Wie macht man eigentlich Pressearbeit im Web? Oder kommuniziert man direkt zu Kunden und Interessenten und behandelt die Presse nicht mehr bevorzugt? Ein Zwitterwesen ist der Social Media Newsroom.
Social Media Newsroom – was ist das und wie geht das?
Vor einiger Zeit machte die Wasserfirma Volvic auf sich aufmerksam, weil sie die Presseseite für ihr Wasser anders gestaltete als andere Firmen.
Was war passiert? Ein Amerikaner namens Todd Defren von Shift Communications hatte 2006 eine Idee für eine Presseseite im Web. Er veröffentlichte sein Wissen, damit alle es nutzen konnten. Diese Besonderheit ist in vielen Ländern der Erde noch nicht real angekommen. Wissen vergrößert sich durch Teilen. Genau dieses (Mit-)Teilen von nützlichen Inhalten und Gedanken ist der Kern des Begriffs Social Media.
Er erfand also quasi das Template (Vorlage) für Social Media Pressemitteilungen (hier als PDF). Das Besondere war vor allem, dass Defren bei der Veröffentlichung seines Templates sofort mitteilte, wer seiner Konkurrenten in ähnlicher Weise vorhatte zu arbeiten und wünschte sich und ihnen Glück im Wettstreit der Ideen. Denn dies ist eine weitere Idee von Social Media: Es gibt immer mehrere Wege nach Rom. Diversifikation statt Marktbeherrschung. In der Evolution ist dies ein Kriterium für den Überlebenskampf der Arten. Defren verlinkte auch die zur Idee zugehörige Bookmarksammlung, damit alle profitieren können von den Quellen, die er und seine Firma nutzten und weiterhin nutzen.
Da im Moment viele Ratschläge im klassischen Einsatzformat von Publikumsmagazinen auftauchen, hier nun ein paar Gedanken, die nicht in einen Satz passen, aber möglicherweise helfen, eigene Lösungen zu finden.
Wer das Template betrachtet, findet eine Vorlage für eine Website, die in inhaltliche Blöcke aufgeteilt ist. Diese Art der Zuordnung funktionaler Bereiche in einer Website nennt man Wireframes.
Erkennbar ist eine grobe Einteilung in drei vertikale Bereiche, die man auch in vielen Blogs wiederfindet. Die linke Spalte umfasst den Zugang zu Managerinformationen, zu einer Multimediagallerie (die man auch ganz komfortabel bei YouTube (Film) oder Flickr (Fotos) einrichten kann) sowie zu eigenen Profilen bei Social-Bookmarkdiensten. (Das ist das Mitteilen der eigenen Web-Lesezeichen für Freunde und die Öffentlichkeit). Die Galerie ist eine Funktion einer Website, die wie ein Bilder-, Ton- oder Filmarchiv aufgebaut ist.
Die mittlere Spalte enthält den Kern, also die Texte, Artikel oder Pressemitteilungen – oder, falls man auf Galerie klickt, eben die Bilder bzw. Filme. Defren hat ganz oben die Archivfunktion für bereits erschienene Clippings integriert. Clippings sind die Inhalte, die ein Medium zu einem/r Thema/Produkt/Firma veröffentlicht hat. Ein Heidenspaß, solche Inhalte wiederum in der eigenen Website zu veröffentlichen. Das Clearing, also die juristische Klärung ob und in welcher Art diese bereits vom Verlag in die Welt gebrachten Inhalte nochmals auf der Presseseite der Firma publiziert werden dürfen, ist keine Lappalie. Darunter findet man die Texte, die das Unternehmen schlussendlich in die Welt bringen möchte sowie einen Terminkalender zu Messen und Veranstaltungen.
Die rechte Spalte beinhaltet die Ansprechpartner inklusive aller Kanäle, sie zu erreichen wie Telefon, Fax, E-Mail, Twitter und anderes. Zusätzlich eine Wolke mit Schlüsselbegriffen, die allerlei Schlagwörter zu den behandelten Themen der Seite enthält sowie die obligatorischen RSS-Feeds. Feeds sind kleine Signale, die eine Website an einen Browser oder eine RSS-Leseprogramm aussendet um mitzuteilen, dass etwas Neues publiziert wurde. Kurz: Es ist eine Beanchrichtigung über neue Inhalte. Oft umfassen diese Feeds den ganzen Text eines Artikels inklusive der Bilder, die man sich in seine eigene Seite einbauen kann oder je nach Wunsch mit blauem, gelb-kariertem oder schlicht weißem Hintergrund ansehen kann. Am Ende verlinkt man dann Blogs und Webpräsenzen von Geschäftspartnern oder einfach das, was man im Web selber gerne liest (Blogroll).
Warum braucht eine Firma Social Media Newsrooms?
Zunächst ist es essentiell, zu verstehen, was eigentlich Social Media bedeutet. Dies wird hier ganz schnell und einfach erklärt:
Wir haben erfahren, dass Konsumenten mehr und mehr auch die Rolle von Produzenten einnehmen. In Bezug auf Medien bedeutet dies, dass nicht nur Zeitungen sondern auch private Blogger Meinungen und Bewertungen zu Produkten und Firmen verbreiten. Die Kommentare erweitern diese Artikel zu einem Dialog mit den Lesern. Twitter ist eine Echtzeit-Ebene dieser Kommentare. Aber nicht nur Kommentare zu Blogartikeln und Pressetexten werden getwittert. Auch Fragen und Bewertungen zu den aktuellen guten oder schlechten Erfahrungen mit Firmen und Produkten finden ihren Weg durch das World Wide Web.
Um aktiv Inhalte in Form von Texten, Artikeln, Filmen, Audio oder Fotos so zu verbreiten, wie man wahrgenommen werden möchte, empfehlen Agenturen eben besagten Social Media Newsroom.
Um den erfolgreich zu machen, hat ein Online-PR Experte namens Klaus Eck folgende Tipps verbreitet:
Ein gut gemachter Social Media Newsroom ist essentiell für die Online-PR: Er …
- eröffnet einen schnellen Zugang zu den wichtigsten Unternehmensinhalten
- lebt von aktuellen und vielfältigen Inhalten, die möglichst täglich erneuert werden
- ist komplett per RSS abonnierbar und individualisierbar
- basiert auf Pull-Elementen und nicht auf Push
- spricht Journalisten wie andere Influencer gleichermaßen an
- verweist nicht nur auf die eigenen, sondern auch auf fremde Quellen (Verlinkung)
- […]
Das Problem daran ist: diese Tipps helfen weder anderen Agenturen noch einem Unternehmen, das überlegt, so eine Überarbeitung seiner Presse-Website vorzunehmen.
Denn zunächst geht es hier um Schnelligkeit des Zugangs oder das Aktualisieren von Inhalten. Egal, welches Layout man wählt und welche technische Grundlage zum Publizieren im Web dient, die Frage ist, wen spreche ich im Web auf welche Weise an. Das ist ein Klassiker der PR, die Rezeption eines Inhalts in den Fokus zu nehmen. Social Media bedeutet ja, dass ich potenziell alle im Web anspreche und allen ermöglichen will, mit meinen Informationen etwas eigenes anzufangen. Das erfordert zunächst eine strategische Vision hinsichtlich der Relation von Produkt zu Vertriebskanal. Es erfordert aber noch viel mehr eine Öffnung der Firmen in Bezug auf die Kundenbedürfnisse. Aus dem Marketing kennen wir die Pull-Strategie. Social Media übernimmt passiv die Aufgabe des Screenings, um die Kundenwünsche wahrzunehmen. Das funktioniert aber viel präziser, wenn ich Kunden dort abhole wo sie sind. Das ist im Zweifel nicht auf der Presseseite der Firma sondern in Sozialen Netzwerken, wo man eigene Profile für Produkte und Firmen eröffnen kann – dort können dann auch die Inhalte publiziert bzw. per RSS-Feed angezeigt werden. Jede Kundengruppe bevorzugt eigene Netzwerke und Gruppen. Es ist also klug, sich rechtzeitig Gedanken über sein Gegenüber zu machen.
Der Hinweis auf RSS-Abonnements betrifft ja hier nur die Besucher der Pressewebsite. Es geht also eher um Journalisten. Diese mangelnde Differenzierung zwischen Social Media Newsroom (Inhalte für Jedermann als Quelle von Informationen) und neuartigem Newsroom mit den zusätzlichen Funktionen eines Blogs zieht sich seit Jahren durch die Diskussion. Es hat wenig Sinn, Journalisten, die chronisch mit Inhalten aller Art bombardiert werden, auch noch mit RSS-Feeds zu traktieren.
Eine wichtige Ergänzung noch zum Verlinken. Aus der Geschichte des Web kommt der Begriff des Hyperlinks, also der Verbindung zwischen Artikeln. Dies ist neben Datenbanken und der elektronischen Darstellung von Texten der bisher einzige Unterschied des Web zu den tausende Jahre alten Bibliotheken. Man kann Links eigentlich gar nicht überschätzen. Das wichtige erklärt Journalismusprofessor Jay Rosen hier:
Ist ein Social Media Newsroom schon PR im Web?
Es gibt keine Agentur, die einer Firma sagen kann, welche Inhalte in welcher Form aufgefasst und modifziert werden. Wer sich also wirklich nahe an Kunden und damit an Menschen begibt, der muss mit Zuneigung oder Kritik und Ablehnung rechnen. Wer die Meinungen über seine Firma und Produkte kontrollieren will, ist hier fehl am Platz. Wer einfach seine Presseseite mit RSS-Feeds und ein paar Videos aufhübschen will, soll das tun. Social Media ist aber bedeutend mehr und funktioniert völlig anders. Wer darüber mehr lesen will, dem sei zunächst die Idee des Buzz-Marketing von Emanuel Rosen empfohlen, der den direkten Kontakt zwischen Menschen über Produkte sehr gut erklärt.
Man kann dort viel über den strategischen Einsatz von Social Media erfahren, denn der Kern ist ein Dialog mit den Marktteilnehmern. Bisher nutzten Firmen nur das Broadcast-Modell (Presseseite), in der 1:n–Beziehungen stattfanden. Broadcast deshalb, weil ein Inhalt an viele verteilt wurde, was wir vom Radio oder Fernsehen kennen. Social Media basiert aber auf einem n:n-Verhältnis, viele interagieren mit vielen. Es gibt also nicht nur einen Rückkanal (Kommentar und Bewertung) sondern auch andere, die sich zum Thema eigene Meinungen bilden und diese publizieren.
Viele Dienstleister bieten mittlerweile Monitoring an. Da werden dann Blogs und Portale nach Schlüsselbegriffen untersucht, dahinter steckt die alte Idee des Clippings, um alles über die Firma zu archivieren. Das ist nett und kostengünstig selbst umzusetzen mit den Alert-Diensten von Google. Es ist auch gut, um zu erfahren, was andere über Produkte sagen oder kommentieren. Manche Agenturen machen Listen mit echten Menschen, die relevante Quellen wie Blogs oder Communities ständig aktualisieren, um Meinungsführer (Rosen nennt sie Hubs) zu qualifizieren. Am effektivsten ist jedoch immer noch der Kontakt von Mensch zu Mensch. Suchen Sie Fans auf dem Facebook-Profil Ihrer Firma, die über Produkte meckern. Integrieren Sie diese in die Produktverbesserung oder machen Sie einen Wettbewerb daraus und schon haben Sie einen neuen Hub geschaffen. Denn das mögen alle Menschen, wenn sie mit ihren Wünschen und Neigungen ernst genommen werden. Es gibt bereits ein Geschäftsmodell, das auf dieser Basis extrem erfolgreich ist – social commerce. Aber das ist ein anderes Thema.
Es gibt viele Geschmacksrichtungen beim Eis und bei Inhalten. Es hat also wenig Sinn zu glauben, dass ein Verändern des Eis-Cafés den Geschmack des Eises beeinflusst. Genausowenig optimiert eine Presseseite auf Blogbasis die Firmenbotschaften für Leser oder Zuschauer. Es gibt mehr Sitzmöglichkeiten und im besten Fall mehr Eissorten. Das Eis selbst muss schmecken. Das ist im 3. Jahrtausend genauso wie vor 350 Jahren.
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Schlagwörter: Social Media Newsroom
7 comments
Der als Beispiel genannte Volvic Newsroom von der Hamburger Agentur Achtung! Kommunikation verkommt zur Farce. Der letzte Beitrag/Aktualisierung ist über ein Jahr alt. Einfach peinlich. Für Agentur und Kunde.
@Karsten
Es ist offenbar ein großes Problem für Firmen in einem Zeitkontinuum zu denken. Sie sind es gewohnt, ein Budget für eine bestimmte Zeit vorzugeben und dann wird es duster. Ich nenne das immer die „Excel-Jahre“. Ob und wie Firmen dieses saisonale Verhalten, das eher schadet als dient, überwinden können? Nicht wenige GF geben vor, jährlich die Agenturen zu wechseln. Das hat enorme Auswirkungen auf die Marktkommunikation, mir fallen nur leider keine positiven ein.
Wir haben kürzlich für fast alle unserer Kunden bei Zucker Social Media Newsrooms eingeführt, die alle unter einer Domain plus Kundenname gehostet werden. Optisch ändert sich für die klassischen Journalisten nichts. Weiterhin bekommen sie Bild- und Textmaterial in einem speziellen Bereich. Was aber früher nach dem Prinzip „Schicken Sie uns eine Kopie Ihres Presseausweises, dann bekommen Sie ein Passwort für unseren Presseserver“ funktionierte (oder eben nicht funktionierte), kann/soll/muss heutzutage offener, öffentlicher sein. Der Pressebereich 1.0 hat als „walled garden“ hat ausgedient. Denn wie Du ja richtig beschrieben hast: Der User wird zum Maker (wenn auch noch nicht ganz so flächendeckend in Deutschland wie in den USA) und die PR sollte entsprechend dezentral in den Kanälen agieren, die der Maker auch nutzt. Dabei sind Social Media Newsrooms eine 2in1-Lösung. Denn der Maker ist eher im einzelnen Kanal anzutreffen, in dem jeweils das Material für den SMNR gehostet wird (Flickr, Youtube, Issuu etc.). Der komplette Newsroom, der zentrale alle Informationen aggregiert, ist wie beschrieben eher ein Angebot für den klassischen Journalisten (alles was man wissen muss auf einen Blick).
Wir halten die Nutzung von Creative Commons bei möglichst allen Pressebildern für wichtig. Insgesamt bedeutet die Nutzung von Social Media Kanälen aber auch die Bereitschaft des Absenders, mit der dabei entstehenden Transparenz und ggf. auch Interaktivität umzugehen. Bestenfalls verändert sich unsere gesamte Arbeitsweise weg von der Push- hinzu einer Pull- und Dialogkommunikation.
Wer sich unsere Lösungen einmal anschauen mag: http://www.newsroom.eu ist das Gateway zu allen Kunden-SMNRs.
Hallo,
ich bin Desiree von achtung! und möchte ein wenig Licht in die Diskussion bringen. Wir sind ganz Deiner Meinung, Lukas. Der SMNR ist ein „Hub“ und richtet sich neben Journalisten auch direkt an User, die heutzutage eine ganz andere Rolle einnehmen. Wir haben den SMNR seinerzeit als Pilotprojekt umgesetzt, das mittlerweile abgeschlossen ist.