30 Jahre Email in Deutschland – und immer noch nichts gelernt

In seiner Kolumne beschäftigt sich Nico Lumma mit dem Medienwandel und Kompetenzen die damit einhergehen. Nicht nur im Beruf, sondern auch in der Schule und Familie. Diesmal geht es um den 30. Geburtstag der Email.

Michael Rotert, der Vorstandsvorsitzende des Branchenverbandes eco, ist derzeit ein gefragter Mann. War er es doch, der vor 30 Jahren die erste Email aus den USA empfing. Seitdem ist in Sachen Email eigentlich nicht viel passiert. Der grundsätzliche Aufbau der Emails ist gleich geblieben, ebenso wie die Grundannahme, dass der Empfänger am Empfang einer Email grundsätzliches Interesse hat, egal wer der Absender ist.

Das tägliche Mail-Aufkommen ist in den 30 Jahren stetig gestiegen, mittlerweile werden weltweit pro Tag 182 Milliarden Emails versendet und natürlich muss man unweigerlich daran denken, dass davon wahrscheinlich die meisten Emails im Spam-Filter landen oder sinnlose Emails sind, die man von Kollegen im cc: bekommt. Spam ist ein Grundproblem der Emails, ebenso wie die umständliche Verschlüsselung, aber obwohl Emails so sicher sind wie ein Gespräch im Bus, werden sie tagtäglich genutzt, auch für sensible Inhalte.

Jahr für Jahr wird die Email auch wieder für tot erklärt, weil eine neue Messaging Plattform frenetisch genutzt wird oder Unternehmen mehr und mehr auf Collaboration Tools umsteigen. Aber dennoch ist die Email weiterhin das Rückgrat der Kommunikation im Internet. Es ist quasi der kleinste gemeinsame Nenner, der nahezu überall nutzbar ist.

Auch 30 Jahre nach dem Empfang der ersten Email auf deutschem Boden ist es für mich immer noch erstaunlich, dass sich viele Menschen mit der Nutzung immer noch schwer tun, ohne dass sie es jemals zugeben würden. Das zeigt sich an vielen Beispielen, die ich hier einmal ohne Rangfolge oder Versuch der Vollständigkeit aufführen möchte:

  • Ein Briefkopf mit Postanschrift, Ort und Datum am Beginn der Email.

  • Emails an alle, die man im Unternehmen kennt, damit man auch ja dokumentiert, dass man gerade mal arbeitet.

  • Die Verwendung von Zeichensätzen wie Comic Sans, gerne auch in Kombination mit Hintergrundmustern.

  • 30 Adressaten im cc:, anstatt eine Mailingliste anzulegen, der Klassiker eines jeden Schulverteilers.

  • Disclaimer in der Signatur, die eigentlich Disclosure heissen sollten, aber 50 Zeilen lang sind und bei jedem Reply wieder mitgeschickt werden.

  • Ellenlange Newsletter ohne klares Signal, ob eine, und wenn ja welche, Erwartungshaltung gegenüber dem Leser besteht. Man weiss als Leser nicht, wo man clicken sollte und warum.

  • Attachments in grüner Schrift, die darauf hinweisen, dass man diese Mail lieber nicht ausdrucken sollte, um die Umwelt zu schonen, die aber für zusätzlichen Datenverbrauch sorgen.

  • AW: im Betreffzeile einer Email-Antwort, was grundsätzlich die Zuordnung des Mailverkehrs durcheinander bringt, danke Outlook!

  • Mehrfarbige Kenntlichmachungen von Zitaten in Emails, die dann auf einem Smartphone nicht dargestellt werden und den Leser maximal verwirren.

  • Abmelde-Emails, die an große Verteiler gehen und dafür sorgen, dass wiederum Mails rausgeschickt werden, die sich über die Abmelde-Emails beschweren, bzw. über die Beschwerde-Emails zu diesen Abmelde-Emails beschweren.

  • Email mit dem Inhalt „ok“ am Ende einer langen Diskussion mit mehreren Teilnehmern zu mehreren Themen und mehreren diskutierten Optionen.

und natürlich der Klassiker: „Bitte rufen Sie mich an!

Ich freue mich auf die nächsten 30 Jahre Email!


Image (adapted) „Email“ by Bruno Girin (CC BY-SA 2.0)


arbeitet als COO des next media accelerator (http://nma.vc) in Hamburg. Er bloggt auf lumma.de und ist seit 1995 eigentlich nicht mehr offline gewesen. Er ist Mitglied der Medien- und netzpolitischen Kommission des SPD Parteivorstandes und Co-Vorsitzender des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. Unter @Nico findet man ihn auf Twitter. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , ,

4 comments

  1. Kleiner Tipp am Rande: Michael Roter ist nicht nur ein gefragter Mann, er heißt mit vollem Namen Michael Rotert, mit elegantem teh am Ende;-)

    Zum Artikel: Wir, die wir im Kommunikationsgeschäft sind, verstehen oft nicht, das es ganz viele Menschen gibt, die sich in Kommunikation generell schwer tun. Gedankengänge bezüglich eines Kommunikationsprozesses, die uns ganz selbstverständlich erscheinen (weil wir das den ganzen Tag machen), machen sich viele andere Menschen eben nicht. Ich lese in Fach-Foren Texte von Leuten, die dermaßen weit weg von einer ordnungsgemäßen Beherrschung der deutschen Sprache sind, wie ich von Kasachstan. Aber die Leute beschrauben wie die Weltmeister irgendwelche Autos, und können überhaupt nicht begreifen, dass ich meins in die Werkstatt bringe, weil ich zu doof und zu ungeschickt bin, um es selbst zu reparieren.

  2. Der ganze o. g. Drösel nebst Netiquette gehört seit Jahren in den deutschen Bildungskanon, zusammen mit Programmiersprachen lernen und allgemeiner Informatik. Wer kümmert sich darum? Bund, Länder, Kommunen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert