Interview: Thomas Pleil über PR 2.0 und Krisenkommunikation

Dr. Thomas Pleil ist Professor für Public Relations in den Studiengängen Online-Journalismus und Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt. Er betreibt das Blog „Textdepot“ und hat 2007 das Buch „Online-PR im Web 2.0“ veröffentlicht. Im Interview mit den Blogpiloten spricht er über die Herausforderungen für die klassische PR- und Krisenkommunikation in Zeiten von Web 2.0 und gibt seine Einschätzung zum aktuellen Fall der geplanten Nokia-Werksschließung in Bochum.

BP: Spätestens seit dem Cluetrain Manifesto wissen wir (wieder), dass Märkte Konversationen sind. Web 2.0 basiert praktisch komplett auf Konversationen, wenn man sich Blogs, Twitter, Social Networks und user-generated content ansieht. Warum sollte sich die PR-Abteilung eines Unternehemens in diese Kakophonie überhaupt einmischen?

TP: Weil sich in dieser „Kakophonie“ Relevantes für ein Unternehmen abspielen kann. Längst nicht jedes Unternehmen muss da mitmachen. Allerdings dürften Online-Konversationen für immer mehr Unternehmen relevant werden. Zum Beispiel informieren sich immer mehr Kunden im Internet über ein Produkt, bevor sie es kaufen. Andere treten mit konkreten Forderungen an Unternehmen heran – etwa zur Herstellung von Produkten. Doch dies geschieht nicht mehr unsichtbar für andere per Kontaktformular auf der Corporate Website, sondern öffentlich an den unterschiedlichsten Ecken des Netzes. Unternehmen sind also gut beraten, zunächst einmal zu prüfen, ob und was über sie diskutiert wird. Ob sie sich dann aktiv in die Konversation einbringen, ist eine zweite Entscheidung, in der der zu erwartende Nutzen und die Kosten abzuwägen sind.

BP: Viele Unternehmen tun sich immer noch unheimlich schwer, die veränderten Kommunikationsbedingungen in der Netzkultur zu begreifen. Dann wiederum gibt es Corporate Blogs wie das Walther Saftblog, die „einfach“ machen und Erfolg haben. Woran fehlt es den klassisch gelernten PR’ler?

TP: Zunächst: Dass es wenige Vorzeigeprojekte gibt, könnte theoretisch auch bedeuten, dass das Thema von Unternehmen sauber analysiert wurde, und sie zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Aufwand bzw. Risiken und Relevanz für sie in einem nicht sinnvollen Verhältnis stehen. Nach meiner Erfahrung aus Gesprächen mit Unternehmen ist der Anteil der Einsteiger in das Thema jedoch recht hoch – zum Teil ist das also ein Wahrnehmungsproblem und ein Problem fehlender Erfahrung. Ein großes Problem: Im Web 2.0 will kaum jemand den PR-Menschen lesen oder sehen, sondern dieser muss andere für die Kommunikation im Web 2.0 fit
machen. Das bedeutet für PR-Leute genauso wie für ihre Kollegen in den Abteilungen ganz neue Anforderungen.

BP: Wie sehen diese aus?

TP: Vereinfacht gesagt: Die Mitarbeiter werden zu Kommunikatoren, die PR-Leute zu ihren Coaches. In der Nonprofit-PR ist das längst üblich, Unternehmen schrecken davor meist jedoch noch zurück. Schließlich haben sich PR-Abteilungen mühsam die Kommunikationshoheit erarbeitet.

BP: Thema: Kontrolle und Kontrollverlust. Ob es ein Unternehmen nun will oder nicht, es kann potentiell im Web von Usern online-öffentlich Gegenstand von Diskussionen werden. Die Informationshoheit ist also im Web 2.0 faktisch verloren. Was bedeutet das für die Krisenkommunikation eines Unternehmens?

TP: Das bedeutet höchste Transparenz und rasendes Tempo. Ein Unternehmen muss in der Krise absolut offen kommunizieren, um Glaubwürdigkeit zu sichern, und es muss schnellstens erkennen, wenn sich eine Krise abzeichnet. Intern steigt damit die Anforderung an die Prozesse der Krisenkommunikation. Noch wichtiger ist jedoch die Krisenprävention: Wenn beispielsweise ein Unternehmen Entscheidungen verkündet, die öffentlichkeitsrelevant sind, tut die Firma gut daran, vorher schon die PR-Abteilung an den Tisch zu holen und Szenarien möglicher Reaktionen durchzuspielen – und im Zweifel z.B. überlegen, ob das Verlagern von Arbeitsplätzen im Vergleich zum erwartbaren Reputationsverlust wirklich günstiger ist.

BP: Hat hier Nokia also einen Fehler gemacht? Oder können die Demonstrationen der Mitarbeiter einem Global Player wie Nokia sowieso nicht schaden?

TP: Die Demonstrationen der Mitarbeiter allein wahrscheinlich nicht. Aber Nokia hat aus meiner Sicht die Reaktionen von Politik und Medien unterschätzt. Besonders aber die Macht seiner Kunden: Die sind doch nicht darauf angewiesen, ausgerechnet ein Nokia-Handy zu kaufen. Und wenn man sich schon rechtfertigen muss, mit einem Telefon eines bestimmten Herstellers zu telefonieren, dann hat dieser ein langfristiges Reputationsproblem.

BP: Durch das Mitmachweb scheint eine zunehmende Zahl von Mediennutzern die manipulativen Strategien von PR-Abteilungen zu durchschauen. Was kann ein Unternehmen in der Außendarstellung tun, um dennoch glaubwürdig zu sein.

TP: Ganz einfach: Nicht manipulieren! Das klingt jetzt vielleicht ein wenig naiv, aber die beste Versicherung sind da hervorragende Produkte und ein akzeptables Verhalten, z.B. gegenüber Mitarbeitern oder Zulieferern. Manipulativ wird PR doch meist, wenn etwas nicht stimmt. Das gilt übrigens nicht nur für Produkte, sondern z.B. auch für die Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen.

BP: Was meinen Sie damit?

TP: Wenn die Gesellschaft meine Produkte zunehmend ablehnt, kann ich natürlich viel Geld in Lobbying stecken, um z.B. strengere Gesetze zu verhindern. Langfristig dürfte das Besetzen anderer Geschäftsfelder oder die Entwicklung besserer Produkte die erfolgreichere Strategie sein. Dies können wir aktuell auf einige Gebiete beziehen: Von der Energieversorgung über die Autoindustrie bis hin zur Pharma- oder Zigarettenindustrie.

BP. Eines der Themen, die Sie in ihrem Blog „Textdepot“ immer wieder aufgreifen ist das der Medienpartnerschaften. Werben & Verkaufen hat jüngst in der Coverstory gefragt „Wie korrupt ist die Medienbranche?“. Wie lautet Ihre Antwort auf die Frage?

TP: Im Vergleich zu anderen Ländern oder anderen Zeiten vielleicht gar nicht so sehr. Ich bin nicht der Fachmann, um dies genau einzuordnen. Was mir aber wichtig ist, ist die journalistische Qualität, zu der elementar die Unabhängigkeit gehört. Und da sehe ich mit zunehmendem Missmut, dass in den vergangenen Jahren einige Redaktionen manches aufgegeben haben: Personelle Ressourcen oder Reisebudgets wurden oftmals drastisch zusammen gestrichen, und einige Redaktionen begeben sich mit Medienpartnerschaften in eine unnötige Abhängigkeit. Für mich sind Journalismus und PR wichtige Funktionen, aber keine, die Partnerschaften eingehen sollten. Da muss es klare Grenzen geben – zumal, wenn es um Partikularinteressen geht. Wie Medienpartnerschaften anhand von Presse- und PR-Kodizes zu bewerten sind, und was Praktiker dazu sagen, wird gerade in einer Diplomarbeit untersucht, die ich betreue.

BP: Aber als PR-Mann könnten Sie sich doch über die Schwäche des Journalismus freuen?

TP: Kurzfristig ist es für eine PR-Abteilung natürlich ein netter Erfolg, wenn z.B. eine vom Verband finanzierte Studie via Medienpartnerschaft exklusiv auf dem Titel eines wichtigen Blattes steht. Langfristig halte ich dies für kontraproduktiv: Dem Mediensystem wird ein Stück Unabhängigkeit und damit Glaubwürdigkeit genommen – und die PR beteiligt sich daran. Das ist nicht im Interesse der Journalisten, aber auch nicht der PR.

BP: Danke für das Interview

ist freiberuflich als Medien- & Verlagsberater, Trainer und Medienwissenschaftler tätig. Schwerpunkte: Crossmedia, Social Media und E-Learning. Seine Blogheimat ist der media-ocean. Außerdem ist er einer der Gründer der hardbloggingscientists. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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