Wortwalz: Über das Handwerk des Journalismus

Die freie Journalistin Jessica Schober will mit dem Projekt „Wortwalz“ und der Handwerkertradition der Walz den Journalismus im Lokalen entdecken. // von Tobias Schwarz

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Einen Sommer lang möchte die freie Journalistin Jessica Schober durch Deutschland reisen und wie ein Handwerker auf der Walz den Journalismus im Lokalen entdecken. So wie es sonst Dachdecker, Zimmerleute oder Bäckerinnen nach der Ausbildungszeit tun, zieht sie nach festen Regeln von Lokalredaktion zu Lokalredaktion und bietet ihre Arbeit als Reporterin gegen Kost und Logis an. Wir haben uns mit ihr über ihre Wortwalz unterhalten.

Tobias Schwarz: Dein Projekt Wortwalz soll eine „Gesellenwanderung durch den deutschen Lokaljournalismus“ sein. Wie soll das aussehen?

Jessica Schober: Genauso wie bei den Handwerksgesellen, die seit dem Mittelalter von Betrieb zu Betrieb ziehen. Das machen ja sonst Steinmetze, Bäckerinnen, Tischler und Zimmerleute, auf einer wunderbaren alten Tradition beruhend. Ich habe mir gedacht: Journalismus ist auch ein Handwerk. Also ziehe von einer Lokalredaktion zur nächsten und fragen, ob sie dort eine Journalistin gebrauchen können. Ich berichte dann aus den Redaktionen über das, was gerade vor Ort ansteht. Auf all die tollen Lokalthemen werfe ich einen Blick von außen und will dabei auch neue Handwerkstechniken kennenlernen.

TS: Wenn Journalismus ein Handwerk ist, wie sehen deiner Meinung nach heutzutage die Werkzeuge aus?

JS: Ganz Praktisch: Mein Werkzeug ist das Fragestellen. Mein Material sind die Buchstaben. Noch lange bevor ich mir überlege, welches technische Equipment ich als Journalistin brauche, muss ich eines können: mich wundern. Warum wird die Baustelle an der Hauptstraße nicht fertig? Wer kümmert sich um die leerstehenden Kinos in der Innenstadt? Warum haben wir vor Ort keine Beratungsstelle für Opfer von Rechtsextremismus? Es gibt viele Fragen, die man sich direkt vor seiner Haustür stellen kann.

Heutzutage ist es natürlich auch spannend zu fragen: Welche Werkzeuge, also welche Tools, können Journalisten noch nutzen? Ich will auf der Wortwalz herausfinden, ob es Lokalredaktionen gibt, die zum Beispiel Storify zum Geschichtenerzählen verwenden. Ob sie Ideen haben, wie man die Leser mehr in die Berichterstattung einbeziehen kann. Da gibt es sicher viele neue Rezepte, die man ausprobieren kann.

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TS: Was interessiert dich an dem Thema Lokaljournalismus, das im Fokus deines Projekts steht?

JS: Das ist doch irre spannend! Vor Ort passiert das, was die Leute interessiert und beschäftigt. Lokalberichterstattung wird gelesen und kann tatsächlich etwas verändern. Im Lokalen sind die Leser auch sehr wachsam. Ein Beispiel: In meiner ersten Lokalzeitung, dem Burgdorfer Anzeiger, habe ich mal über die schlechten Zustände der Straßen in einem Dorf berichtet. Dazu hatte ich leider die falsche Straße fotografiert. Die hatte zwar auch ein Schlagloch, aber das war den Lesern egal: Ich habe richtige Beschwerdebriefe bekommen! Und das war toll, denn man merkt: Es beschäftigt die Leute wirklich. Man muss sich Mühe geben.

TS: Zur Zeit reisen auch die Journalistinnen des Projekts Crowdspondent durch Deutschland. Bei ihnen steht das Format Reportage im Vordergrund. Was macht dein Projekt aus?

JS: Crowdspondent ist eine großartige Idee, Lisa Altmeier und Steffi Fetz – die ja auch DJS-Kolleginnen von mir sind – haben mich sehr inspiriert und motiviert, überhaupt auf die Wortwalz zu gehen. Ich finde es toll neue Formen der Berichterstattung auszuprobieren und wenn es dann noch eine Crowd gibt, die das unterstützt, ist das wie Rückenwind. Anders als die beiden werde ich bei der Themenwahl nicht meine Leser fragen, sondern mich ganz auf die Situation einlassen, die ich vor Ort in den Lokalredaktionen erlebe. Wenn in Buxtehude gerade ein Schützenfest ansteht, gehe ich gerne da hin. Wenn im Bayerischen Wald der Bezirksausschuss tagt, bin ich dort. Ich will mich auf den Lokaljournalismus einlassen.

TS: Wie stellst du die Arbeit als Gesellin in einer Lokalredaktion vor?

JS: Wenn Wandergesellen in eine neue Stadt kommen, suchen sie manchmal noch den Bürgermeister auf und stellen sich in den Betrieben mit einem eigenen Sprüchlein vor. Ich will da gar nicht so ein Aufhebens machen, ich sage: Hallo, ich bin auf der Wortwalz, haben Sie hier was zu Schreiben, Schlafen und Essen?

TS: Deine Regel ‚Kein eigenes Handy, keinen Laptop‘ bedeutet aber nicht, dass du diese Werkzeuge nicht in den Redaktionen nutzen darfst, oder?

JS: Auf der Wortwalz will ich mich so genau wie möglich an die traditionellen Regeln der Walz halten. Dazu gehört, auf einigen Komfort zu verzichten, zum Beispiel kein eigenes Handy, keinen Laptop und kein Auto zu haben. Daran halte ich mich, auch wenn es schwer wird im Lokaljournalismus. Als ich vor einiger Zeit mal einen Text über eine Wandergesellin auf der Bäckerwalz geschrieben habe, da war es echt kniffelig sie zu erreichen. Sie hat ständig von anderen Handynummern angerufen und war nie erreichbar, ein Albtraum für eine Journalistin. Und diese Gesellin wusste morgens wirklich nicht, wo sie abends schläft. Das hat mich wahnsinnig fasziniert.

Aber es stimmt schon: Die Wortwalz ist anachronistisch. Ich berichte nicht in Echtzeit, das können andere besser. Wenn ich in einer Redaktion Arbeit gefunden habe, dann benutze ich dort natürlich auch die Computer, nicht zuletzt um meine Seite Wortwalz.de zu aktualisieren.

TS: In manchen Regionen übernehmen Lokalblogs die Aufgabe von wegreduzierten Redaktionen. Würdest du auch dort arbeiten?

JS: Unbedingt! Als eine der erste Reaktionen haben sich die Leute aus dem Bayerischen Wald gemeldet, die Da Hogn machen. Ich finde das super und will gerne herausfinden, wie die arbeiten. Ob nun Heddesheim Blog oder Prenzlauer Berg Nachrichten, ich finde diese mutigen Lokalblogs übernehmen eine ganz wichtige Rolle in der Lokalberichterstattung. Sie schließen eine Lücke, wenn in Einzeitungskreisen sich keiner mehr traut gegen den Strom zu schreiben. Aber sie können den bestehenden Lokaljournalismus auch wunderbar ergänzen.

TS: Das heutige Bild über die Gesellenwanderung ist teilweise verklärt – ähnlich dem des Journalismus. Was sind für dich die harten Wahrheiten des Journalismus?

JS: Ich hab keine Wahrheiten parat, ich suche immer noch. Aber ich glaube, ich habe einen Vorteil: Ich kenne die ‚guten alten Zeiten‘ nicht. Seit ich Journalismus mache, ist der schon in der Krise. Eine ziemlich flatterhafte Diva. Also stelle ich mich darauf ein, dass sich die Bedingungen für guten Journalismus weiter verändern werden. Dass es eben keine Gewissheiten gibt. Ich setzte nicht darauf, dass ein großer netter Verlag kommt und mir Geld für meine Ideen gibt. Für meine ersten Texte im Lokalen habe ich damals 20 Cent pro Zeile verdient. Das war meist weniger als es beim Zeitungaustragen zu holen gab. Aber okay, ich hab’s probiert. Es gibt im Journalismus echt viel Mist. Aber er macht hat einfach irre Spaß. Und weil ich mehr Lust habe, an der Veränderungen mitzuarbeiten, als flennend vor der Tür zu sitzen, probiere ich jetzt mal die Wortwalz aus.

TS: Wirst du deine Erfahrungen im Nachgang irgendwie aufarbeiten?

JS: Die Form der Aufarbeitung bespreche ich dann mit meiner Therapeutin. Nein, im Ernst: Bisher ist alles offen.

TS: Vielen Dank für das Interview.

Bis zum 20.07. kann das Crowdfunding-Projekt „Wortwalz“ von Jessica Schober unterstützt werden. Ziel waren 142 Euro für eine Zugfahrt zur Sommerbaustelle der deutschen Handwerksgesellen, die sie bereits erreicht hat. Alles was jetzt noch auf Startnext eingesammelt wird, füllt die Reisekasse und wird sicher auch helfen.


Teaser & Image by Jessica Schober


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ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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