Bei der Bundestagswahl 2017 spielt YouTube als Plattform für die Kommunikation mit jüngeren Zielgruppen eine besondere Rolle. Auch Kanzlerin Merkel macht mit.
Bereits bei der Wahl von Frank-Walter Steinmeier zum neuen Bundespräsidenten wurde die gestiegene Bedeutung von Youtubern für die Politik sichtbar. In die Bundesversammlung, die das deutsche Staatsoberhaupt wählt, entsenden die Landesparlamente neben Berufspolitikern gerne auch Prominente, die Mitglied einer Partei sind oder ihr nahe stehen. Nach Kulturschaffenden, Stars aus Film und Fernsehen sowie Sportlern hat sich 2017 eine neue Klientel für die Mitarbeit in diesem Verfassungsorgan qualifiziert. Dafür verantwortlich ist nicht nur die Piratenpartei, in deren Fraktion gleich zwei Youtuber mit politischem Profil vertreten waren: Rayk Anders und Tilo Jung. Auch Julien Bam, einer der populärsten deutschen Youtuber, war auf Betreiben der damaligen Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen zum Mitglied der Bundesversammlung gewählt worden. Wobei Hannelore Kraft (SPD) sich selbst schon an einem Video-Blog über ihre Arbeit als Regierungschefin versucht hat. Ihr Oeuvre ist aber nach der Löschung des Profils bei der Video-Plattform nicht mehr verfügbar.
Die neuen Meinungsmacher
Nachdem die Bundeskanzlerin 2015 unter dem Titel “#NetzFragtMerkel” LeFloid im Kanzleramt eine Audienz für ein halbstündiges Interview gewährt hat, wird es im Wahljahr nun eine Nummer größer. Angela Merkel (CDU) trifft am 16. August im YouTube Space Berlin in einem einstündigen Livestream nacheinander auf vier Fragesteller, die unterschiedliche Facetten repräsentieren. Mirko Drotschmann behandelt als MrWissen2go „Allgemeinwissen zu aktuellen und historischen Themen.
Dazu gehört auch die aktuelle Bundestagswahl, zu der er bereits einige Erklär-Clips produziert hat. Lisa Sophie liefert in ihrem Kanal “ItsColeslaw” eher Persönliches aus der Perspektive einer jungen Frau. AlexiBexi präsentiert ein Potpourri vom Technik-Test bis zur Comedy. Und schließlich Ischtar Isik, die laut Pressemitteilung “mit gerade einmal 21 Jahren eine der erfolgreichsten deutschen Social-Media-Expertinnen im Bereich Fashion, Beauty und Lifestyle” ist. Formuliert hat diese Einschätzung das Studio71, das das Event produziert und redaktionell betreut. Das Tochterunternehmen der ProSiebenSat.1 Media SE vermarktet zahlreiche Youtuber international insbesondere im Rahmen kommerzieller Kampagnen des Influencer-Marketings.
Das gesamte Setting der Veranstaltung reflektiert einerseits die Kritik an der eher harmlosen Aufzeichnung von LeFloid und entspricht andererseits in etwa dem, was das Weiße Haus unter Obama etabliert hat. Beim US-Präsident war das Format allerdings klar als Regierungskommunikation im Anschluss an seine jährliche Rede zur Lage der Nation ausgerichtet. Hier wie da fungieren die Youtuber als Katalysatoren und Multiplikatoren, die sich im Vorfeld der Veranstaltung mit der durch die Abonnenten ihrer Kanäle konstituierten Community über relevante Themen austauschen und unter dem Hashtag #DeineWahl auch deren Fragen erheben.
So sollen Zielgruppen erreicht werden, die nicht mehr dort anzutreffen sind, wo sie einst Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) vermutet hat, als er die Parole ausgab: „Zum Regieren brauche ich nur BILD, BamS und Glotze.“
Nun hat allerdings gerade die heiße Phase des Wahlkampfs begonnen, und da würde ein Interview ausschließlich mit der Amtsinhaberin ihr doch Vorteile verschaffen. Sei es durch die exklusive Ansprache des Publikums der Youtuber oder dadurch, dass sie ihr Image damit aufpolieren kann, dass über das Event eben bei “BILD, BamS und Glotze” berichtet wird. Die Verantwortlichen scheinen sich dieser Problematik bewusst zu sein und stellen weitere Events dieser Art mit Politikern anderer Parteien in Aussicht.
TV-Duelle und Wahlabend bei YouTube
Unabhängig davon werden am 17. September rund 15 Youtuber in einem mehrstündigen „Community Live Stream“ mit ihren Fans zum Thema “Wahlen” in Dialog treten. Und auch die TV-Duelle am 4. und 5. September werden bei YouTube im Livestream zu sehen sein. Schließlich produziert Studio71 am Abend der Bundestagswahl für das öffentlich-rechtliche Online-Outlet funk.net unter dem Titel “Wahlgemeinschaft” eine mehrstündige Show: “Mehrere Moderatoren (…) führen durch den Abend und begrüßen prominente Youtuberinnen und Youtuber sowie aufstrebende Nachwuchs-Politikerinnen und -Politiker zum Talk. Das Format soll politische Inhalte für 14- bis 29-Jährige interessant aufbereiten, Informationen zum Wahlausgang vermitteln und natürlich unterhalten. Neben den Talks sind Auftritte von Musikerinnen und Musikern und spannende Live-Showelemente geplant.”
Challenge und Comedy als politische Bildung
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) bedient sich der Influencer und platziert eine zehnteilige ‚YouTube-Reihe zur Sensibilisierung für demokratische Wahl- und Entscheidungsprozesse‘: „Das Angebot ‚#erstewahl2017‚ richtet sich primär an Menschen, die zu ihrer Informations- und Meinungsbildung über gesellschaftliche und politische Zusammenhänge primär Ressourcen der Sozialen Netzwerk-Dienstleister und des Social Web nutzen.”. Dabei wird das Format der “Challenge” genutzt. In der Pilotfolge von Fitness-Vloggerin Sofia Martinez werden verschiedene Optionen vorgestellt. Die Zuschauer können abstimmen, welcher Herausforderung sie sich stellen muss. Es geht also um die Konsequenzen von Abstimmungen. Weitere Beiträge zu diesen und ähnlichen Aspekten des Wählens liefern Alycia Marie, Moritz Garth, Malternativ, Salomé Sylvana und Silvi Carlsson.
Ab dem 11. September 2017 beschäftigt sich dann das Comedy-Duo Space Frogs in ihrer „Space Cabin“ im Auftrag der BpB mit unterschiedlichen Themen der Wahl. “In fünf Folgen, die täglich vom 11.-15. September 2017 auf ihrem YouTube-Kanal ‘Space Radio’ erscheinen, fragen sie etwa: Wie funktioniert die Bundestagswahl überhaupt? Welchen Stellenwert nehmen Bildung oder Digitalisierung in den Programmen der Parteien ein? Und welche Gestaltungsideen haben die Parteien für die Zukunft der Rente oder Europas?”
Abseits solcher koordinierten Aktivitäten wird Tilo Jung zur Bundestagswahl wieder mit exponierten Vertretern von Parteien in seinem bekannten “Jung & Naiv”-Format reden. Pointiert setzt er dabei einen Kontrapunkt zum Kanzlerinnen-Interview indem er mit dem Spitzenkandidaten der AfD, Alexander Gauland, gestartet ist. Und dem “Alex” fast zwei Stunden lang “naive” Fragen stellt.
Image (adapted) „YouTube“ by StockSnap (CC0 Public Domain)
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