Das neue Buch “Netzpolitik in Österreich” macht auf Bedrohungen für das freie Internet aufmerksam.
Internet, Macht, Menschenrechte – diesem Themenkomplex widmet sich ein neues Buch (auch als Online-Publikation verfügbar), das vom österreichischen Ableger des Internet und Gesellschaft Co:llaboratory Deutschland veröffentlicht wird. Der Expertenkreis rund um Clara Landler und Peter Parycek von der Donau-Universität Krems will in dem Sammelwerk “Netzpolitik in Österreich” vor allem Denkanstöße liefern, wie mit dem Internet in der Gesellschaft künftig umgegangen werden soll und wo die Knackpunkte liegen. Im Interview erklären Landler und Parycek, welche Ziele sie mit dem Buch verfolgen, warum das Netz Ungleicheiten verstärken kann und warum Filter-Blasen so gefährlich sind.
Co:llaboratory.at veröffentlicht mit „Netzpolitik in Österreich“ einen Sammelband mitten im Wahlkampf. Welches Ziel verfolgt ihr mit der Veröffentlichung?
Landler: Für mich stand die Veröffentlichung, um ehrlich zu sein, bislang in gar keinem direktem Zusammenhang mit dem Wahlkampf; die Freude darüber, dass unser Buch endlich fertig ist, dominierte vielmehr jede strategische Überlegung. Aber Ihre Frage ist ein ausgezeichneter Hinweis. Es sind viele gute Gedanken und Beiträge im Buch versammelt, vielleicht sollten wir gleich mal damit beginnen, zur thematischen Anregung Belegexemplare an alle KandidatInnen versenden?
Wie bewerten Sie die Netzpolitik der österreichischen Regierung bis dato? Warum wird etwa der NSA-Skandal so gut wie nicht thematisiert?
Landler: Zu dem Zeitpunkt, da Edward Snowden die Weltbühne betreten hat, waren alle Beiträge zu dieser Publikation bereits im Lektorat. “Netzpolitik in Österreich” ist das erste Co:Lab Buch, dass in Österreich erscheint, Menschenrechte und Internet wird als Thema aber sicherlich auch bei weiteren Publikationen eine Rolle spielen. So es die Möglichkeit geben wird, die Co:Lab-Initiativen fortzusetzen, ist gut denkbar, dass sowohl auf die Enthüllungen zu den Geheimdiensten als auch zu den großen Internetkonzernen eingegangen und die österreichische Dimension entsprechend beleuchtet wird.
Im Vorwort schreiben Sie, dass das Internet Ungleichheiten verstärkt. Wie werden Österreichs Offliner, immerhin 1,12 Mio. Menschen, benachteiligt?
Landler: Wenn wir von rein statistischen Werten ausgehen, wird es bei einer Nutzungsrate von 99% bei den unter 30-jährigen nur selten ins Gewicht fallen, aber es gibt beispielsweise bereits Lehrveranstaltungen an österreichischen Universitäten, zu denen nur noch eine Online-Anmeldung möglich ist. Bei der Platznot an den österreichischen Unis kann man sich durchaus vorstellen, dass diese Tatsache für Einzelfälle fatal sein kann. Es lässt sich aber generell beobachten, vor allem wenn man Ungleichheiten und nicht nur “Unmöglichkeiten” in den Blick nimmt, dass immer mehr Wege in virtuelle Räume verlegt werden. Sei es ein Einkauf, sei es die Nutzung von Online-Behörden-Angeboten oder auch das Pflegen von Kontakten – für “Offliner” wird es zunehmend schwierig zu sagen, in welchen Bereichen sie nicht benachteiligt sind. Und diese Tendenz wird in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen. Die für mich allerdings fast noch schwerwiegendere Frage ist: Sind bei den 1,12 Mio. Menschen eigentlich ausschließlich österreichische StaatsbürgerInnen erfasst? Wenn ja, wovon ich jetzt mal ausgehe, ist zudem klar, wo es auch jetzt schon zu wirklich existenziellen Benachteiligungen kommt.
In seinem Beitrag fordert Autor Hans Christian Voigt ein „Recht auf umfassende Teilhabe am Internet“. Wie soll das verwirklicht werden? Staatliches Gratis-Internet für alle?
Landler: So wie ich Hans Christian Voigts Beitrag verstehe, geht es gerade darum nicht. Er bringt vielmehr die Argumentation ins Spiel, dass die Forderung einfach nur auf “Zugang” verkürzt ist und sich leicht als Bumerang erweisen kann. Ihm geht es um Mitsprache- und Einsprache- bis hin zu Veto-Möglichkeiten aufseiten der NutzerInnen, und zwar schon bei der Architektur und der Verwaltung des Internets – beispielsweise bei Netz-Regulierungen. Das Internet als Ressource, die in unserer Gesellschaft zunehmend essentiellen Wert hat, darf nicht zu etwas werden, das beispielsweise hauptsächlich von ökonomischen Interessen dominiert ist oder jenen der staatlichen Sicherheitsapparate. Auch wenn Einfluss und Bedeutung der Gewerkschaften als Vertretung von ArbeitnehmerInnen ja im Schwinden sind, lässt sich diese Errungenschaft der ArbeiterInnenbewegung in meinen Augen dennoch mit diesem Gedanken vergleichen. Es gibt Themen und Bereiche, da braucht es ein Recht auf Seiten der NetzbürgerInnen, auf Regelungen zu “ihrem Internet”, also diese wertvolle Ressource betreffend, Einfluss nehmen zu können. Damit das Internet sein demokratisches Potential erhalten kann, braucht es ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis aller Interessen. BürgerInnen laufen Gefahr, durch neue Regelungen diese Möglichkeiten zu verlieren.
In Ihrem eigenen Beitrag schreiben Sie, dass die Sprache, mit der das Internet beschrieben ist, inhaltlich falsche Bilder produziert. Welche sind das, und was kann man dagegen tun?
Landler: Ich glaube nicht, dass “falsche Bilder” produziert werden. Menschen entwickeln vielmehr Gewohnheiten, wie sie Worte interpretieren, was zur Komplexitätsreduktion immens wichtig ist. Diese Gewohnheiten können aber auch sehr problematisch sein, weil durch sie viele Blickwinkel automatisch ausgeschlossen werden. Mit Bezeichnungen sind Rollen verknüpft, die wir zumeist ohne darüber nachzudenken einnehmen, wenn wir uns in einer entsprechenden Situation befinden – sei es etwa als Frau, Mann, Mutter, Vater, ArbeitnehmerIn, FreundIn oder eben UserIn. Die geprägten Vorstellungen grenzen aber auch die Möglichkeiten ein, wie Menschen in der Lage sind, Situationen zu begegnen. Möchte man die aktive und selbstermächtigende Seite der Rolle Internet-NutzerIn betonen, ist UserIn ein schwieriger Begriff. Es ließe sich, vor allem auf Seiten jener, die sich für das Internet als wichtige und gestaltbare Ressource für Menschen einsetzen, damit beginnen, bewusst andere Begriffe zu verwenden, um ZuhörerInnen zum Nachdenken anzuregen, Begriffe, die die aktive Rolle der NutzerInnen als RechteinhaberInnen betonen – wie etwa Cybercitizen.
Internet-Sperren sind weltweit auf dem Vormarsch, zuletzt etwa in Großbritannien mit den umstrittenen Porno-Filtern. Welche Folgen hat diese inhaltliche Regulierung auf eine Gesellschaft? Wirken Sperren normierend, oder sind sie erst Recht ein Anreiz, sich das „Verbotene“ anzuschauen?
Parycek: Die größte Gefahr besteht in der weltweiten Standardisierung von Überwachungs-Hardware, die von den Internet-Service-Providern eingesetzt werden muss, weil damit das Netz von wenigen kontrolliert werden kann. Heute mag das keine unmittelbare Bedrohung darstellen, in Krisenzeiten aber können selbst ehemals stabile Demokratien kippen. Offene, freie und nicht zentral kontrollierbare Netze sind der Sicherheitsgurt für schlechte Zeiten und ein Korrektiv für bestehende Regierungen.
Autor Julian Ausserhofer beschreibt in seinem Beitrag, dass das personalisierte Internet unsere Wahrnehmung manipuliert. Haben wir uns aber nicht immer schon in unsere Filter-Blasen begeben? Was ist so problematisch daran, wenn wir das im Internet tun?
Parycek: In sozialen Netzwerken, die vermehrt zum Informationszentrum ihrer NutzerInnen werden, findet die erste Vorselektion bereits durch die Kontakte der NutzerInnen selbst statt. Im Stream erscheinen nur jene Informationen, die durch das jeweilige Netzwerk von „FreundInnen“ gepostet werden. Die Informationen sind somit bereits durch soziale Filter stark fokussiert bzw. spiegeln nur einen kleinen Teil der Meinungsvielfalt wider. Zusätzlich werden diese Informationen bspw. durch die Algorithmen von Facebook gefiltert, so zeigt die Standard bzw. „Default“ mäßige Ansicht von Facebook nur die „Hauptmeldungen“ an. Facebook argumentiert diese weitere inhaltliche Selektion als Hilfestellung für seine NutzerInnen, nur jene Meldungen zu erhalten, die dem eigenen Interesse entsprechen.
Während das Internet also für einige Zeit für diversere und vielfältigere Informationsangebote sorgte, die zwar nach Interessen zu sortieren individuell aufwändiger war, stellt sich zunehmend das Problem ein, dass NutzerInnen immer weniger und immer individuellere Informationen erhalten, was die mögliche Sicht auf die Welt doch deutlich einschränkt. Darüberhinaus ist das Internet mit Blick auf die jungen Generationen längst dabei, traditionelle Formen der Massenmedien abzulösen, wodurch diese Einschränkungen sich zusätzlich verschärfen. Kritisch diskutiert wird dieses Phänomen unter den Stichworten Filter-Bubble und Echokammer.
Matthias Kettemann fragt in seinem Beitrag, ob Facebook der neue öffentliche Raum ist. Ist er das, oder ist Facebook eher ein Kaufhaus mit Hausregeln als die Straße, die allen gehört?
Landler: Auch in einem Kaufhaus gelten Regelungen für öffentlichen Raum, sobald etwa durch die BetreiberInnen für Unterhaltungs- und in weiterer Folge Werbezwecke BürgerInnen eingeladen werden, an Veranstaltungen teilzunehmen und mitzuwirken. Spätestens ab diesem Moment haben BürgerInnen auch das Recht, ihre Interessen dort zu vertreten, indem sie beispielsweise Flugzettel verteilen. Die Unterscheidung zwischen kommerziellen Angeboten mit entsprechenden Hausrechten und Rechten der BürgerInnen im öffentlichen Raum ist in der physischen Realität also nie trennscharf zu ziehen. Folgt man diesem Gedanken, müssten die Rechte von Facebook-NutzerInnen noch sehr viel weiter reichen, da Facebook ausschließlich eine Infrastruktur zur Verfügung stellt, die ohne ihre NutzerInnen keinerlei Wert hätte.
Parycek: Ich würde Facebook eher mit einem Club vergleichen, in dem mit seinem Betreiben auch eigene Hausregeln greifen, die nicht verhandelbar sind, wie bspw. das Erteilung von Hausverbot bei nicht Einhalten moralischer Vorgaben.
Co:llaboratoryAT hat in dem Buch drei Thesen formuliert, die die Forderung nach einer „menschenrechtlich sensiblen, entwicklungsorientierten und alle Menschen einschließenden Netzpolitik“ beinhalten. Welche Chancen auf Realisierung rechnet ihr euch aus, welche Parteien könnten sich dessen annehmen?
Parycek: Alle Parteien sollten und müssen sich dem zukünftig annehmen, da dies die Grundlage für zukünftige demokratisch stabile Staaten sein wird.
Datenschutz ist in Bezug auf Internet Dauerbrenner, den „Privacy is dead“-Sager ist allgegenwärtig. Zu welchem Schluss kommt das Buch, leben wir wirklich schon im Post-Privacy-Zeitalter?
Parycek: Der Blick in die Zukunft ist immer schwierig. Vielleicht wird es auch nicht eine gemeinsame Zukunft geben, sondern völlig unterschiedlicher Lebenswelten – die von völlig transparenten Lebensräumen oder auch Lebensstilen bis hin zum kompletten Rückzug aus der digitalen Welt reichen, indem Bevölkerungsgruppen beschließen, sich ins digitale Biedermeier zu bewegen und nur die lebensnotwendigsten digitalen Kanäle offen halten.
Teaser by Co:llaboratory AT
Image by John O’Shea (CC BY-NC 2.0)
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