Sieben deutschsprachige Literaturplattformen

Sind literarische Online-Foren nicht eine moderne Art der Kaffeehäuser, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts und bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges von vielen Schriftstellern – und ein paar wenigen Schriftstellerinnen – besucht wurden? Dort trug man sich die neuesten Texte vor und tauschte sich darüber aus. Oder man debattierte über Politik und Gesellschaft – und tratschte bestimmt auch. Doch der Vergleich hinkt auf mindestens einem Fusse: In den heutigen literarischen Foren des Internets fehlt die persönliche, physische Begegnung, es fehlt der Austausch in Echtzeit, auch Gespräch genannt, und es fehlt die unverwechselbare Atmosphäre der damaligen Kaffeehäuser – und der allgegenwärtige Kaffeeduft…

Trotzdem stellen Online-Literaturforen eine beliebte Plattform für Schriftstellerinnen und Schriftsteller dar, für solche, die es werden wollen – oder sein möchten … Die Vielfalt ist riesig. Es gibt grosse und kleine, lebendige und sterbende, gediegene und trashige Online-Literaturforen. Es gibt solche, in denen die Arbeit am Text im Vordergrund steht, und solche, die sich hauptsächlich dem Drum und Dran widmen: der Literaturmarkt und sein Getriebe, das Auflösen von Schreibstau und Ähnliches werden hier ausführlich diskutiert.

Es folgt eine kleine Auswahl mit Schwergewicht auf Textplattformen (und es sind sieben Websites geworden):


Deutsches Schriftstellerforum

Der Luxusliner unter den Literaturforen. Mit knapp 4’400 Mitgliedern (Stand September 2010) gehört es zu den grösseren – Tendenz steigend. Angenehm ist die klare Struktur und das Streben nach Qualität, indem Fertiges, Druckreifes deutlich von Werkstatt-Texten getrennt ist. Eine Vielzahl von Moderatoren sorgt für Ordnung, was wiederum nicht jedermanns Sache ist.


Leselupe

Ein ähnlich grosses Forum, das durch seine ausgeklügelte Forentechnologie besticht: In der Seitenleiste lassen sich zum Beispiel die zahlreichen Unterforen (Themen) aufklappen und direkt ansteuern. Die ModeratorInnen sind weniger präsent, so dass Kraut und Rüben fröhlich durcheinander wachsen. Durch eine „Textbewertungstechnologie“, die allerdings eher demokratischen denn ästhetischen Gesetzen folgt, lassen sich Kraut und Rüben wieder auseinanderdividieren. Leselupe ist eine Art Containerschiff, vollgepackt mit Containern, die ihrerseits mit Texten und Kommentaren vollgepackt sind.


Autorenweb

Das unkomplizierteste Forum, das mir unter die Augen gekommen ist. Nicht einmal ein Benutzerkonto muss man erstellen, um hier Texte zu veröffentlichen. Von Moderatoren keine Spur. Ein äusserst freiheitliches Forum, gleichzeitlich sehr benutzerfreundlich. So kann man sich zum Beispiel die Texte von einer Maschinenstimme vorlesen lassen. Wenn die Leselupe ein Containerschiff ist, so ist Autorenweb eine Freibeuterfregatte.


Dichter-Forum

Ein kleineres Forum mit Schwergewicht Lyrik in all ihren Formen. Die Unterforen sind nach Themen der Gedichte angelegt, z.B. Herzensangelegenheiten, Philosophenrunde, Schattenreich, Sinnesfreuden. Auf den ersten Blick wirkt das Forum – im Vergleich zu den bereits genannten – deutlich weniger lebendig. Vielleicht liegt es am Thema …


Gedichte.com

Wenn wir schon bei den Gedichten sind – und als Gegenbeweis zur These, Gedichte seien nicht mehr gefragt: Das Forum Gedichte.com ist mit gut 22’000 eingeschriebenen Benutzern zwar nicht ein Riese unter den Online-Foren – die grössten deutschsprachigen Foren haben um die vier Millionen Mitglieder –, doch für ein Forum zu Gedichten ist es ganz stattlich. Hier bleiben wirklich keine Wünsche mehr offen. Auch die Forenstruktur ist recht übersichtlich, und der Austausch scheint mir lebendig und sensibel.

Link zum Forum


Forum für Literatur & Germanistik

Ein gediegenes Forum, und zwar was Form und Inhalt anbetrifft. Zur Form: Die meisten Standard-Foren sind zwar technisch ausgeklügelt, aber nicht gerade eine Augenweide. Dieses Forum hebt sich deutlich davon ab – und ist trotzdem gut bedienbar. Auch inhaltlich besticht das Forum, ohne dass es – wie sein Titel suggerieren könnte – im Elfenbeinturm angesiedelt ist. Eindeutig eine Luxusjacht!

Link zum Forum


Literarchie

Die Piratenjolle: Kleines und sehr spezielles Forum. Hier habe ich in der (Literatur-)Forenwelt meine ersten Schritte getan. Texte und Diskussionen sind vielfach schräg, manchmal genial und ab und zu auch eine Zumutung – eben ein Forum „von und für Autorinnen und Autoren, die ihren eigenen Kopf haben“. Das Anarchische und Trashige kann zuweilen überhand nehmen. Trotzdem sei Literarchie hier erwähnt, um die Vielfalt der Literaturforenwelt zu illustrieren. Eine ausführlichere Besprechung habe ich hier geschrieben.

Die Crew der Netzpiloten in Hamburg und Berlin setzt sich zusammen aus rund zehn festangestellten Redakteuren/innen, festen freien Blogger/innen sowie einigen Praktikanten. Alle Texte der Mitglieder unseres ausgedehnten Netzpiloten Blogger Networks erscheinen direkt unter deren Autorenhandle.


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2 comments

  1. Erstaunlich, das „demokratische Literaturportal“ BookRix ist nicht unter den ersten sieben mit aufgeführt.
    http://www.bookrix.de
    Verständlich. Sind die Pseudokodex-Normen doch eher menschenrechtsverletzend und wenn man dem so nicht zustimmen will, so sind die reginden Methoden zumindest urheberchtsverletztend.

    Wird ein Autor gelöscht, also dessen Account aufgelöst – aus welchem Grund auch immer, was in sich die Frage Fairness gegenüber Autoren auslöst – dann wird dem Autor keine Möglichkeit eingeräumt sein geistiges Eigentum zu sichern.

    So mag diese WEB 2.0 Plattform in sich sehr nett sein, aber das beschönigt nicht die Arbeit des meist namentlich nicht bekannten Supports, dessen Anzahl und Namen der Mitglieder streng geheim bleibt und der allein für Löschungen verantwortlich ist. Hiergegen ist selbst der Begründer, Gunnar Siewert, offensichtlich machtlos.

    Ein Mitspracherecht wird niemandem zugestanden, selbst wenn er seit Beginn der Beta-Phase 2008 Mitglied war und sich dadurch ausgezeichnet hat, die Aktionen der Plattform kritisch zu hinterfragen und sich darin nicht den Mund verbieten lässt, wie es einen gestandenen Autor zustehen sollte.

    So ist es selbstverständlich geworden, dass auf diesem Portal kritische Münder mundtot gemacht werden und Autoren ähnlich des Niveaus der vielen Castingshows der Verzug gegeben wird, Sockenpuppen sich Hauf einfinden und damit die wertvolle Arbeit am Programm torpedieren.

    Mein Dank gilt dem Verfasser dieser Website und seiner klar strukturierte Analyse von Plattformen, auf denen hoffentlich ein anderer Ton herrscht, als die in München beheimatete „Klischeeplattform“.

    Lieben Gruß
    Kariologiker

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