Kultur 2.0 – Buch zur st.ART 09

 Natürlich bin ich bei diesem Buch nicht objektiv, denn einerseits sind darin Texte von mir zu finden, andererseits handelt es sich bei Kultur 2.0: Neue Web-Strategien für das Kulturmanagement im Zeitalter von Social Media, so der vollständige Titel, um den Tagungsband der letztjährigen stARTconference. Vor allem dieser Hinweis scheint mir wichtig zu sein, denn für mich suggeriert der Titel, dass es sich hier um so etwas wie ein Lehrbuch handelt. Darüber bin ich nicht so ganz glücklich, denn einerseits werden so unter Umständen falsche Erwartungen geweckt, andererseits hätte ich es nicht schlecht gefunden, wenn die stARTconference kurz  vor ihrer zweiten Auflage Anfang September etwas mehr Aufmerksamkeit erfährt. ;-) Unabhängig davon: „Kultur 2.0? ist ein lesenswertes Buch geworden, das man gerne in die Hand nimmt und sich gerne anschaut, weil erstens die Beiträge von den beiden Herausgebern Hans Scheurer und Ralf Spiller schön und stimmig zusammengestellt worden sind und das Buch zweitens von Christof Breidenich ein tolles Layout verpasst bekommen hat. Die Einteilung des Buches (Theorie/Grundlagen, Praxis/Anwendungen und Case Studies) gibt den LeserInnen die Chance, sich in das Thema einzulesen, sich mit den Tools vertraut zu machen und dann zu erfahren, wie sich diese einsetzen lassen… Im Theorieteil wird bei Simon A. Frank aus dem allseits geläufigen User-generated Content eine „User-generated Culture“, die seiner Meinung nach die Voraussetzung für die (oft fehlende) Akzeptanz des Web 2.0 im Kunst- und Kulturbereich darstellt. Dabei sei nicht das neue Medium das Problem,

„sondern die vertretene Kunst- und Kulturtheorie, die mit der Internetpraxis als unvereinbar und ‘inkompatibel’ dargestellt wird.“

Das heißt,

„(e)in Plädoyer für den Einsatz des Internets muss also bereits bei der Auseinandersetzung mit der Kunst- und Kulturtheorie ansetzen und zeigen, dass diese und die aktuelle Internetpraxis durchaus ‘kompatible’ Konzepte sind.“ (S.21)

Indirekt geht Sabria David in ihrem Beitrag „Zur Genese offener Werke: Rotkäppchen 2.0? auf diese Fragestellung ein, wenn sie feststellt, dass das Internet ein Schriftmedium sei, das nach den Regeln der Mündlichkeit funktioniere. Bezogen auf die Märchen gibt das Internet uns eigentlich etwas zurück, was durch das Buch etwas verloren gegangen ist, das offene Werk. Wenn David am Ende ihres Beitrags eine „neue Poetik offener Werke“ fordert, dann geht es genau um die von Frank geforderte Auseinandersetzung nicht nur auf der Technologieebene, sondern auch auf der der Kunsttheorie. Wenn sich aber Technologie und unser Kunstverständnis verändern (müssen), dann kommt der von Christof Breidenich gestellten Frage „Wie kommen die neuen Medien in die alten Menschen?“ eine entscheidende Bedeutung zu. So unvereinbar Kunst, Kultur und das Web 2.0 zu sein scheinen, Breidenich sieht gerade hier ein gewaltiges Potenzial,

„(d)enn sie (Anm. die Kunstinstitutionen) haben eine hohe Kompetenz für ästhetische Inhalte wie Bilder, Musik oder Dramaturgie, die zukünftig eine herausragende Rolle im dynamischen Internet spiulen werden.“

Was heißt das in der Praxis? Kultureinrichtungen müssen sich mit Blogs („Herausforderung Weblog“, Christian Henner-Fehr), Podcasts („Ein ungeheures Kanalsystem“, Christian Holst) und Online-Communities (Online-Communities; Theoretische und praktische Grundlagen für Kulturschaffende“, Anna-Carolin Weber & Tobias Kopka) auskennen und wissen, wie sie diese Tools zum Beispiel im Marketingbereich („Kulturmarketing 2.0?, Karin Janner und „Werbekampagne unter 50 Euro?“, Christian Dingenotto) oder in der PR („Effiziente Kultur-PR in einer vernetzten Welt“, Kerstin Hoffmann) einsetzen können. Wie das dann aussehen kann, das lässt sich anhand der vielen Fallbeispielen nachvollziehen, die in dem gut 300 Seiten dicken Buch zu finden sind. Ob es sich um ein kleines Theater wie das AuGuSTheater handelt oder um ein großes Orchester wie die Duisburger Philharmoniker, ob wir es mit einem großen Museum wie dem Städel-Museum zu tun haben oder der Kronberg-Akademy, in der hochbegabte junge MusikerInnen ausgebildet werden, von ihnen allen kann man viel lernen, denn Patentrezepte gibt es bis jetzt noch nicht. Dementsprechend breit sind auch die Inhalte in diesem Buch gestreut, aber das liegt nicht nur an der Komplexität des Themas, sondern ist eben auch der Tatsache geschuldet, dass es sich hier um einen Tagungsband handelt. Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen und weiß heute, was ich letztes Jahr für tolle Vorträge und Workshops verpasst habe, ein Problem, das ich wohl auch dieses Jahr kaum zu lösen imstande sein werde. Crosspost von Christian Henner-Fehr

Die Netzpiloten nehmen immer mal wieder Gastpiloten mit an Bord, die über ihre Spezialthemen schreiben. Das kann dann ein Essay sein, ein Kommentar oder eine kleine Artikelserie.


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