Ein niedersächsisches Wochenblatt zeigt ein seltsames Verständnis für Journalismus. Wer keine Werbung schaltet wird schlecht geschrieben, doch kann das die Zukunft des Journalismus sein? Jede größere Stadt hat sie, darin findet sich mit Ausnahme der Werbung recht wenig Inhalt. Jetzt hat der Chefredakteur eines niedersächsischen Wochenblättchens bekannt gegeben, über die internationale Gartenschau (igs) habe man absichtlich nicht berichtet. Warum? Weil sie sich weigerten, beim Verlag Werbung zu schalten. Die igs hatte sich im Vorfeld für andere „Kompetenzpartner“ entschieden, der Veranstaltung hätte die Aufmerksamkeit der 400.000 Leser aber sehr gut getan. Statt der erhofften 2.5 Millionen Besucher fanden weit weniger Menschen ihren Weg zur Hamburger Gartenschau.
Die kostenlosen Wochenblätter werden überall in ganz Deutschland vertrieben. Zwischen den vielen Anzeigen und Werbebeilagen finden sich dort ausschließlich lokale Nachrichten, die aber durchaus ihre Berechtigung haben. So ist es nicht uninteressant zu wissen, warum das ansässige Schwimmbad schließt, wie viele Hunde im Tierheim auf einen neuen Besitzer warten, oder in welchen Skandal sich der Bürgermeister und sein Kämmerer derzeit verstricken. In vielen Städten gibt es neben den kostenlosen Stadtteilblättern, die flächendeckend an alle Haushalte verteilt werden, auch lokale Tageszeitungen. Prekär wird es für die Leser aber, sobald es neben den kostenlosen Anbietern keine Verlage gibt, die die Gemeindemitglieder mit Informationen versorgen. Wer von den lokalen Werbeblättchen nicht erwähnt wird, findet bei einer Monopolstellung kaum bis keine Beachtung.
„Wer bei uns nicht wirbt, der stirbt!“
Dieses Alleinstellungsmerkmal scheint man im Umland von Hamburg kräftig auszunutzen. So wird in der aktuellen Ausgabe der Kreiszeitung Wochenblatt ausführlich beschrieben, wie man seinen Garten in ein „Paradies mit hellen Farben“ verwandeln kann. Über die ortsansässige Gartenschau schweigt man sich hingegen aus. Bis zum Ende der Ausstellung verbleiben nur noch wenige Tage. Chefredakteur Reinhard Schrader bezeichnet die Veranstaltung als „Mega-Flop“. Den Organisatoren wird vorgeworfen, man habe zu wenig Werbung geschaltet. Die Verantwortlichen seien nach dem Fehlstart aufgrund des schlechten Wetters „tatenlos“ geblieben.
Um die Besucherströme anzulocken und das eigene Budget aufzubessern, bot die Wochenblatt-Gruppe der igs Hamburg 2013 GmbH ihre Dienste an. Schrader beschwert sich, man sei „überheblich abgebügelt“ worden. Und weil die Macher für die Aufmerksamkeit nicht zahlen wollen, hat man ihnen jegliche Berichterstattung verweigert. Reinhard Schrader kommentiert: „Die WOCHENBLATT-Gruppe, die mit ihren Zeitungen 400.000 Haushalte pro Woche zwischen Winsen und Stade erreicht und inzwischen über ein stark frequentiertes Online-Portal verfügt, verzichtete daraufhin auf jede Berichterstattung über die Gartenschau. Wie sagte es Henry Ford: ‚Wer nicht wirbt, stirbt‘.“
Schrader verwechselt Öffentlichkeit mit gekaufter Aufmerksamkeit
Ist es aber die Aufgabe von Journalisten lediglich von Vereinen, Veranstaltungen, Parteien oder Personen zu berichten, die dafür im Vorfeld Geld überwiesen haben? Müssen bei diesem Monopol künftig auch die lokalen Sportvereine, Tierschützer, Altenheime, Feuerwehrleute, Kirchengemeinden oder Abgeordneten des Kreistages Geld lockermachen, damit sie im Wochenblatt erwähnt werden? Wer die Aufmerksamkeit nicht in Euro und Cent begleicht, wird im Umkehrschluss totgeschwiegen? Reichen dem Verlag die Umsätze aus Beilagen und Anzeigen nicht mehr aus, weswegen jetzt auch redaktionelle Inhalte verkauft werden sollen?
Dass der Chefredakteur die Weigerung seines Blattes zu berichten offen im Internet zugibt, spricht Bände. Es zeigt ganz eindeutig, dass der Verlag im Hamburger Umland nichts zu verlieren hat. Man könnte den Slogan des Ford-Gründers dementsprechend ummünzen: „Wer bei uns nicht wirbt, der stirbt!„
Doch per Definition soll Journalismus Öffentlichkeit herstellen und seine Leser möglichst ausgewogen informieren. Wie aber kann jegliche Distanz gewahrt werden, wenn man sich für Berichte bezahlen lässt? Ein Geschäftsmodell, bei dem jede Aufmerksamkeit einzeln erkauft werden muss, hatten die ersten Journalisten sicher nicht im Sinn, als sie ihren Berufsstand ins Leben riefen. In jedem Fall wäre es spannend zu erfahren, in wie vielen Gemeinden dieses Vorgehen schon Schule macht. Wilhelmsburg, Staade, Buxtehude & Co. werden bei Weitem nicht die einzigen Ortschaften sein, deren Anwohner für lokale Nachrichten auf einen kostenlosen Stadtanzeiger oder ein anderes Wochenblatt angewiesen sind.
Image (adapted) „Objectivity in Journalism Wordle“ by Spot Us (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: finanzierung, Hyperlokaljournalismus, journalismus, Wochenblatt
1 comment
Der Grundgedanke des Artikels ist sehr nachdenkenswert – allerdings festgemacht am denkbar falschen Objekt. Die igs ist nämlich eine grottenschlechte, für eine Stadt wie Hamburg äußerst peinliche, im schlechtetsten Sinne provinzielle Veranstaltung, allerdings von einer völlig unkritischen Lokalpresse immer wieder hochgejubelt. Kritische Meinungen kamen in der regionalen Berichterstattung nicht vor. Die Abstimmung mit den Füßen sagt alles. Vielleicht ein Beispiel für gekauften Jubel ?!