Jenke von Wilmsdorff ist für seine RTL-Sendung nach Neuseeland geflogen und hat bei der Filehosting-Legende Kim Schmitz übernachtet. // von Lars Sobiraj
Bei dem Mann ist wirklich alles gigantisch. Kim Dotcoms Punkte in Flensburg, sein Gewicht, seine Autos, die Villa inklusive Pool und Videospielzimmer und last, baut not least seine Fähigkeit, sich in den Medien in Szene zu setzen. Lars Sobiraj hat sich vorgestern für die Netzpiloten bei RTL die Premiere von „Ich bleibe über Nacht“ mit Jenke von Wilmsdorff angesehen. Im Mittelpunkt der neuen Sendereihe stand der norddeutsche Internet-Unternehmer Kim Schmitz, der sich nun Dotcom nennt.
MegaBox hätte die Plattenlabels abgelöst
Zu Beginn der Sendung wurden zum donnernden Matrix-Soundtrack mehrere Einspielungen verschiedener ausländischer TV-Sender gezeigt. Im Fokus der Kameras stand die Durchsuchung der Megaupload-Villa. Januar 2012 wurden in Neuseeland vier Personen festgenommen und angeklagt, die mit zahlreichen mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen des Internet-Dienstleisters Megaupload in Verbindung stehen sollen. Die Hersteller von Computerspielen, Filmen, Software, Pornos und Musikstücken bezichtigen die Angeklagten, sie seien verantwortlich für Schäden in Höhe von einer halben Milliarde US-Dollar. Es ist „Hollywoods letztes Gefecht“, glauben sie. Einer der Gründe für den Zeitpunkt der Abschaltung diverser Angebote war das Bekanntwerden von MegaBox. Dieses neue Projekt sollte Musikern die cloudbasierte Veröffentlichung ihrer Musikstücke und Alben ermöglichen.
Kim Dotcom, der Mitbegründer all dieser Dienstleistungen, versprach den Künstlern einen Anteil von 90 Prozent der Einnahmen. Damit wären die Plattenlabels mittelfristig raus aus dem Geschäft. Nach Abschluss der Testphase sollte die Ablösung der Plattenlabels Anfang 2012 erfolgen. Doch zu MegaBox kam es nicht, stattdessen beschlagnahmten Mitarbeiter des US-Justizministeriums und vom FBI alle Daten der US-amerikanischen Server. Dotcom war spätestens nach Erscheinen des Promo-Videos dafür bekannt, gute Kontakte zu diversen Top Acts zu besitzen. Für den Megaupload Song holte man Künstler, wie Will.i.am, Kayne West, Chris Brown, Jamie Foxx, Sean Combs, Kim Kardashian und viele mehr ans Mikrofon. Spätestens, nachdem der erste bekannte Musiker dort seine Songs mit Erfolg vermarktet hätte, wäre es für die Musikindustrie eng geworden. Denn die wenigen populären Topstars finanzieren letztlich die Veröffentlichungen der ganzen Newcomer. Aufbauarbeit hätte Dotcom wohl keine geleistet, sondern sich auf das reine Abkassieren beschränkt. Auf jeden Fall ging nach dem Aus von Megaupload die Auslastung der Leitungen merklich zurück. Eigenen Schätzungen zufolge soll der Filehoster 4 Prozent des gesamten Internet-Aufkommens ausgemacht haben.
Der „kleine Junge aus Hamburg“, wie ihn RTL nannte, sitzt seit 22 Monaten in Neuseeland fest. Er muss warten, bis die Entscheidung über seine Auslieferung in die USA gefallen ist. Kim Schmitz darf sich frei bewegen, muss sich aber ein Mal wöchentlich bei der örtlichen Polizei melden, was er „Banane“ findet. Sollte er ausgeliefert werden, drohen ihm in den USA rund 20 Jahre Freiheitsentzug. Das und seine umfangreiche Vorgeschichte wurden am Sonntag nur am Rande behandelt. RTL versuchte stattdessen die komplette Story auf die alles entscheidende Frage zuzuspitzen, ob der Reporter für seine Home Story bei „Kim Protz“ übernachten darf. Dabei bringt schon ein Blick bei Wikipedia weit mehr, als uns Jenke von Wilmsdorff in knapp einer Stunde gezeigt hat.
Bei Monitor demonstrierte Kim Schmitz Anfang der 90er, der sich in der Computerszene Kimble oder Bitbug nannte, wie man mit einem Commodore Amiga, einem Kopfhörer und einem herkömmlichen Telefonanschluss umsonst telefonieren konnte. Ein Tag nach der Ausstrahlung beim WDR war Blue Boxing Geschichte. Wer seine Daten weltweit transferieren wollte, musste auf kostenpflichtige und nicht weniger illegale, weil geklaute Calling Cards umsteigen. Die verkaufte Kimble über seine Mailbox „House of Coolness“ und verschenkte zudem illegale Telefonkarten an die aktivsten Uploader. Das Prinzip „Warez gegen Geld“ blieb auch beim Filehoster Megaupload bestehen. Wer dort besonders beliebte Archive hochlud, wurde mithilfe eines eigenen Bonusprogramms für seine Mühen entlohnt. Soll heißen: Umso aktueller die Alben oder Filme waren, umso häufiger wurden sie von dort heruntergeladen. Und umso höher fiel somit auch die Prämie der Uploader aus.
Kim Schmitz wurde zudem vielfach vorgeworfen, er habe im Verlauf der 90er Jahre gemeinsam mit Rechtsanwalt Freiherr von Gravenreuth bis zu 100 illegalen Mailboxbetreibern in Deutschland den Garaus bereitet. Freiherr von Gravenreuth verfügte bekanntlich über exzellente Kontakte zu Microsoft, Softgold, Rushware und zu anderen Spieleherstellern. Kim soll ihm die belastenden Mitschnitte besorgt haben, Gravenreuth erledigte offenbar den Rest. Pikant daran war, dass Schmitz mit den Durchsuchungen zahlreiche illegale Mitbewerber aus dem Weg räumte, die nichts anderes taten, als er selbst. Leider blieb auch das bei RTL unerwähnt. Bei der Vorgeschichte beschränkte man sich auf seine Insidergeschäfte, seine Edelkarossen-Rennen und die Feierlichkeiten inklusive der mitunter leicht bekleideten weiblichen Gäste.
Bei RTL erzählte Kim Schmitz, er sei als Jugendlicher als Cracker aktiv gewesen und habe den Kopierschutz von Originalspielen entfernt. Das sei alles „total einfach“ gewesen. Wer Fachleute fragt, erfährt hingegen, dass die Entfernung mit Ausnahme von simplen Passwortabfragen nicht „total einfach“ ist. Ansonsten wäre keine Raubkopiererszene entstanden, weil jeder Gamer den Kopierschutz eigenhändig aus den Spielen entfernt hätte. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb er später die illegale Szene verliess, um Geld mit einer eigenen Partyline zu verdienen. Mit 18 Jahren habe er es „übertrieben“, wie er es selbst ausdrückte. Über diverse Telefonleitungen wurden seine eigenen Partylines angerufen. Die Anrufe bezahlten letztlich die Eigentümer der gestohlenen Telefonkarten. Damit habe man monatlich 10.000 DM und mehr erwirtschaftet, was ihn aber in Konflikt mit dem Gesetz brachte. Derartige Vorfälle führten unter anderen dazu, dass der Chaos Computer Club den mittlerweile mehrfach Verurteilten nicht in den eigenen Reihen haben wollte. Wer mehr darüber lesen möchte: Die sogenannten Kimbolismen sind eine zeitlose Lektüre. Dies ist eine Sammlung der unterhaltsamsten Newsgroup-Postings zu Dotcoms CCC-Zeiten. Schon im ersten Posting fragt er, ob man wegen ihm eine eigene Religion gründen sollte.
Schufa: Helmut Kohls Kreditwürdigkeit auf null gesetzt
Süddeutsche Zeitung, Express, T-Online und der Focus sprangen gestern auf den medialen Zug auf, weil Dotcom behauptete, er habe die Kommunikation von Helmut Kohl abgehört. Außerdem sei er damals angeblich bei der Schufa eingedrungen, um die Kreditwürdigkeit des Altbundeskanzlers auf null zu reduzieren. Dotcom findet, es wäre lustig mal als Darsteller einen Oscar zu gewinnen, nachdem er doch hollywoodreif verhaftet wurde. Sein Bodyguard Wayne Tempero beschrieb das Szenario deutlich beängstigender. So habe er seinen Klienten systematisch dazu erzogen, bei Problemen sofort den Panic Room der Villa aufzusuchen. Statt des geheimen Raumes versuchten die FBI-Mitarbeiter die Tür des Lastenaufzuges aufzubrechen. Tempero weiß auch nicht, wieso niemand auf die Idee kam, dass Dotcom zu dick und schwer für den Lastenaufzug war. Nachdem die Mitarbeiter des FBI den Hausherren nicht ausfindig machen konnten, wurde schließlich doch noch der Bodyguard verhört. Er verriet ihnen, wo sie im Gebäudekomplex suchen mussten.
Tränendrüse
Auf die Tränendrüse drückte Kim Dotcom, als seine eigene Jugend zur Sprache kam. Sein Vater sei alkoholabhängig und gewalttätig gewesen, den Kontakt habe er schon vor vielen Jahren abgebrochen. Er hatte schon frühzeitig den Drang, seine Mutter zu beschützen. Seine eigenen 5 Kinder möchte er in einer wohlbehüteten Umgebung aufwachsen sehen. Sie sollen glücklich sein, nie Angst haben müssen. „Wäre cool, wenn ich das auch (als Kind) gehabt hätte“, sagte er unter Tränen. Fast hat man Mitleid mit dem Exil-Deutschen. Doch machen wir uns nichts vor. Auf ihn würden im Fall einer Rückkehr in der Heimat einige böse Überraschungen warten. Nicht alle früheren Bekannten und Mitstreiter sind voller guter Erinnerungen. Die offizielle Aussage klingt natürlich ganz anders. Dotcom scheut eine Rückkehr, weil er aufgrund der deutschen Ermittlungen wegen börslichen Insider-Handels verhaftet und in Bangkok untergebracht wurde. Die unmenschlichen Zustände im thailändischen Gefängnis habe er den deutschen Ermittlern nicht verziehen.
Seine Ehefrau Mona und ihn trennen satte 130 Kilogramm Gewicht und 14 Jahre Altersunterschied. Er müsse bei seinem Übergewicht schneller leben, weil seine Lebenszeit kürzer ausfallen wird. „Wenn ich 60 werde, wäre das ein Glücksfall.“ Natürlich habe er aufgrund seines Reichtums an der Liebe von manchen Frauen gezweifelt. Aber bei Mona glaubt er fest daran. Seine Ehefrau aus den Philippinen findet, er habe so viel mehr als nur Geld zu bieten. Trotz des Reichtums habe sich in ihrem Leben nichts verändert. Leider wird auch diese Aussage kaum hinterfragt.
Nicht für das Verhalten der User verantwortlich?
Die Online-Dienstleister MEGA als auch Megaupload sieht Dotcom als reine Internet-Provider an. Man stelle den Kunden lediglich ein Angebot zur Verfügung. Es läge in den Händen der User, was sie daraus machen. Wegen der Anklage ist Dotcom sauer. „Das ist eine Schweinerei, was die gemacht haben mit uns.“ Dies sei weltweit das erste Verfahren gegen einen Filehoster, das zu einer Inhaftierung der Betreiber führte. Dann verzettelt er sich in wilden Verschwörungstheorien. Er als Buhmann sei für die amerikanischen Rechteinhaber ein einfaches Ziel. Man habe ihn gezielt für diese Schmutzkampagne ausgesucht. „Ich weiß, ich habe nichts falsch gemacht.“ Auch den eigenen Helikopter will er nicht benutzen. Man wüsste nicht, ob sich nicht jemand vom CIA daran zu schaffen gemacht hätte, witzelt er.
Nur an der Oberfläche gekratzt
Jenke von Wilmsdorff stellte keine Rückfragen und leider auch keine einzige Aussage von Kim Dotcom infrage. Ein wenig sieht es nach gefälliger Berichterstattung aus. Dazu passt, dass ausgerechnet wenige Tage vor der Ausstrahlung MEGA die Beta-Phase verliess und das Aussehen des Filehosters komplett überarbeitet wurde. Hat man sich wegen der kurzfristig festgelegten Ausstrahlung womöglich abgesprochen?
Das Fazit des Reporters fiel auch eher dürftig aus, es war von allem etwas dabei. Dotcom habe gefühlvolle als auch nachdenkliche Seiten. Er sei nicht ausschließlich laut und nicht nur ein Angeber oder Großkotz. Das Bild von ihm habe sich im Verlauf der Aufnahmen gewandelt. Kim habe einfach viele Talente. Offenbar konnte er sowohl Kameramann als auch den Reporter voll und ganz auf seine Seite ziehen. Auch was die juristische Fragestellung wegen der Urheberrechtsverletzungen betrifft, hält man sich lieber raus. „Das müssen die Juristen klären, was man ihm vorwirft“, schließt von Wilmsdorff seine erste Sendung ab.
RTL hinterlässt viele offene Fragen und ein Publikum, das rund eine Stunde mit seichter Unterhaltung bespaßt wurde. Wer will, kann das gerne verurteilen. Oder man kann schlichtweg festhalten, dass von diesem Kölner TV-Sender vor Beginn der Primetime nicht mehr zu erwarten ist. Sicher war das nicht so beabsichtigt. Aber diese Folge von „Ich bleibe über Nacht“ geriet ungewollt zur reinen Überbrückung zwischen den 19 Uhr-Nachrichten und dem abendlichen Spielfilm. Wer sich selbst ein Urteil bilden will, kann dies hier tun.
Teaser by Andreas Bohnenstengel (CC BY-SA 3.0)
Image by Thierry Ehrmann (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: Fileshosting, Jenke von Wilmsdorff, Kim Dotcom, MEGA, RTL, Sendung
1 comment
Wir haben das am Sonntag auch gesehen. War interessant zu sehen, wo der so wohnt und was er so erzählt.
Fast hätten wir uns auch von dem Bild täuschen lassen. Im Nachhinein ist es uns aber dann doch sehr spanisch vorgekommen, daß er so positiv dargestellt wurde.
Unser Verdacht -> er hat ein neuen Projekt, daß promotet werden soll damit !