Kryptografie ist gut, Demokratie ist besser: Die Diskussion um die Internet-Spionage darf nicht nur in Eliten, sondern muss auch mal mit Oma geführt werden. Die Aufregung um die Massenüberwachung durch die NSA hat US-Präsident Barack Obama kürzlich dazu bewogen, eine kleine Reform bezüglich der Datensammlung anzugehen – die vielen US-Amerikanern und Europäern aber natürlich nicht weit genug geht. Doch was kann man bloß tun im NSA-Zeitalter, als sich in Kryptografie zu schulen? Ein erster Schritt wäre, wieder ein wenig mehr an die Demokratie zu glauben. Sie ist die App, die wir wirklich brauchen.
„Verschlüsselt eure Daten!“
“Das Internet ist kaputt”, kränkte sich kürzlich Internet-Experte Sascha Lobo ob der NSA-Massenausspähung, und in verschiedensten Repliken wurde anschließend angeregt darüber diskutiert, wie kaputt das Internet nun wirklich ist. Zumindest kann man festhalten, dass es viele Menschen auf dieser Welt gibt, die meinen, dass das mit der NSA-Überwachung nicht so toll ist, aber ein echtes Gegenmittel gibt es noch keines. Zwar hat sich US-Präsident Barack Obama mit seinen Reformbestrebungen ein paar Zentimeter bewegt und das EU-Parlament ein paar Vorschläge parat, doch insgesamt geht die Ausspäherei von Normalbürgern auch in Europa fröhlich weiter. „Man braucht den Heuhaufen, um darin die Nadel zu finden„, beschreibt NSA-Direktor Keith Alexander das Prinzip, mit dem er Terroristen und andere Staatsfeinde aufspüren will – und deswegen wird unsere Online-Kommunikation weiter auf den Servern der (so heißt sie übersetzt) Staatssicherheitsbehörde der USA jahrelang gespeichert.
Was können wir nun gegen die Ausspähung durch Geheimdienste tun? „Verschlüsselt eure Daten!“, lautet die Antwort vieler auf die brennende Frage – die NSA solle sich doch die Zähne ausbeißen an kodierten SMS, Telefonanrufen und E-Mails. „Verschlüsselt, was zu verschlüsseln ist„, sagte etwa Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Club, auf der DLD-Konferenz in München. Googles Vorstandsvorsitzender Eric Schmidt ist ebenso dieser Meinung wie Microsofts Brad Smith oder der NSA-Forscher Steve Wright. „Stell´ dir vor, es gibt ein Smartphone, das für 50 Dollar mehr garantiert, dass die NSA für das Knacken deiner Kommunikation ein paar Monate braucht. Hunderttausende würden sich so etwas kaufen, es gibt einen Markt dafür„, sagte Wright in einem Interview zu mir.
Wenig verwunderlich boomt die Crypto-Industrie seit den Snowden-Enthüllungen ob der gestiegenen Nachfrage. PGP-Erfinder Phil Zimmermann will ein abhörsicheres Blackphone auf den Markt bringen, deutsche E-Mail-Provider bieten die vermeintlich sichere De-Mail an, Google-Alternativen wie DuckDuckGo oder Startpage wachsen schneller als je zuvor, Messaging-Apps wie Heml.is versprechen NSA-freies Handy-Chatten, BoxCryptor verkauft Cloud-Verschlüsselung. Das ist eine spannende Entwicklung, allerdings eine mit Schattenseite: Denn so wird Privatsphäre kommerzialisiert. Das, was früher gratis war (ja, Privatsphäre ist ein Menschenrecht, siehe Artikel 12 vom 10. Dezember 1948) gibt es im vernetzten Zeitalter womöglich nur gegen Aufpreis. Mit denen, die Wert auf den Schutz ihrer persönlichen Daten legen, wird nun Geschäft gemacht. Hinzu kommt eine praktische Hürde: Tools und Apps zu verschlüsselter Kommunikation (z.B. PGP, Redphone, TextSecure) sind heute schnell installiert – wenn sie aber vom Kommunikationspartner nicht genutzt werden, sind sie zwecklos. Das größte Problem mit der Verschlüsselung, die auch Edward Snowden gutheißt, ist aber, dass man sich durch ihre Nutzung absurderweise verdächtig macht. Medienberichten zufolge, die sich auf das Snowden-Material stützen, sind NSA-Mitarbeiter vor allem an jenem Datenverkehr interessiert, wo Mails mit PGP verschlüsselt oder TOR zum anonymen Surfen verwendet wird.
Überwachung ist kein technisches Problem, sondern eines der Gesellschaft
Eine verzwickte Situation also. Kryptographie wirkt wie ein Pflaster, das man auf einen Beinbruch klebt, und kann höchstens mittelfristig eine Antwort auf die NSA-Frage sein. Ich habe weder Lust, Extra-Geld für Verschlüsselungs-Smartphones auszugeben, noch, in „Stealth Wear“ zum Schutz vor Videokameras und sonstigen Spionage-Attacken durch die Straßen zu schleichen. „Wenn es ein technisches Problem wäre, dann könnte man es technisch lösen. Ist es aber nicht, es ist ein gesellschaftliches Problem. Wir sollten uns nicht fragen, wie wir unsere E-Mails noch besser verschlüsseln können, sondern: Wozu brauchen wir überhaupt Geheimdienste?„, sagte der bemerkenswerte österreichische Jungpolitiker Bernhard Hayden von den Piraten in einem Interview zu mir.
Ein gesellschaftliches Problem lösen zu wollen ist natürlich ungleich schwieriger, als sich schnell einmal eine Crypto-App aufs Smartphone zu laden – aber nicht unmöglich. Der Atomwaffensperrvertrag von 1968 erschien zur Kubakrise 1962 utopisch, und dass Mülltrennung heute selbstverständlich für (fast) jeden in Mitteleuropa ist, war vor 100 Jahren wohl unvorstellbar. „Prinzipiell kann man alles rückbauen, wir haben es ja etwa geschafft, von 50.000 Nuklearsprengköpfe auf ein paar tausend zu reduzieren. Auch die Kernenergie konnte in Europa zurückgedrängt werden. Man sollte nicht ausschließen, dass uns das auch bei den negativen Auswirkungen von Big Data gelingt. Aber es ist höchste Zeit, als Gesellschaft diese Diskussion zu führen„, sagte etwa der Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberger in einem Interview zu mir.
Fragt sich nur, wo man beginnen sollte. Wahrscheinlich im Kleinen. Man kann Oma mal erzählen, was man von der Sache hält (twittern und facebooken geht auch). Man kann ins Wirtshaus zum Bürgermeister/Bezirkspolitiker rübergehen und ihn dazu anspornen, Position zu beziehen und diese Position nach oben in die Parteispitze zu tragen. Man kann Briefe schreiben und E-Mails tippen und diese an die Parlamentarier schicken (oder sie, noch besser, zum Bier treffen, da redet es sich besser). Man kann bei der nächsten Wahl (am 25. Mai ist wieder eine, diesmal zu Europa) seine Stimme abgeben für die Partei, von der man glaubt, dass sie sich gegen die Überwacher stark macht. Und so weiter und so fort – hier ist Kreativität erlaubt. Also alles Dinge, die die Menschen in China oder dem Iran, von denen wir in Prä-NSA-Zeiten dachten, dass sie ganz fürchterlich überwacht werden, nicht so ohne weiteres tun können. Anders als WikiLeaks-Gründer Julian Assange und TOR-Entwickler Jacob Appelbaum, die heutige westliche Demokratien als totalitäre Überwachungsstaaten bezeichnen, habe ich keinen Bock, meinen Glauben an die Demokratie aufzugeben. Benutzen müssen wir sie halt – sie ist die App, die wir wirklich brauchen.
Image (adapted) „Keys on Keyboard“ by Intel Free Press (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: demokratie, Gesellschaft, Jakob Applebaum, NSA, Sascha-Lobo, Überwachung, Verschlüsselung
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