschen scheint, aber eigentlich gelingt es dem Profit nie, diese Kontrolle lange aufrechtzuerhalten, ohne zynisch und langweilig zu wirken. So bleibt Platz für echtes Talent. Einfach weil das Publikum es verlangt. Ich persönlich ignoriere Budgets die meiste Zeit, was manche Leute unglaublich ärgerlich finden, aber die Wahrheit ist, dass es in der Spieleindustrie fast keine Korrelation zwischen dem Budget und dem Ergebnis gibt. Sehr billige Spiele sind ungeheuer erfolgreich geworden und außergewöhnlich teure Spiele sind kläglich gescheitert. Das Starren auf eine Excel-Tabelle sagt mir nicht, ob mein Spiel gut ist oder nicht.
Du hast in deinem Buch auch eine Menge Machogehabe beschrieben. Warum gibt es deiner Meinung nach so viel davon in der Spieleindustrie?
Vergessen wir nicht, dass die Spieleindustrie ihre Wurzeln in den Leidenschaften und Fantasien von Teenagern hat, daher ist es nicht allzu verwunderlich, dass sie immer noch viele Zeichen der Unreife trägt. Und gleichzeitig ist, wie ich in meinem Buch beschreibe, der Druck wirklich, wirklich groß und viele Leute verzinken sich, um nicht zu zerbrechen. Das Machogehabe ist ein fehlgeleiteter Versuch, Stärke zu projizieren, aber wie du sicher weißt, kommt das am Ende nur als Unsicherheit rüber.
Mit World in Conflict, Assassin’s Creed Revelations, Far Cry 3 und The Division haben Du und Massive eine Menge „Crunch-Zeit“ erlebt. Warum sind aus deiner Sicht Überstunden ein solches Problem in der Spieleindustrie ist?
Als wir anfingen, Spiele zu entwickeln, waren wir dabei, unsere Leidenschaft zu erforschen und unsere Identitäten zu entwickeln. Damals sahen wir das noch nicht einmal als Job an und in der Tat hat uns in den ersten Tagen auch niemand für das bezahlt, was wir taten, also war es streng genommen keine richtige Arbeit. Wir haben hart gearbeitet, weil wir unsere eigenen Träume verfolgten und als wir sahen, dass sie wahr wurden, schien es wie Magie und inspirierte uns noch mehr – Perfektion schien plötzlich erreichbar zu sein, und so war jede zusätzliche Minute, die wir verbrachten, eine gut investierte Minute. Aus unserer Sicht lebten wir ein Abenteuer. Wir waren gemeinsam auf einer exotischen Reise zu erstaunlichen, unentdeckten Orten unterwegs.
Aus psychologischer Sicht rächten wir uns gleichzeitig an allen, die uns einst verspottet hatten. Wir haben unsere Selbstverwirklichung auf eine tiefere und produktivere Weise erforscht und irgendwann verdienten wir auch noch Geld damit… Wenn man das alles zusammennimmt, hat man eine sehr potente Mischung aus materiellen und esoterischen Bedürfnissen, die die Überstunden wie einen sehr kleinen Preis erscheinen lassen… In letzter Zeit haben wir als Industrie die Probleme entdeckt, zu denen diese Art von Arbeitsethik ohne Überstunden führt, und (zumindest in Schweden) haben die Spielestudios heutzutage geregelte Arbeitszeiten.
Überstunden werden oft als eine moderne Form der Sklaverei dargestellt. Du selbst beschreibst Zeiten, in denen Teile des Teams im Büro schliefen und wie die Irren arbeiteten. Wie stehst du zu Überstunden? Sind sie vermeidbar? Schlechtes Management oder reines Engagement Einzelner?
Fairerweise muss man sagen, dass viele unserer Mitarbeiter auf der Suche nach Selbstverwirklichung sind und ihren Job mit ihrer Identität verwechseln, sodass es nicht immer einfach ist, sie davon abzuhalten, zu sehr nach vorne zu pushen. Aber größtenteils würde ich sagen, dass die Überstunden ein Versagen des Managements sind, verursacht durch Einstellungen der alten Schule, die in keiner Branche Platz haben.
Was ist die größte Herausforderung bei der Arbeit an einem AAA-Spiel?
Heute gibt es so viele kleine Einzelteile, die zusammenarbeiten müssen, bevor wir genau beurteilen können, ob eine Gameplay-Idee gut ist oder nicht. Aufgrund der Komplexität unserer Entwicklungszyklen dauert es sehr lange, Probleme zu entdecken. Wenn wir sie dann einmal entdeckt haben, sind sie oft schwer zu beheben. Was im Nachhinein offensichtlich aussieht, kann völlig unsichtbar sein, wenn wir mittendrin sind.
AAA-Spiele zu machen, scheint ein großer Druck zu sein, der zwischen großen Publishern, Finanzen, der Qualität und dem Glück der Mitarbeiter entsteht. Was würdest du tun, wenn du keine Einschränkungen und keinen finanziellen Druck hättest?
Oh, ich würde die Grenzen des Mediums ausloten! Ich möchte herausfinden, wie man in Spielen richtige Geschichten erzählen kann, besser als in Filmen. Und ich möchte die Techniken verstehen, um echte, tiefe Emotionen in Spielen zu erzeugen – Dinge, die Menschen zum Weinen oder Lachen oder auch Schreien bringen. Außerdem möchte ich erforschen, wie künstliche Intelligenz eingesetzt werden kann, um auf sinnvolle Weise mit dem Spieler zu interagieren.
Das bin ich, wenn ich tiefgründig bin, haha! Wenn ich oberflächlich bin, würde ich gerne ein großartiges Koop-Sofa-Erlebnis entwickeln, oder ein Fußballspiel, das für jeden auf der Erde kostenlos verfügbar ist, so wie der echte Fußball auch. Oder ich würde gerne den E-Sport weiter erforschen; wenn die Pandemie vorbei ist, möchte ich in eine überfüllte Arena gehen und Spaß dabei haben, digitalen Helden beim Spielen zuzusehen. Oder… ich würde gerne die alten Disney-Marken zum Leben erwecken – Was ist das Äquivalent zu Schneewittchen oder Steamboat Willie heute? Und natürlich – würde ich dafür sterben, an einem Projekt mit Fumito Ueda zu arbeiten! Und außerdem wollte ich schon immer ein richtig, richtig gruseliges Horrorspiel machen, wie Silent Hill, nur noch gruseliger.
Ja, es gibt so viel zu tun. Und jetzt will ich auch noch mehr Bücher schreiben! Nicht genug Zeit…
Um 2010 herum sagtest du, die Spieleindustrie sei zu technikgetrieben. Wie sieht es heute aus?
Das ist heute besser in dem Sinne, dass dank des Game-Streamings die Technik für Videospiele bald überflüssig wird. Aber auf der anderen Seite denke ich, dass wir derzeit zu sehr vom Geld getrieben sind und es zu viele Firmen gibt, die nach profitablen Inhalten suchen, anstatt nach wirklich talentierten, innovativen Entwicklern. Ich denke, wir befinden uns in einer Phase, die mit ein paar spektakulären Misserfolgen gipfeln wird. Aus der Asche dieser Katastrophen werden wir den Aufstieg der nächsten wichtigen Evolution der Videospiele erleben. Vielleicht im Jahr 2023?
Du hast die Veröffentlichung der vergangenen PlayStation- und Xbox-Generationen sehr genossen. Wie glaubst du, wird die neue Konsolengeneration die Spieleindustrie verändern oder beeinflussen? Abgesehen von besserer Grafik und schnelleren Ladezeiten ;)
Für Spiele denke ich, dass wir die Zukunft völlig hardwareunabhängig erwarten sollten. Das massentaugliche Streaming von Videospielen steht kurz bevor und wenn es dann soweit ist, wird jeder einzelne angeschlossene Bildschirm auf der ganzen Welt zum Fenster zur besten Playstation, PC oder Xbox.
Welchen Rat kannst du Leuten geben, die in der Spieleindustrie arbeiten wollen oder bereits dort arbeiten und eine Karriere aufbauen wollen?
Zuallererst solltest du wissen, dass wir weit, weit davon entfernt sind, die coolsten Ideen in dieser Branche erfasst und entdeckt zu haben. Die coolsten Sachen warten noch auf uns. Ich sage oft, dass wir uns in der „Stummfilm-Ära“ der Spieleentwicklung befinden. Damit meine ich, dass wir immer noch nur primitiven Gebrauch von einem Medium machen, das noch viel mehr Potenzial hat. Wenn ein aufstrebender Spieleentwickler das erst einmal erkannt hat, muss er sich darüber im Klaren sein, dass der Weg vor ihm sehr schwer sein wird. Er muss stets geduldig und hartnäckig bleiben. Dies ist keine Branche für Kindergenies wie in der Musik oder im Sport – dies ist eine Branche für die kampferprobten Veteranen, die weise und meisterhaft geworden sind. Um dorthin zu gelangen, braucht man eine lange Zeit und viele Fehlschläge. Mein Buch soll eine Art Landkarte für junge Träumer sein, damit sie ihren eigenen Weg durch Misserfolge und Comebacks finden können.
Danke David für dieses tolle Interview!
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