Der Bundesgerichtshof benötigt Mathe-Nachhilfe

Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler erstellen laufend fragwürdige Modelle. Und der Bundesgerichtshof gibt ihnen auch noch recht. // von Gunnar Sohn

BGH (Bild: Thomas Steg [CC BY 2.0], from Wikimedia Commons)

Die Modelle, mit denen Händler, Banken und Versicherungen arbeiten, sind, wie der Mathematiker Yuri Manin sagt, in hohem Maße in der Software ihrer Computer codiert. Was diese mathematisch-statistischen Verfahren leisten, sind Optionen, Wahrscheinlichkeiten, Vorschläge, Hinweise und Anregungen. Dahinter stecken allerdings wiederum Menschen, die mit Annahmen und Gewichtungen für ihre Prognose-Rechnungen operieren. Und die können Unternehmen, Volkswirtschaften, Konsumenten, Wähler und Politiker auch völlig in die Grütze manövrieren.

Wo Ungewissheit und menschliche Fehler wuchern, versagen leider auch die besten Simulationsrechnungen. Bei Wetterprognosen und Stauwarnungen kann ich das ja noch verkraften, auch wenn ich im Regen stehe oder mit dem Wagen keinen Meter mehr weiter komme. Selbst das Versagen der Konjunkturforscher bei der Vorhersage der Wachstumsentwicklung ist nur eine Randbemerkung wert – auch wenn sich dieses Glaskugel-Ritual nun schon seit über 40 Jahren abspielt und sich keine Erfolge bei der VWL-Wahrsagerei einstellen. Für diesen VWL-Schabernack überweist der Staat jährlich rund 50 Millionen Euro an die Forschungsinstitute.

Fallobst-Rechner

Wenn allerdings die statistischen Fallobst-Rechnereien meine Existenz beeinträchtigen, sieht die Sache anders aus. Wenn fehleranfällige Statistik-Methoden und Maschinen Entscheidungen über einzelne Menschen treffen oder vorbereiten, etwa bei der Verweigerung von Krediten, hört der Spaß auf.

Es reicht nicht aus, einen Daten-TÜV ins Spiel zu bringen, bei dem ich die Möglichkeit habe, die Vorhersagen der automatischen Denunzianten-Systeme zu entkräften. So eine Institution hat Professor Mayer-Schönberger vom Internet Institute in Oxford ins Gespräch gebracht: Algorithmen, die Risiko-Vorhersagen berechnen, müssten einsehbar sein, sagt der Autor des Buches „Big Data – Die Revolution, die unser Leben verändern wird“: „Die Faktoren, die in die Berechnung der Prognose einfließen, müssen transparent sein, und es muss Regeln geben, wie der Betroffene das Ergebnis widerlegen kann.“ Umgekehrt wird ein Schuh draus.

Rechtliche Konsequenzen für Daten-Analysten verschärfen

Die Beweislast muss beim Modellschreiner liegen. Wenn er mich ohne Offenlegung der Berechnungsmethoden als kreditunwürdig einstuft, sollte das straf- und zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Besonders bei einem Unternehmen, das zu den Big-Data-Giganten in Deutschland zählt und das schon zu Zeiten, wo keine Seele über Big Data redete. Gemeint ist die Schufa Holding AG, die mit unseren Daten lukrative Auskunftsgeschäfte macht und jährlich rund 120 Millionen Euro Umsatz einsackt.

Im Zentrum steht dabei der sogenannte Basis-Score. Auch hier kommt die Wahrscheinlichkeitsrechnung ins Spiel und spuckt Prognosen aus, ob ein Kunde seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen wird oder nicht. Und auch hier passieren Fehler mit üblen Kollateralschäden, die bis zur Verweigerung des Kreditantrages reichen können. Der WDR berichtet:

Die Schufa verlässt sich darauf, dass die ihr von Händlern und Banken gemeldeten Daten korrekt und vollständig sind. Machen die Vertragspartner in ihren Meldungen an die Schufa Fehler, dann kann das dazu führen, dass diese falsche oder unvollständige Daten speichert. So hat die Stiftung Warentest 2012 die Beratung in Banken getestet. Dabei stellte sich heraus, dass einige Bankberater danach an die Schufa meldeten, der Kunde habe bei ihnen einen Kredit aufgenommen. In Wahrheit hatte er sich aber nur nach den Konditionen erkundigt. Solche falschen Einträge schädigen die Bonität des Verbrauchers; die Schufa ist verpflichtet, sie zu korrigieren.

Hat der Gerichtshof in Mathe gepennt?

Leider hat jetzt der Bundesgerichtshof einen Revisionsantrag einer Klägerin abgelehnt, genaue Auskünfte zu bekommen, welche Merkmale zur Scoreberechnung in welcher Gewichtung in das statistische Verfahren einfließen. Die Schufa AG hat lediglich Auskunft zu erteilen, welche personenbezogenen, insbesondere kreditrelevanten Daten bei ihr gespeichert und in die Berechnung der Wahrscheinlichkeitswerte eingeflossen sind. „Diese Auskunft hat die Beklagte gegenüber der Klägerin (teilweise erst im vorliegenden Verfahren) erteilt. Ihr wurden alle bei der Beklagten zu ihrer Person gespeicherten Daten übermittelt. Ferner wurde sie über die in den letzten zwölf Monaten an Dritte übermittelten und die aktuell berechneten Wahrscheinlichkeitswerte sowie über die zur Berechnung der Wahrscheinlichkeitswerte genutzten Daten informiert“, teilt der BGH mit.

Ein darüber hinausgehender Auskunftsanspruch der Klägerin bestehe nicht. Liebwerteste Gichtlinge des BGH, ich weiß nicht, wie viel mathematische Kompetenz der zuständige Senat mitbringt, das Urteil ist jedenfalls ein Witz und sollte die Politik dazu veranlassen, den Datenschutz und das Strafrecht zu verschärfen, um die Datensammler offline und online besser kontrollieren zu können. Ob valide Rechenergebnisse vorliegen, kann ich nur nachprüfen, wenn die Formeln offengelegt werden, Transparenz über die Rechenmethodik herrscht und ich als Betroffener das Ergebnis von externen Sachverständigen überprüfen lassen kann. Wie die Schufa-Pressesprecherin auf Anfragen reagiert, kann man übrigens in meinem Blog nachlesen – sie übt sich eher in der Kunst des Abwimmelns mit Nichtwissen über das eigene Unternehmen.


Dieser Artikel erschien zuerst auf The European.


Teaser & Image by Thomas Steg (CC BY 2.0)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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