Für Manager hat das Internet durchaus Vorteile, folgt man den Gedanken von Henry Mintzberg: „Manager können mit Mitarbeitern auf der ganzen Welt auf zuvor unvorstellbare Weise in Kontakt bleiben. Sie können große Informationsmengen mühelos vielen Mitarbeitern zugänglich machen. Das Internet ermöglicht es ihnen, ihr Informationsnetz auszubauen und ihre Geschäfte problemlos im globalen Maßstab zu führen“, schreibt der Berater in seinem Opus „Managen“ und schwenkt direkt auf die Schattenseiten der digitalen Transformation ein: Das Internet habe vor allen Dingen zu einer Kommunikationsflut via E-Mails geführt. Wie der konventionelle Brief bleibe die elektronische Post auf die Aussagekraft des geschriebenen Wortes beschränkt: der Empfänger bekomme keine Stimme zu hören, keine Gesten zu sehen und keine Anwesenheit zu spüren.
„Am Telefon kann man den anderen unterbrechen, grummeln oder von einem Punkt zum anderen springen; in Besprechungen kann man zustimmend nicken oder gelangweilt abwinken. Erfolgreiche Manager nehmen solche Signale wahr. Bei einer E-Mail weiß ich nicht, wie der andere reagiert“, so die tiefschürfende Erkenntnis von Mintzberg. Ob das Internet daher bessere Kontakte zur Außenwelt bringen würde, sei fraglich. Möglicherweise fördere das Internet die Netzwerke, während es die Gemeinschaften schwächt – innerhalb der Unternehmen ebenso wie zwischen ihnen. Es könnte auch zu einer Zunahme egozentrischer und heroischer Führungsstile kommen, die in der Wirtschaft so viel Unheil anrichten. Am Schluss des Kapitels sorgt sich Mintzberg dann noch über die Frage der Lenkungs- und Kontrollmöglichkeiten. Die Kontrolle könnte den Managern entrissen werden. Was für eine Katastrophe.
E-Mail-Weisheiten
Mit den neuen Realitäten des Netzes beschäftigt sich der Autor wenig bis gar nicht: Stichworte wie Enterprise 2.0, Crowdsourcing, Selbstorganisation, Kunden helfen Kunden, Netzwerk-Ökonomie, starke und schwache Beziehungen im Internet, Zugang zu nichtredundanten Informationen, Wissensmanagement über kollektive Intelligenz oder Management in Zeiten des Kontrollverlustes sind das, womit sich Führungskräfte heute beschäftigen sollten. Es ist erschreckend, wenn ein Managementexperte das Internet auf die unpersönliche Kommunikation via E-Mail reduziert. Manager müssten die Herausforderung meistern, Informationen aus vielen Quellen zu sammeln, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen zu errechnen und Entscheidungen zu treffen in Phasen der Ungewissheit.
Wie sich neue Technologien und das Internet auf Unternehmen auswirken werden, ist nach Ansicht von Aastra-Chef Jürgen Signer noch schwer zu beantworten: „Die Erwartungshaltung von jungen Leuten, die ins Berufsleben starten, ist riesengroß. Was sie im privaten Umfeld an Kommunikationstechnologien nutzen, erwarten sie auch am Arbeitsplatz. Hier müssen sich die Firmen erst herantasten.“ Viele Geschäftskunden seien bei diesem Thema noch sehr zögerlich. Man müsse alle Mitarbeiter mitnehmen, nicht nur die Nachwuchskräfte. Eine deutlich gestiegene Nachfrage sieht Signer bei Systemen für Videokonferenzen. Dazu haben sicherlich die Erfolge von Diensten wie Skype oder Hangout beigetragen. Vor zehn Jahren musste man noch einen gewaltigen Aufwand mit proprietären Systemen an den Tag legen, um Videokommunikation zu ermöglichen.
Notwendigkeit von Social-Web-Exerzitien
Um die Social-Web-Philosophie in einem Unternehmen zu verankern, sollte man das machen, was die Jesuiten „Exerzitien“ nennen, so der Ratschlag des Netzwerkexperten Professor Peter Kruse. „Sie machen Übungen, die dazu geeignet sind, Wertemuster in Bewegung zu versetzen. Und ich glaube, das empfindet jeder, der mit diesen Technologien arbeitet. Wenn man sich wirklich in seinem Alltag auf die neuen Möglichkeiten einlässt, ändert sich der Arbeitsstil und nach einiger Zeit ändern sich auch die Einstellungen und Bewertungen.“
Das Einführen der Technologie sei noch der leichteste Teil. Man müsse einen Erlebnisraum für nicht hierarchische Kommunikation schaffen. „Wenn Sie ein Netzwerk haben, dann treten die Top-down-Beeinflussungen in den Hintergrund. Man arbeitet weniger über die Linie. Macht ist nicht mehr gekoppelt an den Besitz der Information. Dann muss man sich einlassen auf unkontrollierte, ja sogar unkontrollierbare Dynamik. Und da sehe ich bei Unternehmen tatsächlich noch ein Problem“, erläutert der Organisationspsychologe.
Okkupation der sozialen Medien
Als Indikator für diese These kann man die Netzaktivitäten der Firmen auf Facebook und Co. heranziehen. „Social Media wird okkupiert von den klassischen Marketingstrategen“, moniert Kruse im Interview mit „The Narrative“. Ein Anstupser hier, ein Gewinnspiel da, ein wenig Storytelling dort oder alter Wein in neuen Schläuchen unter der Überschrift „Content Marketing“. Das Ganze degeneriert zur Fortsetzung der Berieselungswerbung mit anderen Mitteln: „Wenn man ehrlich ist, dann sind die neuen Möglichkeiten auch neue Wege, um Kunden noch mehr und noch nachhaltiger zu nerven. Wenn Retargeting-Experten ins Schwärmen kommen, dann wird den meisten Usern übel. Und wenn E-Mail-Experten empfehlen, die Newsletter am besten täglich zu verschicken, dann finden das 99 Prozent der Adressaten gar nicht lustig“, weiß Jan Steinbach vom Beratungsunternehmen Xengoo in Düsseldorf. Der Kunde wird immer noch nicht als Souverän des Geschehens betrachtet, sondern als manipulierbares Klickvieh.
Unternehmen, die wirklich relevanten Content und Dialog bieten, werden von den Kunden gefunden und bevorzugt. „Also kein Platz für Störwerbung! Und schon gar nicht für solche, die einen mittels Cookies oder sonstigem Tracking auf Schritt und Tritt verfolgt“, resümiert Steinbach. Nach Ansicht von Kruse entscheidet nicht die Sendeenergie des Anbieters, sondern die Neugier des Nachfragers. So viel Kontrollverlust wollen die liebwertesten Gichtlinge in den Unternehmen immer noch nicht zulassen. Sie sollten das neue Buch von Michael Seemann lesen.
Image (adapted) “Kommunikation 2.0“ by Karin Janner (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: Internet, Kunden, Unternehmenskommunikation
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