Der jammernde Herrenreiter des Feuilletons

Gastbeitrag von Johannes Pütz

»Journalisten sind Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie« –
Willy Brandt (Journalist und Bundeskanzler)

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von maps.google.de zu laden.

Inhalt laden


Größere Kartenansicht Screenshot by Google Maps

Vernetzung findet nicht erst im Netz statt. Da allerdings schneller, einfacher und … unkontrollierter. Genau da knallt für so manchen Printjournalisten die Büchse der Pandora auf. In einem befremdenden Jargon wird gleichsam undifferenzierte Medienkritik wie zu Zeiten des Ostwestkonfliktes laut: »Internet-Blogs zersetzen das informierte und unabhängige Urteil«. Inhaltlich soweit nichts Neues aus dem Zeitungslager. Allerdings wohl von Zeit zu Zeit immer eine Sommerflauten-Sau wert. Diese wird über einen Artikel in der Berliner Zeitung durch Bloggersdorf gejagt und bei Medienlese, Perlentaucher und Filmtagebuch berechtigter Weise diskutiert.


Diesmal wird die Sau allerdings genauer gesagt durch den Kinosaal getrieben. Kritik wird letztlich am Leser geübt, der beim Thema Filmkritik lieber ins Netz schaue als ins Feuilleton. Als Fels in der publizistischen Brandung, ja im illustren Kreise »der altruistischen Philanthropen mit einem gewissen Sendungsbewusstsein« (Julian Reischl) präsentiert sich kein geringerer als Josef Schnelle, der uns in der Berliner Zeitung mit so redundanten Formulierungen wie »weil früher oder später alles, was in Amerika passiert, auch für uns interessant wird, müssen wir uns fragen« mit dem Schicksal des in der Printwelt verhafteten Filmkritikers langweilt. Schade, dass sich bis zu Schnelle so manches noch nicht rumgesprochen zu haben scheint.

Das häufig zitierte und einstweilen überbewertete Phänomen der Amerikanisierung beispielsweise hat sich nicht nur im Bereich der Filmindustrie langsam etwas überlebt. Binsenweisheiten wie »Schließlich haben die Printjournalisten immer zu wenig Platz – ein Problem, das in den Internet-Blogs völlig unbekannt ist.« zeugen von einseitiger Meinungsmache. Der Neid der Besitzlosen druckt sich Zeile um Zeile ab. Dabei steht Josef Schnelle durchaus die Möglichkeit offen, sich – wie er es nennt – »ins Netzversteck, in dem sich hauptsächlich Dilettanten und Abschreiber herumtreiben« zu begeben.

Aber nein, das wäre ja der publizistische Abstieg für einen Qualitätsjournalisten. Denn die Präsentationsform der Texte bleibe im Netz fragwürdig. Wer solche Sätze schreibt, dem würde ich als Chefredakteur auf die Schnelle zum Thema Platzmangel die journalistische Tugend ins Stammbuch schreiben: in der Kürze liegt die Würze. Wovon bei 865 geprinteten Worten, die es Online sei Dank auch im Netz nachzulesen gibt, beileibe nicht die Rede sein kann.

Nichts desto trotz: die Situtationsanalyse zum Stellenabbau im Kulturjournalismus der US-Printmedien ist sicherlich treffend. Alleine die voreiligen Fehlschlüsse, die Schnelle daraus zieht sind fatal: Boykott eines ganzen Mediums. Medienkonvergenz heißt das Gebot der Stunde und zwar in allen Bereichen. Schließlich ist die Blogosphäre das größte Massenmedium der Welt. Da kommt auch der Schnell(st)e nicht drum rum. ;-)

ist freiberuflich als Medien- & Verlagsberater, Trainer und Medienwissenschaftler tätig. Schwerpunkte: Crossmedia, Social Media und E-Learning. Seine Blogheimat ist der media-ocean. Außerdem ist er einer der Gründer der hardbloggingscientists. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter:

4 comments

  1. Sehr traurig, wie Josef Schnelle zwei ganze Medien über einen Kamm schert. Print = Qualität, Blog = böse. In einem Satz wird erwähnt, dass es gute Blogs gäbe – nur um dann darauf zu verweisen, wie schade es doch sei, dass ihr Schreiber nicht mehr für Printmedien unterwegs sei.
    Eine professionelle Beschäftigung mit dem Thema sieht anders aus.

  2. Schnelle hat in vielen Punkten recht, wenn auch er in anderen wiederum zu pauschal argumentiert.

    Auf jeden Fall wird Schnelles Artikel hier falsch dargestellt, da hier unwesentliche Sätze betont werden und im Grunde genommen ebenfalls einseitige Meinungsmache betrieben wird. Ein Vorwurf, den ich bei Schnelles Text nicht durchgehend bestätigt sehe.

  3. Das Problem des Artikels sehe ich auch nicht in seinem Inhalt (ob wir professionelle Filmkritik brauchen? Selbstverständlich!), sondern in seiner Vermengung von Argumenten verschiedener Ebenen. Die inhaltlichen Pluspunkte des einen Mediums (Print-Feuilleton) werden gegen die inhaltlichen Schwachstellen des anderen (Blogs) ausgespielt. Dabei fallen zahlreiche Gegenbeispiele unter den Tisch. Er pickt sich von seiner Seite die Rosinen heraus; die Rosinen der anderen jedoch wertet er durch die Wahl ihres Mediums ab.
    Deshalb: entweder er beschäftigt sich mit den Inhalten (und argumentiert für eine professionelle Filmkritik, egal in welchem Medium), oder er geht wesentlich unpauschaler mit den Medien um und beachtet vor allen Dingen ihre jeweiligen Spezifika.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert