Dr. Henry Mintzberg sitzt im Raum 544 in Montreals McGill-University und setzt ein verschmitztes Lächeln auf. Seit über 40 Jahren gilt er als Querkopf und ist stolz darauf. 1975 hat er im Harvard Business Review einen Artikel verfasst über die Tätigkeiten, mit denen sich Manager so abgeben. Und diese Gewohnheiten haben sich offenbar kaum geändert in den letzten Jahren. Eine Tätigkeit, die länger als eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, kommt bei dem größten Teil der Manager nur alle zwei Tage vor. Die gemeine Handlung umfasst 10 Minuten und besteht zumeist im Sprechen oder Zuhören.
Manager aus den höheren Rängen verbringen mit diesen zwei Tätigkeiten mehr als 75% ihrer Zeit. Es ist also müßig, sie von Internet, Web oder Social Software zu überzeugen. Sie hätten gar keine Zeit, sie zu nutzen, da sie ohnehin nur mündlich kommunizieren. In absehbarer Zeit werden wir sie wohl sowieso nicht mehr sehen. Denn eigentlich werden sie in analytischen Fähigkeiten ausgebildet, dabei bräuchte man sie, um zusammenzuführen (Synthese). Die MBA-Ausbildung wird daher von Mintzberg als Dinosaurier bezeichnet, der keinerlei Relevanz mehr aufweist angesichts der postmodernen Anforderungen. Und dabei schaut Mintzberg wieder aus seinem Fenster und lächelt, denn er ist bei INSEAD und der London School of Econmics Professor gewesen und INSEAD noch immer verbunden. Er weiß, dass sehr gute Analysten von Harvard, Stanford, Oxford und eben den beiden oben genannten Kaderschmieden exzellente Anlysten sind, aber sehr selten gute Führungskräfte.
Im economist wurden seine neue Thesen zu den fünf Organisationsformen von Firmen vorgestellt:
• Die einfache Struktur. Kommandostruktur bevor der Firmengründer oder ein Familienmitglied die Zügel lockern muss (wegen neuer Partner oder aktivem Management). Mintzberg meint, diese Struktur sei besonders durch die Gesundheit des Patriarchen gefährdet.
• Die maschinelle Bürokratie. Eine Firma mit Unmengen an Organisationsschichten und -ebenen und ebensovielen Prozessen. Die Gefahr dieser Organisationsform liegt in der Lähmung und im Perfektionismus.
• Die professionelle Bürokratie. Eine Organisation, die um besondere Expertise aufgebaut ist wie Krankenhäuser oder Beratungsunternehmen. Potenziell findet man hier am meisten demokratische Ansätze, aber auch nur dann, wenn es eine offene und echte Partnerschaftsform ist. Fällt die Expertise mit dem Weggang wichtiger Personen weg, kann die Struktur auseinanderfallen.
• Die gegliederte Form. Dies ist eine Struktur mit wenig zentraler Authorität, da alles weitgehend klar definiert und den jeweiligen Firmenelementen zugeordnet wird – oft bei multinationalen Firmen zu finden. Die Gefahr liegt in einem kristallinen Firmenkörper, der wenig Anpassungsfähigkeit aufweist.
• Die Adhocratie. Dieser Typus ist von Mintzberg geschaffen worden, um die bürokratielose Organisationsform vieler Softwarefirmen darstellen zu können. Man fände sie auch In Hollywood bei der Filmproduktion, erklärt er. Immer dann, wenn flexible Gruppen spezifische Projekte bearbeiten und sich nur zu diesem Zweck zusammenfinden, spricht Mintzberg von diesem Typus. Er bezeichnet ihn als den einzigen Organisationstypus, der die Zukunft der meisten Firmen bestimmen wird. Der Name ist unschwer auf den begriff adhoc (wörtlich: hierfür, an dieses übertragen: aus dem Moment heraus) zurückzuführen.
Mintzberg erfasst einige Faktoren, die die Organisation beinflussen und formen:
1. Das Alter und die Größe einer Organisation
2. Die zugrundeliegende und anzuwendende Technologie, um Produkte und Dienstleistungen zu erstellen
3. Die Umwelt und ihre stabilisierenden oder störenden Einflüsse
4. Die Kontroll- und Machtmechanismen
Die Adhocratie hat nun einige Besonderheiten gegenüber den anderen uns bekannten Organisationsformen.
Es ist die einzige Form, die völlig dezentral und ohne offene oder versteckte Machtebene auskommt. Da man sie als Gruppen von Experten auffasst, kommt sie der professionellen Bürokratie nahe. Es gibt aber kein Gefälle zwischen dem Hilfsstab und den Experten, so ist auch keine große Spreizung in der Binnendifferenzierung der Kommunikation nötig. Der Respekt scheint daher eingeboren – zumindest wenn die passenden Experten ausgewählt wurden. Wer aber wählt aus? Wenn das Gremium also die Projektgruppe sich ihre Mitglieder selbst aussucht, dann gibt es eine historische Selektion, die Macht beinhalten kann und nach außen als organisches Wachstum kommuniziert wird. Ist das Ganz glaubwürdig und nachvollziehbar, kann auf diese Weise jeder zur Referenz werden, wenn er oder sie lange genug da bleibt. Die Flukutuation begünstigt dann die stabilen Kräfte. Die Werkzeuge des Soical Web sind in dieser Organisationsform essenziell, da sie das Thematische, das Faktisch-Aktuelle sowie alle Gruppenprozesse direkt abbilden. Der Hauptgrund, warum Adhocratien die Zukunft bestimmen werden, liegt darin, dass bereits in vielen Firmen ausgelagerte Bereiche auf genau diese Weise arbeiten und mit ihrer hohen Effizienz ein Modell für Organisationsformen vorgeben, das bald in die Standardwerke der Betriebswirtschaftslehre einwirken wird. Die Werkzeuge des Social Web sind dann nur noch die Hilfsmittel und Vehikel, um den Gruppenwillen zu identifizieren, zu profilieren und das Alltagsgeschäft des Austauschs, den früher Manager übernahmen, selbst zu realisieren. Insofern ist offenbar, dass es keine Unterstützung von diesen Werkzeugen aus der Managementseite geben wird, da genau diese Ebene mit social software weitgehend überflüssig wird.
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