„Leaky World“: Diskursives Videospiel

Vor ein paar Tagen stieß ich bei rebelart auf einen kurzen Beitrag über das neue Onlinegame von Molleindustria: „Leaky World“, eine spielbare Version von Julian Assanges 2006er Essay „Conspiracy as Governance“, der seine Theorie der Verschwörung ausformulierte.


Hintergrund: Von Culture Jamming und Molleindustria

Molleindustria ist der Name eines italienischen Künstlerkollektivs, das das Videospiel als Medium subversiver Kunst etablieren möchte – „radikale Spiele für unterhaltsame Menschen“, wie Gründer Paolo Pedercini im Interview einmal mitteilte. Anders als die spaßlastigen Spiele des Mainstream-Entertainments versuchen die Macher, mit ihren kleinen Flash-Spielen zu kritischem Hinterfragen von Zuständen und Glaubenssätzen anzuregen – na gut, Spaß machen sollen die Games natürlich trotzdem. Da werden mit einem Copyleft-Cursor Ideen in die Köpfe von Menschen geschubst, bevor sie von der Copyright-Maschine aufgefressen werden. In einem anderen Spiel muss ein Fabrikarbeiter in bester Tamagochi-Manier durch seinen Tag aus Arbeiten, Fernsehen und Schlafen bugsiert werden. Oder ein möglichst echt wirkender Orgasmus vorgespielt werden. Stilistisch einordnen lässt sich das Vorgehen in der Tradition des Culture Jamming, die versucht, durch Rekombination von Symbolen und Medien neue Bedeutungen zu schaffen.

Leaky World: Spielprinzip und theoretischer Unterbau

Das neue Werk „Leaky World“, realisiert innerhalb von zehn Tagen, ist Molleindustrias Beitrag zum Projekt „WikiLeaks Stories“, ins Leben gerufen von den Machern des Gaming-Blogs Gnome’s Lair. Es basiert auf dem Essay „Conspiracy as Governance“, 2006 von Julian Assange verfasst – seine Theorie der Verschwörung (nicht Verschwörungstheorie). Darin geht Assange davon aus, dass es zwischen Gruppierungen unterschiedlich starke Verbindungen gibt, die sich auf einer Karte einzeichnen lassen. Es gehe demnach nicht nur um die reine Anzahl von Verschwörern, sondern um deren Verbindungen – die Summe der gewichteten Verbindungen bezeichnet er als „total conspirational power“. Und so besteht das Spielprinzip vor allen Dingen daraus, zwischen den einzelnen Punkten auf der Karte möglichst vielfältige Verkettungen herzustellen, bis die „total conspirational power“ das Maximum erreicht hat.

Bild: Screenshot aus „Leaky World“: Während aus dem Iran Informationen leaken, steigt der Wasserspiegel bedrohlich an – eine Gefahr für das eigene Verschwörungslevel (oben rechts).

Doch hier kommt WikiLeaks ins Spiel: Je mehr Verkettungen zu einem Punkt auf der Karte bestehen – je mehr Leute also von einer Verschwörung wissen, umso größer ist die Gefahr, dass Informationen nach draußen leaken. Das Spiel zeigt das mittels weißer Punkte, aus denen nach und nach Informationen nach unten tropfen – schön visualisiert übrigens mit Leaks des entsprechenden Ortes, die man per Klick erreichen kann. Und so nähert sich von unten stetig der Wissenswasserspiegel – erreicht er eine kritische Masse, hat man verloren. Einziger Ausweg: Verbindungen wieder kappen, die leakenden Stellen isolieren (spieltechnisch realisiert mit der Leertaste). Was natürlich auch bedeutet, dass die „total conspirational power“ wieder sinkt und man sich von seinem Ziel entfernt. Und so sitzt man ein paar Minuten vor der Kiste und tüftelt daran, wie man einerseits genügend Verbindungen schaffen kann, um die „total conspirational power“ hoch genug zu halten, andererseits aber nicht zu viele Leaks zu riskieren.

Diskurs im Videospiel?

Interessant an der Geschichte außerdem: Die Molleindustria-Macher setzen Assanges Theorie einige kritische Anmerkungen entgegen:

  1. Er gehe davon aus, dass sich Widerstand gegen ungerechte Strukturen formiere, sobald diese Strukturen offengelegt seien. Dabei ignoriere er jedoch die Tatsache, dass Menschen in repressiven Gesellschaften sich Ausreden einreden können, um mit ihnen umzugehen. Zudem stelle sich die Frage nach alternativen Strukturen.
  2. Assanges Ansatz sei zu technologiezentristisch: Obwohl Informationen eine wichtige Rolle spielen, sind sie nicht die einzigen Faktoren, die Macht zusammenhalten.
  3. Seine Vorstellung von autoritärer Macht sei zu abstrakt – er würde zu wenig bedenken, dass es sowohl intern als auch zwischen Staaten Spannungen und Interessenkonflikte gebe.

Diese Ansätze haben nun nicht Einzug ins Spiel gefunden – schließlich geht es um eine spielerische Umsetzung von Assanges Ansatz. Dabei wäre eine Umsetzung der Kritikpunkte in Variationen es Spielprinzips ein spannender Weg hin zu einem diskursiven Videospiel.

ist Medienwissenschaftler und beobachtet als Autor („Grundkurs Gutes Webdesign“) und Berater den digitalen Wandel. Seine Themenschwerpunkte sind User Experience, anwenderfreundliches Design und digitale Strategien. Er schreibt regelmäßig für Fachmedien wie das t3n Magazin, die Netzpiloten oder Screenguide. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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