Beim Berliner Webmontag redeten drei Journalisten der Nachrichtenwebsite Sueddeutsche.de über Politik für das Netz, im Netz und außerhalb des Netzes. // von Tobias Schwarz
Netzpolitik ist längst mehr als ein Nischenthema. Doch in der Bundestagswahl spielte das Thema keine große Rolle, trotz Überwachungsskandal, Datenschutzreform und Social Media-Wahlkampf. Doch wie kommt das? Die meisten Wähler interessierten sich nicht für das Thema und die meisten Politiker scheinen das Internet als etwas Fremdes zu betrachten, mit dem sie nicht viel anfangen können. Drei Journalisten der Sueddeutsche.de versuchten die Situation zu entschlüsseln.
Journalisten beschäftigen sich mit Problemen und Lösungen und versuchen diese zu erklären. Das Team der Sueddeutsche.de versucht sich dieser Erklärfunktion mit einer Deutschlandreise zu nähern. Fachjournalisten von Sueddeutsche.de werden zu insgesamt acht verschiedenen Themen in acht verschiedenen Städte sprechen, wie die stellvertretende Chefredakteurin Julia Bönisch erklärte. Am Montag Abend waren Thorsten Denkler, dienstältester Online-Korrespondent in Berlin, und die beiden Redakteure des Politikressorts, Michael König und Johannes Kuhn, zu Besuch auf dem Berliner Webmontag, um über die Netzpolitik in der neuen Legislaturperiode, den NSA-Überwachungsskandal und Politiker in der digitalen Welt zu reden.
“Neulandtzpolitik” nannte Michael König seinen Vortrag über die netzpolitischen Herausforderungen an die neue Bundesregierung. Eine Definition, was denn Netzpolitik sei, blieb auch der Politikjournalist schuldig, doch zeigte er anhand der netzpolitischen Programme der Parteien einen lagerübergreifenden Konsens auf: allen Parteien geht es um einen besseren Netzzugang, die Netzneutralität und, so Königs eigene These, die Medienkompetenz der Bürger. Und er zeigte, dass gerade Kanzlerin Merkel bisher diese Positionen ignorierte, selbst die der Unionsparteien. Sein Vortrag basierte auf der vergleichenden Auswertung verschiedener Thesenpapiere zur Netzpolitik, den die beiden Wissenschaftler Dominic Völz und Timm Janda vom Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchführten. König kommt zum Schluss, dass nur eine Art Bundesministerium für Internet, Technologie und Medien – also ein Amt mit politischem Gestaltungsraum und Budget – verhindert, dass das Thema nicht zwischen verschiedenen Ressorts “verloren verhandelt” wird.
Thorsten Denkler hatte weniger Forderungen an die Politik als viel mehr Fragen an alle, denn für den seit 2001 das politische Geschehen in Berlin beobachtenden Journalisten klaffte eine große Lücke zwischen den partizipativen Möglichkeiten des Internets und der Realität. Die deutschsprachige Twitteria bewegt sich seiner Meinung nach in einer “netzpolitischen Blase”, in der sie zum einen die Menschen mit ihren Forderungen nicht erreicht, zum anderen ungewollt einen Zweifel am Einfluss und der Reichweite der neuen Medien säht. Das Publikum nahm seine zur Diskussion einladenden Thesen auf und zeigte eine differenziertere Meinung, in der On- und Offline, besonders in der politischen Kommunikation, nicht mehr voneinander zu trennen sind und Twitter mehr als ein Ort für Debatten ist, sondern wie viele andere Dienste auch ein Werkzeug der sozialen Beziehungspflege.
Mit dem Aufzeigen der historischen Parallele zwischen den Snowden-Enthüllungen und des Mazzini-Skandal, der im Frühjahr 1844 London erschütterte und das Konzept der Privatsphäre im anglo-amerikanischen Raum etablierte, zeigte Johannes Kuhn, ähnlich wie Stefana Sabin in ihrem Kommentar “Über das Recht, alleingelassen zu werden” auf, dass der Überwachungsskandal auch deshalb nicht zu verstehen ist, da eine Individualisierung des Problems fehlt – ein Gesicht, dass die Menschen den abstrakten Vorgang verstehen lässt. Die Überwachung ist nämlich schwer zu begreifen, eine Form der Messung und Einordnung nur schwer möglich, woran auch die Politik Schuld hat. Durch rhetorische Unschärfen (“flächendeckende Datenausweitung” vs. “anlasslose Speicherung”) und der Legitimierung als demokratisch gewählte Regierung nicht genauer definierte Verantwortung zu übernehmen, wird die Debatte stückweise abgeschwächt. Aus Sammeln wird Zugriff, es verschieben sich Grenzen der Wahrnehmung, bis aus einem diskutierten Verbot von Geheimdiensten ein Verständnis für die den Rechtsstaat schützenden Arbeit der Dienste wird.
König, Denkler und Kuhn verstanden es, dass komplizierte Thema Politik für das Netz, im Netz und außerhalb des Netzes leicht verständlich darzustellen. Das interessierte und sachlich mit den drei Journalisten debattierende Publikum tat sein übriges, so dass dieser Webmontag eine der besten netzpolitischen Abende in der Hauptstadt wurde. Zum Anfang einer ungewissenen Legislaturperiode vielleicht das positivste Zeichen für die Zukunft der bundesdeutschen Netzpolitik.
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Schlagwörter: journalismus, Netzpolitik, politik, Social Media, Süddeutsche Zeitung, Webmontag