MIDEM 2014: Ist die Musikindustrie endlich am Wendepunkt angekommen?

In kleiner Runde wurde auf der MIDEM 2014 angenehm offen über den digitalen Wandel der letzten Jahre und den neuen Möglichkeiten der Musikindustrie diskutiert. // von Tobias Schwarz

MIDEM Panel (Bild: Tobias Schwarz-Netzpiloten, CC BY 4.0)

Die Digitalisierung verändert das Musikgeschäft seit mehr als einem Jahrzehnt und inzwischen haben viele Akteure ihre Lehren aus dem Wandel gezogen und das eigene Geschäftsmodell angepasst. Distribution ist digital geworden und längst in den Händen von Unternehmen wie Apple, Google und Spotify. Doch wenn es nicht mehr um den Verkauf von Platten geht, was bleibt dann noch übrig, womit Künstler und Verlage Geld verdienen können? Die Antwort ist naheliegend: Musik.

Beklagt euch nicht!

Am Sonntag Vormittag versammelte sich auf der MIDEM in einem kleinen Kino des Festivalpalast in Cannes eine Runde von miteinander vertrauten Akteuren der Musikindustrie, die allesamt seit Ende der 70er Jahre tätig sind. Emanuel de Buretel von Because Music, Kenny Gates von PIAS Recordings, Martin Goldschmidt von Cooking Vinyl Group, Colin Daniels von Vicious diskutierten mit Tom Silverman, CEO von New Musik Seminar, über den vermeintlichen Wendepunkt im Musikgeschäft. Die Offenheit dem Digitalen gegenüber und die einzige Panelregel, sich nicht zu beklagen, waren eine angenehme Abwechslung gegenüber ähnlichen Veranstaltungen in Deutschland. Und wesentlicher informativer.

Die fünf Vertreter der Independent Community haben ihre Geschäfte schon vor Jahren auf die Digitalisierung umgestellt. Für Emmanuel de Buretel liegt besonders im Streamingbereich eine enorme Möglichkeit, Geld zu verdienen. Dazu müsste er aber ein Unternehmen von einem Plattenlabel in ein Musikunternehmen umwandeln, denn durch YouTube und Spotify hätten sich die Aufgaben vollkommen verändert. „Wir müssen eben die neuen Bedürfnisse befriedigen„, fasste De Burtel die Motivation zum Wandel zusammen. „Dafür brauchen wir aber den Respekt von den großen Technologie-Unternehmen„, klagte er dann fast über Apple und Google, schon mit einem Blick auf Beats Electronics, Spotify und Deezer – die neuen Akteure im Musikgeschäft.

Kenny Gates änderte nicht nur den Fokus seines Plattenlabels, sondern gleich das ganze Unternehmen. Für ihn geht es immer noch um Musik, der Unterschied ist nur, dass jetzt auch die kleinen Akteure mit den großen Akteure mithalten können. Das zwingt alle in der Musikindustrie, bessere Musik zu produzieren, denn wenn jemand die im Vergleich bessere Musik hat, ist er nicht wie früher vielleicht durch Marketing wieder einzuholen. Deshalb hat Gates sein Plattenlabel in ein Technologie-Unternehmen umgewandelt und eine IT-Abteilung aufgebaut.

Lokalisierung statt Distribution

Musik wird heute via Googles Videoplattform YouTube entdeckt, über Spotify und Deezer angehört und dann vielleicht in Apples iTunes-Store gekauft. Dieser Fakt wird sowohl kritisch als auch neutral diskutiert. Kenny Gates lobt die Beziehungen zu Spotify, die von gegenseitigen Respekt geprägt sind: „Spotify ist nun einmal da und will auch mit uns zusammenarbeiten, im Gegensatz zu Google, dass uns nur ausnutzen will„. Martin Goldschmidt sieht das etwas nüchterner: „Das Apple und Google an den von finanzierten Inhalten Geld verdienen ist nun einmal deren Geschäftsmodell. Die schulden uns deshalb nichts„. Für Goldschmidt ist Piraterie Ausdruck des Unvermögens der Musikindustrie, sich mit den Menschen zu vernetzen. Apple und Google könnten seiner Meinung nach helfen, das zu ändern.

Die neuen IT-Unternehmen im Musikgeschäft haben nämlich einen Vorteil: sie wissen, wer die Kunden sind und vor allem wo sie sind. Dieses Wissen ist wertvoll, besonders für die kleinen Akteure, wie Vicious. Colin Daniels sieht vor allem in der Lokalisierung einen Weg Geld zu verdienen, dazu müssen aber vor allem die Künstler verstehen, dass Distribution nicht gleich Marketing ist. Zwar lässt sich Musik übers Internet weltweit verkaufen, um aber vor Ort bekannt zu werden, braucht es lokale Erfahrung und viel Zeit. Eine Band zu entwickeln kann schon einmal 20 Jahre dauern, aber Bands wie zum Beispiel Dire Straits zeigen, dass sich durch Konzerte auch noch nach Jahren Geld mit alten Erfolgen verdient werden kann, wenn man als Musiker bekannt ist.

Positive Zukunftsaussichten

Noch werden Apple und vor allem Google als nicht zu ignorierende Feinde diskutiert, doch ein Wandel ist in Sicht. Tom Silverman verweist darauf, dass man früher mit YouTube überhaupt nichts verdient hat, inzwischen ist die Videoplattform schon die fünftgrößte Einnahmequelle für kleine Musikunternehmen. Und die Zahlen steigen. Streaming wird zwar immer noch wegen der besseren Qualität der Musik und der respektvolleren Zusammenarbeit bevorzugt, doch in Zeiten in denen es nicht mehr den einen Plattenladen gibt und die eine Zeitung für Werbung, hat die Musikindustrie langsam verstanden, wie Apple und Google auch genutzt werden können. Ein wahrer Wendepunkt für die Branche, denn wenn „das Geld wiederkommt, kommt auch die Musikindustrie zurück, fasst Silverman das von ihm moderierte Panel zusammen.


Teaser & Image by Tobias Schwarz/Netzpiloten (CC BY 4.0)


ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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