Die diesjährige Next Economy Open war geprägt durch Live-Sessions, die sich dem technokratischen Verständnis der Digitalisierung in den Weg stellen. Wir kleben das Wort „Digital“ vor Leerformeln und lassen den Rest beim Alten. So kommt man nicht weiter. All das, was wir privat im Social Web vorleben und erleben, spiegelt sich in der Wirtschaftswelt nicht wider. Wir laufen den falschen vulgärkapitalistischen Vorbildern wie Uber & Co. hinterher und deklarieren das als digitale Avantgarde. Das machte Winfried Felser in seiner Session zur Neuerfindung der ökonomischen Theorie deutlich.
In Deutschland schwankt man dabei zwischen Technologieverweigerung und einer fast naiven Herangehensweise an das Thema der Digitalisierung mit großen Kinderaugen. Statt die Essenz der neuen Logik der Netzökonomie zu erkennen, verliert man sich in einem Technologie-Fetisch und einer Überschätzung von Nischen und Einzelphänomenen wie Uber. Oder man ergeht sich in digitalen Cargo-Kulten und gibt sich mit Ersatzhandlungen wie Digital Labs, Tourismus in Zukunftszonen oder Startup-Maßnahmen zufrieden.
Triviale Formen der Digitalisierung
„So etwas tut nicht weh, ist aber auch keine wirkliche Transformation“, kritisiert Felser. Ein Starren auf unpassende Metaphern führe in die Irre. Beispielsweise das Goodwin-Mem: Uber habe keine Taxis und Airbnb keine Hotels – Laber-Rhabarber. Das sei die triviale Form der Digitalisierung. Die große Transformation sieht anders aus. „Erst neue Werte werden die Kollaborationslogik im Kontext von solchen Plattformen massiv verändern. Grenzen müssen sich nicht nur durch Digitalisierung, sondern vor allem durch Aufhebung der Egos auflösen.“
Nicht mehr der von Adam Smith beschriebene kontrakt-basierte Egoismus mobilisiert Potenziale, sondern der gemeinsame Sinn oder das wechselseitige soziale Interesse. „Plattformen in diesem Sinne sind mehr als Uber. Jeder kollaborative Kontext kann mehr oder weniger Plattform sein“, erläutert Felser. Hier findet sich der Dreiklang der Next Economy Open wieder: Matching – Managen – Moderieren. Menschen organisieren sich in unterschiedlichen Kontexten immer wieder neu. Entscheidend sind Fähigkeiten und nicht mechanistische Befehlsstrukturen. In Unternehmen lösen sich interne Silos wie PR, Marketing, Vertrieb, Produktion und Service auf. Sie transformieren sich eher in Richtung von Coaching-Plattformen, um die Kompetenzen von Menschen zu aktivieren.
Die Praxis wird die Mainstream-Ökonomik demontieren
Das gilt auch für die Ökonomie als Ganzes: „In der Auseinandersetzung um eine ‚Neue Wirtschaftswissenschaft‘ sollten nicht Fragen der Form, sondern des Inhalts diskutieren werden. Neue Modelle wären sogar eine Chance für die Reformatoren. Dann würde schnell klar, wie unzureichend viele klassische Modelle und Theorien sind“, sagt Felser. Aber vielleicht repräsentiert der „Theorie-Streit“ auch die falsche Schlacht. „In einer hochdynamischen, exponentiellen Netzwerk-Ökonomie läuft die Entwicklung der Praxis in vielen Fällen der theoretischen Durchdringung voraus. Insofern kann eine Etablierung neuer Logiken in der Praxis – wie sie schon längst seit Jahren geschieht – in the long run eher Theorie treiben als dies innerhalb der Theorie-Communities möglich wäre“, spekuliert Felser.
Klar im Vorteil ist die transformative Ökonomik gegenüber dem Mainstream in der Wertedebatte. Nach Ansicht von Felser zeigt sich immer klarer, dass die Botschaft der „Digitalisierung“ alleine keine Heilsbotschaft darstellt. Gerade das Silicon Valley und die Stadt San Francisco wandeln sich zunehmend zu Ikonen einer Dystopie, wo das Heil nur Wenigen zugutekommt und eine „exklusive“ Gesellschaft systematisch Außenseiter schafft. Es gibt immer mehr normativ geprägte Initiativen, um nicht in Richtung der von Anderson und anderen formulierten neo-feudalen Strukturen und einer neuen Unmenschlichkeit abzurutschen.
Qualität statt Quantität
Dazu zählt auch Conny Dethloff von der Otto Group. „Wir entmenschlichen unsere Gesellschaft und damit auch unsere Wirtschaft. Erfolg, nachgewiesen in Daten, ist das Maß aller Dinge, nicht der Mensch und die Natur. Quantität hat Vorrang vor Qualität.“ Die Lücke zwischen „Mensch“ und „Maschine“ werde kleiner. „Aber wir bewegen uns nach unten den Maschinen entgegen, nicht die Maschinen zu uns empor“, sagte Dethloff in seiner #NEO17x Session.
Er nennt das „Dataismus“ und „Methodizismus“: „Wir lagern unsere Verantwortung in ‚externe‘ Strukturen Prozesse, Methoden, Rollen, Organigramme, Standards, Best Practice und Kennzahlen aus, um unsere Unsicherheit und Ungewissheit zu absorbieren. Dies ist allerdings nur scheinbar der Fall. Wir müssen Natur und Mensch wieder mehr in den Vordergrund rücken. Natur und Mensch ist das Maß aller Dinge, nicht Technologie und daraus abgeleitet den Erfolg. Technologie darf kein Selbstzweck sein, sondern nur Mittel zum Zweck“, so das Plädoyer von Dethloff. Die Next Economy fällt also nicht vom Himmel. Sie muss von uns gestaltet werden. Das Notiz-Amt sieht eine sehr anspruchsvolle Themen-Agenda für die Next Economy Open 2018.
Image (adapted) „Uber“ by freestocks-photos [CC0 Public Domain]
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Schlagwörter: Best Practice, deutschland, digitalisierung, Mainstream-Ökonomik, NextEconomy, Quantität, social web, Standards, Technologie, Uber
1 comment
Da steckt viel Wahrheit drin. Wir leben in einer der oberflächlichen Schlagworte und Begriffe, vermeiden die Tiefe und vor allem die Konsequenz um Veränderung wirklich zu erreichen. Das war beim Menschen jedoch schon immer so – Menschen mögen keine Veränderung, wenn sie das Licht am Ende des Tunnels nicht sehen. Das ist bei Revolutionen so und immer gewesen und auch in gesellschaftlichen Prozessen. Digitalisierung als technisches Problem zu sehen, mit dem Menschen als Störfaktor, ist zwar schön einfach aber führt nicht zum Ziel. Das ist auch der Grund, weshalb ich das Crew-Resource-Management so sehr schätze. Es setzt genau da an, beim Menschen und integriert die schnellen technologischen Fortschritte in der einhergehenden Globalisierung.