„Jeder bereitet sich auf die Arbeit vor, aber bereitet Arbeit auf irgendwen vor?“ Schon beim Motto des Palomar5–Projekts muss man um die Ecke denken und kommt doch nicht an. So ging es wohl auch den 30 Teilnehmern des sechswöchigen Innovations–Camps in Berlin. Aus hunderten Bewerbern hatten die Organisatoren ein buntes Grüppchen Twenty–Somethings aus aller Welt zusammengestellt. Ihre Aufgabe: Neue Arbeitsumwelten zu entwerfen, „die den Fähigkeiten und Bedürfnissen einer digitalen Generation entsprechen“. Doch radikal neue Ansätze zur Zukunft der Arbeitens entstanden hier am Ende nicht. Die digitalen Blumenkinder hatten das Projekt in den Dienst eines größeren Traums gestellt. Das war enttäuschend, aber auch schön.
Am Montag wurden die im „Innovationscamp“ entstandenen Projekte Vertretern aus Wirtschaft und Presse vorgestellt. Am Dienstag war der Summit für alle offen. Als „Zukunfts–WG“ (Spiegel Online) hatten die Teilnehmer sechs Wochen in der Schöneberger Malzfabrik verbracht, in Wohnwürfeln und großen Studios. „Wie werden wir in Zukunft arbeiten?“ war die Frage an die 30 „Digital Natives“. Doch dann redeten sich die Teilnehmer über „alle Probleme der Welt“ die Köpfe heiß, und die thematische Eingrenzung wurde verworfen. So entstanden in den folgenden Wochen Projekte, die kreativ, aber nicht wirklich bahnbrechend sind.
Das Projekt „DataDJ“ soll einen leichteren, individuelleren und intuitiveren Umgang mit Informationen in einer einzigen Computer–Anwendung ermöglichen. Die gab es aber noch nicht. Zur Veranschaulichung beamten die „Palomars“ bunte Kästchen und Kreise an die Wand. Jeder Nutzer könne so seine Daten aus verschiedenen Informationskanälen zusammenführen, individuell arrangieren und über eine neue Zoomfunktion tiefer in einzelne Aspekte eintauchen. Als Ergebnis von sechs Wochen Arbeit hätte man einen konkreteren Prototyp erwartet.
Ganz hoch hinaus will das Projekt „Space Camp“: Es möchte der gesamten Menschheit kostenfreies Internet bescheren und die digitale Spaltung der Welt überwinden. Dazu sollen 16 Satelliten ins All geschossen werden, finanziert von NGOs und großen Geldgebern wie Al Gore. Eine Grassroots–Bewegung im „Obama–Stil“ ist als Unterstützung des Projekts vorgesehen: „We have to create a movement“, so Ingenieur Kosta Grammatis. Eine schöne Utopie, aber auch ein ziemliches Top–Down–Projekt, das auf große Geldmengen und die Spendenfreudigkeit von Eliten angewiesen ist. Wäre es nicht spannender gewesen, nach günstigeren Lösungen zu suchen?
Den besten Prototyp präsentierte das Team von „Dada technology“: Ein kleines Gerät, das Text direkt vom Bildschirm per Induktion absaugt und dann mit E–Ink ähnlich wie ein E–Reader darstellt. Die Idee dahinter: Die Arbeit mit Computern ist bisher von Prozessen bestimmt, die dem menschlichen Körper nicht entsprechen. Daten auszutauschen und sich vor Augen zu halten, soll wieder „dreidimensionaler“ und natürlicher werden, etwa wie ein Buch aus dem Regal zu nehmen.
Palomar5 versprach als nicht–kommerzielle Initiative „Möglichkeiten für Innovation außerhalb der Strukturen großer Unternehmen“ zu schaffen und „echten Wandel“ in Gang zu bringen. Gleichzeitig war es auf das Sponsoring großer Unternehmen angewiesen. Die genauen Kosten für das Camp wollte Mitorganisator Jonathan Imme nicht verraten: „Eine sechsstellige Summe“. Immerhin mussten die Teilnehmer ausgewählt, eingeflogen, sechs Wochen lang untergebracht, verpflegt und mit Experten und Geld für ihre Projekte versorgt werden. Bezahlt hat das maßgeblich die Telekom, aber auch Coca Cola und Bionade sind unter den Sponsoren.
Gemessen an dem, was an Zeit, Geld und Potential in Palomar5 steckte, war das Outcome etwas mager. Dass es trotzdem mit großer Geste präsentiert wurde, machte einen aufgeblasenen Eindruck. Etwas befremdlich wirkte auch das Promo-Material: Gleich am Eingang bekam man einen Stapel hochglanziger Karten in die Hand gedrückt, vorne ein schickes Foto eines Teilnehmers, hinten eine Selbstdarstellung in Claims. Schick, praktisch, aber irgendwie auch beklemmend, wie man so das kreative, junge Humankapital gleich zur Hand hatte. „Collect them all“, kommentierte einer der Gäste. Die Teilnehmer selbst machten während der Präsentation den Eindruck, in einer gruppendynamischen Realitätsblase gelandet zu sein. Frenetisch bejubelten sie sich gegenseitig und ließen die Anwesenden wissen: „It was such an intense experience. You should have been there.“
Doch anscheinend hat Palomar5 auch etwas bewirkt, das sich nicht nach Kriterien von Input/Output, Erwartung und investiertem Geld messen lässt. Das konnte man erst richtig erleben, als die Show, mit der das Sponsoring fürs nächste Jahr gesichert werden sollte, vorbei war.
Der zweite Tag des Summits war von einer ganz anderen Stimmung geprägt. Keine Hysterie mehr, die „wichtigen“ Menschen schienen wieder abgereist zu sein – oder vielleicht fühlte es sich auch nur so an. Alles ging viel ruhiger und bescheidener zu, man tauschte sich in offener Camp–Athmosphäre aus. Die Palomar5–Teilnehmer hatten endlich mal wieder ausgeschlafen und standen nicht nur Fernsehteams, sondern allen Interessierten Frage und Antwort. Sie schienen wirklich für ihre Pläne zu brennen und reflektierten ihre Arbeiten kritisch. Die fügten sich, wenn man ihnen einen zweiten Blick gönnte und keine Wunder erwartete, zu einer sehr menschlichen und inspirierenden Philosophie zusammen.
Diese Philosophie liegt grade zeitgeistmäßig in der Luft. Den Traum von einer besseren, gerechteren, nachhaltigeren Welt, die vor allem durch Netztechnologien befördert wird, trifft man in letzter Zeit immer öfter, auf dem atoms&bits–Festival, der all2gethernow, auf Portalen und in Projekten wie thehub, repairberlin oder utopia. Es scheint eine neue Generation von Leuten zu geben, die wieder daran glaubt, dass man die Welt anders gestalten kann. „Tschüss, zynische Postmoderne“, sagen die digitalen Blumenkinder, auch, wenn sie das manchmal naiv aussehen lässt.
Palomar5 fliegt im Windschatten vieler Projekte, die es bereits gibt. Es muss nicht elitär daherkommen, um wahrgenommen zu werden. Es gibt andere Wege, Sponsoren zu überzeugen, als die Teilnehmer auf Setcards als Krone der Individualität verkaufen und damit das System zu füttern, das man doch eigentlich neu denken will. Vielleicht fangen Investoren langsam an zu verstehen, dass Subtilität und echtes Engagement langfristig gewürdigt werden und die große Corporate–Social–Responsibility–Show meist eher lächerlich wirkt. Dann wäre es nicht mehr nötig, eine Veranstaltung wie die am Montag zu erzwingen.
„Meine Mutter wollte, dass ich glücklich bin. Sie wollte, dass ich viel Geld verdiene und mit 45 in Rente gehe“, erzählt die 28–jährige Teilnehmerin Rana Jarbou aus Saudi–Arabien. Sie hat sich „retired banker“ auf ihre Visitenkarte geschrieben. Ihren Job in Londons Finanzwelt hat sie trotz der Bedenken ihrer Mutter kurz vor der Teilnahme bei Palomar5 an den Nagel gehängt, „weil da einfach etwas schief läuft mit den Formeln“. Sie möchte jetzt Comics zeichnen und nie mehr etwas des Geldes wegen machen.
Was aus den digitalen Blumenkindern wie Rana wird, bleibt spannend. Denn sie gehören zur „crowd they are trying to source from“. Mal sehen, ob sie widerstehen.
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Schlagwörter: berlin, blumenkinder2.0, p5, palomar5
5 comments
Stimmt, Blumenkinder-Feeling, sowas war da @palomar5 … und lieb waren sie auch alle, so lieb, dass mir irgendwann die Lust auf Spontaneität verging und ich nicht mehr wusste, was ich da eigentlich noch will. Metropoliten, die in Freundlichkeit und Inspiration schwammen, für 6 Wochen ist das sicher eine prägende Erfahrung und kann ein gutes Klima für Kollaboration schaffen. Wie unterschiedlich sind denn die kulturellen Mentalitäten noch, wenn alle aus der gleichen globalen Schicht kommen? Da fand ich die analogen Blumenkinder irgendwie knackiger, mit mehr Ecken und Kanten und sicher auch mehr Schichtungen.
Die Blumenkinderdiskussion wird mir mit meiner 68er Mutter sicher auch noch bevorstehen – wer hat nun mehr erreicht und mit welchen Mitteln? Findet der Systemumbruch nun in der Blogosphäre statt? Ich glaube nicht. Und ich glaube auch nicht, dass es bei Palomar5 darum geht. Sondern darum, eine „eine Kultur der Zusammenarbeit, Kreativität und, ja, der Menschlichkeit“ zu schaffen, wie Wolfgang von Mindmatters so betreffend schreibt http://bit.ly/7aQmsb. Wenn die Botschaft von Kollaboration, Inspiration sowie sozialer und ökologischer Verantwortung in den oberen Corporate Etagen nur zu einem Bruchstück ankommt, braucht es zwar noch einen tapferen Changemaker, der diesen Samen in seiner Abteilung einpflanzt. Aber von denen gibt es mehr als man denkt ;-)