Letzten Dezember startete in Berlin die Messenger-App Wire. Fast ein Jahr später hat sich viel getan, doch die Reise des Startups ist noch lange nicht zu Ende. // von Tobias Schwarz
Wire ist eine Messenger-App, die erst einmal alles kann, was auch andere Messenger ihren Nutzern anbieten: Kurznachrichten sind genauso möglich wie zu Telefonieren oder sich in einer Gruppe untereinander auszutauschen. Und doch ist Wire anders, denn es setzt auch auf Funktionen, die andere nicht anbieten und setzt Maßstäbe im Design und in der Sprachqualität, die man von einem Messenger in der Form nicht erwartet.
Um manche Aussichten kann man die Mitarbeiter von Wire nur beneiden. Von der Dachterrasse schaut man über Berlins Mitte Richtung Wedding, vom Eingangsbereich aus hat man einen phantastischen Blick über den Hackeschen Markt. Die wenigsten Büros von Startups sind derartig beeindruckend, doch wenn man heutzutage die besten Mitarbeiter für sich gewinnen will, muss man mehr als ein gutes Gehalt und ein Büro in Berlin anbieten (können).
“Wenn ich mit Bewerbern spreche, ist denen sehr wichtig, dass wir in Berlin ansässig sind und unser Büro sehr zentral liegt”, erklärt mir Natalia Dorozala, HR Communication Specialist bei Wire bei meinem Besuch des Wire-Büros im Oktober. Es ist ihre Aufgabe, die Chat-App Wire für potentielle Arbeitskräfte interessant zu machen. “Und Berlin ist der zweitgrößte Technologie-Standort in Europa”, ergänzt Wires Marketingexperte Siim Teller.
Sicherheit als Philosophie: Privacy by Design
Doch Wire fühlt sich in Europa, vor allem in Berlin, noch aus einem ganzen anderen Grund wohl. Die Idee hinter dem vom Design her sehr schön gestalteten Messenger ist der Datenschutz seiner Nutzer. Deshalb habe man sich für Europa entschieden, erklärt Teller, denn hier sei den Menschen das Thema Datenschutz genauso wichtig wie Wire selbst. Hierzulande diskutiert man auch über die Vorteile von Verschlüsselung. Es ist ein Thema, über welches die Medien berichten. Und das möchte das Unternehmen nutzen.
Der Datenaustausch ist bei Wire mittels TLS-Protokoll verschlüsselt. Das bedeutet, der Server, über den die Kommunikation läuft, authentisiert sich mit einem Sicherheitszertifikat. Sowohl Server als auch Wire tauschen daraufhin einen kryptografischen Schlüssel aus, so dass mit Wire sowohl Text als auch Audio und Bilder verschlüsselt versendet werden können.
Kritiker bemängeln, dass Wire eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nur für Telefonate anbietet, denn mit TLS kann nur zwischen zwei miteinander kommunizierenden Punkten verschlüsselt werden. Theoretisch ist es also denkbar, dass bei über mehrere Stationen gesendeten Daten, diese unterwegs entschlüsselt werden könnten. Der Vorteil der TLS-Verschlüsselung ist, dass sich Chats auf mehreren Geräten synchronisieren lassen.
Auf der Suche nach einem Geschäftsmodell
Wire ist, durch die Synchronisation über verschiedene Geräte hinweg, vom Nutzungserlebnis oft attraktiver als die Konkurrenz. Und gegenüber den zurzeit am meisten genutzten Messengern kann Wire sich durch die einfache Tatsache abheben, dass bei Wire nicht der Nutzer das Produkt ist, sondern Wire ein Produkt für ihn. Dies ist für Siim Teller, neben dem Thema Sicherheit, der zweite Vorteil von Wire: “Menschen wollen nicht, dass andere wissen, worüber sie sich unterhalten, aber sie wollen auch nicht, dass Firmen über sie Daten sammeln und dann verkaufen.”
Wire hat deshalb keine Werbepartner und hat laut Wire-Mitgründer Jonathan Christensen auch keinen Einblick in die Datenströme seiner Nutzer. “Wenn unsere Nutzer über Wire telefonieren, können wir das nicht abfangen, die Regierung auch nicht, und auch sonst niemand. Das ist die perfekte Basis”, betont Christensen Mitte Juli im Gespräch mit mir auf dem Tech Open Air. Das Unternehmen sammelt keine Daten, die es dann der Werbebranche zugänglich macht und somit Geld verdient.
Noch spricht bei Wire aber niemand darüber, wie das Unternehmen überhaupt Geld verdienen will. Die App ist kostenlos, es gibt keine zu bezahlenden Premium-Funktionen und Werbung wird den Nutzern auch nicht angezeigt. “Wir haben noch kein Geschäftsmodell”, gibt Christensen direkt zu. “Wir sammeln noch Ideen, aber man kann nie wissen, ob etwas funktioniert, bevor man es nicht versucht hat.”
Es steckt sehr viel Skype in Wire
Hinter der an Wire beteiligten Investitionsfirma Iconical steht Skype-Gründer Janus Friis, der das Ziel vorgegegeben hat, “das bestmögliche Kommunikations-Tool zu schaffen, das ebenso nützlich wie schön ist.” Alle paar Monate bietet Wire eine neue Funktion an und hat somit in den vergangenen elf Monaten einen schicken und funktionsreichen Messenger entwickelt, und bisher behielt man alle neuen Funktionen.
Sobeispielsweise die Unterstützung des GIF-Formats. Auf die inzwischen mit Wire verbundene GIF-Plattform Giphy ist Christensen nur durch Zufall gestoßen, als sein Sohn dort ein Praktikum machte. Jetzt können Nutzer, wenn sie einen Begriff in Wire tippen, ein passendes GIF dazu bei Giphy suchen und dieses dann im Chat versenden. Seitdem hat sich die die Anzahl der versendeten Bilder verdreifacht.
Doch Wire fokussiert sich in erster Linie auf eine andere Funktion: “Ich glaube, wir haben bereits weltweit die beste Sprachqualität”, sagt Teller selbstbewusst. Das überrascht nicht, kommt Teller doch von Skype, genauso wie Christensen, der über Microsoft zu Skype kam. Auch die anderen Wire-Mitgründer haben eine Skype-Vergangenheit: Alan Duric war Gründer eines von Skype aufgekauften Startups, Priidu Zilmer leitete zuvor das Design-Team von Skype. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Wire auch Video-Streaming anbietet.
Nützlich kommt von Nutzen
“Nützlich kommt von Nutzen”, erklärte mir eine erfahrene Kollegin, als ich als studentischer Redakteur bei Chip Online tätig war und mit einigen Apps, die ich testen und bewerten sollte, nichts anfangen konnte. Wie toll Wire sein kann, habe ich deshalb auch erst richtig verstanden, als ich nach dem dritten Anlauf mit drei Kontakten regelmäßig über den Messenger kommuniziert habe. Es braucht nicht viele Kontakte, um die App sinnvoll zu nutzen, nur einen sinnvollen Grund zur Nutzung. Für mich ist es diese kleine, aber aktive Gruppe.
Mit zwei Freunden schicke ich mir vor allem GIFs oder wir schreiben uns einfach, meine Freundin und ich nutzen eher die Sketch-Funktion. Genauso wie Christensen und seine Frau; die beiden schicken sich vor allem Zeichnungen und Fotos. Sein Sohn wiederum nutzt Wire an der Uni für ortsunabhängige Lerngruppen, denn mehrere Nutzer können in Gruppen miteinander schreiben. Treffen, die physische Anwesenheit erfordern, werden dadurch überflüssig.
Christensen schätzt an Wire, dass es auch als Web-App im Browser funktioniert: “Gerade bei längeren Nachrichten ist es schön, wenn man mit einer Tastatur schreiben kann. Am Computer sind die Sessions viel länger, und es werden viel mehr Nachrichten geschrieben. Auf dem Telefon benutzt man Wire anders, man schickt ein Foto oder schreibt einzeilige Nachrichten. Die App wird hier ein bisschen anders genutzt, die beiden Versionen ergänzen sich aber gut.”
App-Design für plattformübergreifende Nutzung
Damit das klappt, muss die App seinen Nutzern auf allen Betriebsystemen und in allen Browsern ein gleich gutes Nutzunsgerlebnis bieten. Evernote, wie uns deren COO Linda Kozlowski Anfang Mai im Interview erklärte, baut dafür viele verschiedene Apps, die jeweils an ihre Umgebung angepasst sind. Wire hat einen anderen Weg gewählt, erklärt Christensen: “Man kann den Konventionen der Plattformen folgen, oder denen der Marke. Wir haben uns offensichtlich für die Marke entschieden, also sieht unser Interface auf allen Geräten gleich aus.”
Durch das stets gleiche Nutzungsgerlebnis wird Wire als plattformübergreifende Marke stärker wahrgenommen. “Aus einer technischen, kulturellen und strukturellen Entwicklung heraus ist es uns sehr wichtig, wie wir auftreten. Wir sind eine Marke, der die Leute vertrauen können”, sagt Christensen. Natürlich gibt es kleine Unterschiede, wie Teller einräumt: “Zeichnen funktioniert natürlich nicht an einem Monitor, der kein Touchscreen ist.” Meistens unterscheidet sich aber die Nutzung von Wire mit verschiedenen Geräten nicht.
Zurzeit gibt es vier verschiedene Apps von Wire. Apple-Nutzer können sich den Messenger sowohl für iOS im App-Store herunterladen, als auch für OS X. Ab Android Jelly Bean 4.2 gibt es auch eine App für Smartphones und Tablets. Seit letztem Monat können auch Windows-Nutzer sich eine App für den Computer installieren. Und die Web-App funktioniert mit allen modernen Browsern. Wire nennt auf seiner Webseite Chrome, Firefox, Internet Explorer, Opera und Safari. Einzig und allein Nutzer von Windows Phone haben keine native App zum herunterladen.
What’s next?
Wie es um Wire wirklich steht, kann aber niemand genau wissen. Das Unternehmen ist mit der Entwicklung seiner Nutzerzahlen zufrieden. Genaue Zahlen benennt es aber nicht. Deutschland, und hierzulande vor allem Berlin, ist der am stärksten wachsende Markt des Unternehmens. Mehr wird dazu nicht gesagt. Teller berichtete von spontanen Schüben beim Nutzerwachstum in Staaten mit regressiven Regierungen, die die Kommunikation ihrer Bürger einschränken, zensieren oder gar ganz unterbinden. Viele der Betroffenen würdendann auf Wire ausweichen.
Wohin die Reise von Wire geht, ist noch nicht abzusehen. Einerseits ist es ein Startup, dass noch kein Geld verdient und auch nach einem Jahr noch auf der Suche nach einem Geschäftsmodell ist. Andererseits muss sich das Unternehmen bei seinen Investoren keine Sorgen machen, kurzfristig in Not zu geraten. Das Unternehmen möchte die Art wie kommuniziert wird grundlegend verändern. Das braucht Zeit und ist den Verantwortlichen auch bewusst. Die Entwicklung des letzten Jahres lässt vermuten, dass dieses Vorhaben gut durchdacht angegangen wird.
Teaser & Images by Wire
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Schlagwörter: APP NEWS, berlin, Datenschutz, Design, GIF, Jonathan Christensen, messenger, Siim Teller, skype, startup, Wire