Eine innovative Gesellschaft muss die Digitalisierung nutzen

Vor einigen Tagen saß ich mal wieder mit zwei Laptops und meinem Smartphone auf dem Sofa, vertieft in Tablet-Testberichte. Kein ungewöhnlicher Abend für mich, muss ich gestehen. Bei Treffen mit Kollegen ist der größte Konflikt oft die Steckdosenverteilung. Wenn jemand vorbeikommt und nach einem Stift fragt, durchsuchen wir meist erfolglos unsere Taschen. Keiner von uns erinnert sich, wann er das letzte Mal mehr als ein paar Stichworte per Hand geschrieben hat. Diesmal aber hielt ich inne, um über mein Technikverhalten nachzudenken. Warum? Kurz vorher, war ich zu Besuch in einer Parallelwelt gewesen.

Digitaler Kulturzusammenstoß – Innovation braucht Smartphone und Bleistift!

Natürlich war mir immer klar, dass ich mich in einer digitalen Extremsphäre bewege. Und genauso weiß ich, dass nicht jeder morgens nach dem Aufwachen direkt seinen Newsfeed checkt und dass es Menschen gibt, die den Preis von Briefmarken kennen. Ich schreibe ständig über digitale Spaltung, über (N)Onliner und unterschiedliche Internet-Nutzertypen. Wie können wir möglichst von allen Gruppen unserer Gesellschaft Ideen erfragen und zusammenbringen? Wie können wir gemeinsam Probleme lösen und politische Prozesse gestalten? Bei der Antwort auf diese Fragen ist ein Element immer vorhanden: Die Kombination von Online- und Offline-Methoden. Kein Problem dachte ich bisher. Solange wir es schaffen, Ergebnisse aus verschiedenen Kanälen zu integrieren, sollte der gesellschaftlichen Innovation nichts im Wege stehen.

Doch das ist zu einfach gedacht. Ich hatte unterschätzt, wie groß diesbezüglich die Kulturunterschiede sind in unserer Gesellschaft und was das für Konsequenzen hat für die Zusammenarbeit – auch auf derselben Seite klassischer digitaler Gräben. Richtig bewusst geworden ist es mir erst, als ich durch einen Konferenzbesuch einen Tag außerhalb meiner Digitalblase verbrachte.

Digitale Blasen und analoge Parallelwelten

Meistens bin ich auf Veranstaltungen, auf denen ein Großteil der Teilnehmer mich wie einen digitalen Gelegenheitsnutzer aussehen lässt. Es gibt mehr Twitter-Accounts als Personen. Oft brechen WLANs unter dem Ansturm zusammen. Nicht so dieses Mal. Erstes Indiz: kein WLAN. Und das heißt nicht: kein WLAN, weil es gerade kollabiert war. Das heißt: kein WLAN, weil keines vorgesehen war.

Ich fing an mich zu wundern, als ich beim abendlichen Zusammensitzen die einzige war, die sich nach dem Veranstaltungshashtag erkundigte. Dass ich in einer anderen Welt gelandet war dämmerte mir, als ich in einer Debatte gefragt wurde: Und wieso braucht man dazu jetzt unbedingt Computer? Als ich irgendwann meinen Blick umherschweifen ließ und feststellte, dass ich in einem Saal voller Menschen die einzige war, die einen Laptop auf dem Tisch hatte, wurde mir klar, dass ich meine gewohnte Umgebung weit hinter mir gelassen hatte. Prompt wurde mir der Kulturclash bestätigt: „Entschuldigen Sie, aber das macht mich ganz nervös, wenn Sie da immer mit Ihrem Telefon rumspielen.“ – „Oh, das tut mir leid. Ich schreibe gerne an meinem Laptop weiter mit, wenn Sie das weniger stört.“ – „Ach, Sie schreiben mit. Nein, dann … also, kein Problem.

Digitale Ignoranten und Facebook-Tralala

Ich war verdattert. Das letzte Mal, dass ich mich für meinen Technikeinsatz so ungerecht zurechtgewiesen gefühlt habe, war auf der Schule in Frankreich, als mir eine Lehrerin meinen Übersetzer in der Annahme abnahm, ich würde auf meinem Handy spielen. Gleiche Situation – 10 Jahre später. Der Unterschied: Es handelte sich hier nicht um eine Interaktion zwischen einer Lehrerin kurz vor der Rente und einer Jugendlichen. Es ist ein kurzer Dialog zwischen Wissenschaftlern. Und auch wenn nach diesem Austausch vernünftigerweise kein Grund zu Beschwerde besteht – von beiden Seiten ist die Beziehung durch eine gewisse emotional verankerte Skepsis geprägt.

Was sagt es über unser ständiges Streben nach Interdisziplinarität und fächerübergreifender Arbeit aus, wenn schon Barrieren aufgebaut werden, bevor es um den wissenschaftlichen Austausch geht? Scheitert unser Dialog schon, bevor er überhaupt angefangen hat? Und zwar nicht an anderen Fachausdrücken, Methoden oder wissenschaftstheoretischen Überlegungen, sondern am Zuhör-Verhalten.

Und es betrifft nicht nur die Wissenschaft. Wie sollen wir gemeinsam daran arbeiten, gesellschaftliche Probleme zu lösen, wenn wir uns gegenseitig nur als analoge Hinterwäldler und hyperaktive Spielkinder betrachten? Auch wenn wir offiziell sagen: „Ne, finde ich total gut, dass du nicht bei Facebook bist.“ Finden wir es dann nicht trotzdem merkwürdig, wenn diejenige nicht das Video der beiden Hintergrundtänzer beim Orkan-Bericht gesehen hat? Und auch wenn wir wissen, dass die Menschen im Publikum auf ihren Laptops mitschreiben? Denken wir nicht trotzdem, dass sie unaufmerksam sind und nicht alles mitbekommen? Es wird dringend Zeit, dass wir uns bewusst werden, welche Vorurteile im Dialog zwischen den Welten mitschwingen.

Das gilt auch für die Politik. Wollen wir wirklich, dass in unseren Verwaltungen und Parlamenten das „digitale Ignorantentum“ beleidigt und der Gegenseite „Facebook-Tralalaan den Kopf wirft? Oder wollen wir, dass möglichst viele verschiedene digitale Nutzertypen miteinander reden und Lösungen entwickeln?

Innovation statt Trennstrich

Ständig diskutieren wir über digitale Gräben zwischen den Generationen, zwischen Einkommens- und zwischen Bildungsschichten. Wir müssen erkennen, dass a) es auch einen Graben gibt, der nicht dieser klaren Grenzziehung folgt und b) welche Auswirkungen er auf uns hat. Unterschiedliche Präferenzen für Arbeitsweisen, unterschiedlicher Umgang mit Technik – die Grenze zwischen diesen Welten sollte eine dünn gestrichelte Linie sein und nicht ein dicker Trennstrich, hinter dem beide Seiten jeweils einen ernstzunehmenden Problemfall vermuten. Wenn wir unser Rufen nach Partizipation und Zusammenarbeit ernst meinen, wenn wir eine offene, moderne und innovative Gesellschaft sein wollen, dann müssen wir ohne unterschwellige Skepsis miteinander reden, unabhängig davon, ob wir auf einem Touchscreen tippen oder mit Füllfederhalter schreiben.


Image (adapted) “working offline, sort of“ by dhaun (CC BY 2.0)


(Tinka) arbeitet und forscht am Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen. Nach ihrem Bachelorstudium an der International Business School in Groningen in den Niederlanden absolvierte sie an der ZU einen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaften. Tinkas Forschung konzentriert sich auf die Rolle des Bürgers in der digitalen Demokratie. Außerhalb von Deutschland hat Tinka schon in Frankreich, den Niederlanden, Kanada und Spanien gelebt und spricht die jeweiligen Sprachen. Momentan arbeitet sie daran, der Liste noch Arabisch hinzuzufügen. Tinka reitet, rudert, fährt Snowboard und ist überzeugter Werder-Fan.


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