Ich stelle mir häufig die Frage, wie sich Journalismus in Zukunft finanzieren wird. Ich finde es wichtig, dass sich auch Journalisten diese Frage stellen – nicht nur Unternehmensberater und Geschäftsführer. Je größer der Einfluss von Reportern auf die Finanzierung von Medien ist, desto besser die Qualität des Journalismus.
Verleger haben Recherchen und aufwändige Reportagen nur zugelassen, weil sie ein Herz für Journalismus hatten. Überall dort, wo Gewinne optimiert werden sollen, wird die Qualität zusammengestrichen. Das ist immer häufiger der Fall.
Motivation statt Zwang zum Bezahlen
Ich bin sicherlich nicht der einzige, der für Journalismus bezahlt, weil er das Produkt gut findet. Ich habe zum Beispiel ein Abo des Spiegels (früher war es die Süddeutsche Zeitung). Nicht, weil ich den Spiegel von der ersten bis zur letzten Seite lese, sondern weil ich es gut finde, die hin und wieder sehr starken Recherchen mit meinem Abo zu unterstützen.
Ähnlich geht es mir im Netz. Häufig bezahle ich für Dinge, weil ich sie gut finde (die taz, eBooks, Kickstarter-Projekte). Fast nie bezahle ich für Dinge, weil ich dazu gezwungen werde. Irgendwie komme ich da auch kostenlos ran.
Ich halte es deshalb für überlebenswichtig, dass sich Journalisten Gedanken darüber machen, wie sie ihre Leser dazu motivieren können, für ihr Produkt zu bezahlen. Und nicht darüber, wie sie sie dazu zwingen.
Gemeinnützige Recherchebüros
Ich bin ein großer Anhänger von gemeinnützigen Recherchebüros. Bestes Beispiel hierfür ist ProPublica in den USA. Guter Journalismus ist schon immer freiwillig finanziert und subventioniert worden.
Auf dieser Basis habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Unten die dazu passende Literatur.
[Disclosure: In ganz ähnlicher Form waren diese Gedanken in der vergangenen Woche Grundlage für meine abschließende mündliche Diplom-Prüfung (am Institut für Journalistik der TU Dortmund bei Professor Frank Lobigs).]
Meine Gedanken:
- Print hat keine Zukunft. Die Umstellung auf Online-Erlösmodelle muss innerhalb dieses Jahrzehnts gelingen, um die Vielfalt des Journalismus auch nur annähernd erhalten zu können.
- Internet-Werbung wird immer effektiver, Print-Werbung in General-Interest-Medien (wie es zum Beispiel Tageszeitungen sind) immer unattraktiver.
- Die Werbeerlöse der Medien werden weiter fallen, unter anderem durch die zunehmende mobile Nutzung von Internet-Seiten. Dadurch werden sich nur noch ganz wenige Medien durch Werbeerlöse refinanzieren können. Das klassische Modell eines gebündelten Bezahlmediums zerfällt. Kunden sind nicht mehr länger bereit, für Dinge mit zu bezahlen, an denen sie eigentlich kein Interesse haben.
- Bislang haben Bereiche wie Unterhaltung und Sport den teuren Journalismus im Ausland, in der lokalen Tiefebene und den investigativen Journalismus querfinanziert. Das wird in Zukunft nicht mehr funktionieren.
- Relativ problemlos langfristig finanzieren werden sich nur große Medien wie die New York Times und in Deutschland der Springer-Konzern und der Spiegel: durch eine Kombination aus Werbung, nichtjournalistischen Geschäften und Freemium-Modellen.
- Reine Bezahlmodelle funktionieren im Journalismus vor allem für Nischenprodukte, dazu gehören zum Beispiel Finanzseiten. Auch für extrem guten Journalismus können Bezahlmodelle funktionieren, für lange, am besten multimedial erzählte Geschichten. Das zeigen Beispiele wie The Atavist. Keine Chancen hat dagegen mittelmäßiger Nachrichtenjournalismus.
- Vor allem der Journalismus, der als vierte Gewalt für eine Demokratie existenziell ist, hat Probleme, sich zu finanzieren. Um teure investigative Geschichten zu stemmen, kann eine Möglichkeit das Einwerben von Spenden sein (von Einzelpersonen und von Stiftungen). Solche journalistischen Projekte sollten im Idealfall gemeinnützig sein.
- Herausragende Projekte wird es weiterhin geben; für das tägliche, manchmal eintönige Beat-Reporting wird es schwierig. In einer Demokratie hat Journalismus aber nicht nur die Rolle eines beißenden Wachhundes, sondern auch die Rolle einer abschreckenden Vogelscheuche. Sobald Journalisten über einzelne Bereiche der Gesellschaft nicht mehr berichten, wächst die Gefahr für Machtmissbrauch und Korruption. Um kritischen Journalismus in der Breite zu erhalten, braucht es an Journalismus interessierte Verleger und Investoren. Journalismus wird in Zukunft kein Geschäft mehr sein, Journalismus ist eine für die Gesellschaft bedeutsame Leidenschaft.
tl;dr: Macht Journalismus aus Leidenschaft. Und überlegt Euch, wie Ihr Nutzer motivieren könnt, freiwillig [Update: für echten Journalismus] zu zahlen.
[Und: Ja, es sind zehn Gedanken. Zehn! Steinigt mich.]
Literatur
Wir sind alle nur Zwerge auf den Schultern von Riesen. Getreu diesem Motto: Meine Gedanken stammen vor allem aus folgender Literatur, die ich jedem empfehle, der sich für die Zukunft und die zukünftige Finanzierung des Journalismus interessiert. Weitere Links und Gedanken zur Entwicklung von Medien verbreite ich regelmäßig bei Twitter.
- Kaplan, David: “Global Investigative Journalism: Strategies for Support” (2013, hier die Zusammenfassung oder als PDF-Download; hier ein Interview mit Kaplan zum Thema)
- Bell, Emily / McGregor, Susan / Owen, Taylor / Codrea-Rado, Anna: Post-Industrial Journalism (2012, hier als PDF, hier als Zusammenfassung in 21 Punkten bei Poynter)
- Kramp, Leif / Weichert, Stephan: Innovationsreport Journalismus (2012, hier als PDF)
- Röper, Horst / Holznagel, Bernd: Vielfalts- und Journalismusstärkung (2010, hier das Gutachten als PDF, hier eine Zusammenfassung bei heise.de)
- Beispielhaft für zahlreiche weitere Veröffentlichungen über die Zukunft des Journalismus seien hier genannt: das Blog “Deadline” von Constantin Seibt oder die beiden Texte von Reuters-Korrespondent Felix Salmon über Werbeerlöse und direkte Zuwendungen von Nutzern.
- Als Ergänzung, grad über Twitter (Danke dafür): Das Dossier von Vocer.org über den “dritten Weg” Journalismus zu finanzieren.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf danieldrepper.de und steht unter unter der Creative Commons Lizenz “Namensnennung, nicht kommerziell, keine Bearbeitung” (CC BY-NC-ND 3.0).
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Schlagwörter: Daniel Drepper, journalismus, Medienwandel, zukunft
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