Die Hauptnachrichten des irischen Fernsehsenders RTE werden seit Beginn des Jahres nicht etwa deshalb Minute für Minute analysiert, weil auf einmal knallharter Journalismus zu bewundern wäre. Nein, der Fokus gilt dem neuen Duo vor der Kamera. “Anchorman” war gestern. RTE hat “Anchorwomen”. Zuletzt war es ein Mann und eine Frau, die gemeinsam die Sendung präsentierten. Bis sich die Frau darüber beschwerte, dass ihr Kollege mehr verdiente.
Die Diskussion bei RTE ward losgetreten. Der Mann wechselte zu RTE Radio, die Frau wurde zu den Spätnachrichten weggelobt. Nun geht alles davon aus, dass die beiden Frontfrauen natürlich beide gleich viel verdienen. Auch, dass das Gehalt natürlich auf Augenhöhe mit dem liegt, was ein Mann verdienen würde. Statt Geld wird nun gezählt, welche der beiden Damen öfter links am Pult sitzt und welche öfter rechts. Das ist ja wichtig. Denn die neue, revolutionäre Art der Anmoderation, dass beide am Anfang vor der Kamera stehen, war schon nach einer Woche nicht mehr so wichtig.
Ist es nicht egal, wer wo sitzt?
Meiner Meinung nach ist es generell vollkommen unwichtig, wer wo sitzt, wenn Beiträge anmoderiert werden. Ich kriege nur die Krise, wenn zwei Beiträge willkürlich im Programm auftauchen, ohne Zusammenhänge aufzuzeigen. Jüngstes Beispiel: Zwei Veranstaltungen, bei denen es um Jobs ging. Um Jobs im Zeitalter von Brexit. Um Jobs in Irland. In Irland, dem Land der Auswanderer. Dem Land, das fast schon einen Kult um seine eigenen Migranten betreibt. Und wenn der erste dieser Migranten fast 20 Jahre nach Auslaufen seines Visums von Trump’s Immigrations-Schergen des Landes verwiesen und heimgeschickt wird, dann ist das Geschrei so groß wie die Pressemeute, die sich zum Empfangs-Kommittee für den verlorenen, deportierten Sohn hinzugesellt. Aber zurück zu den Jobs und den beiden Veranstaltungen.
Unsicherheit darüber, wie Brexit tatsächlich aussehen wird, herrscht nicht nur bei denen, die die Sache angestoßen haben. Also bei der britischen Regierung. Unsicher fühlen sich auch viele Arbeitnehmer. Egal ob britische Staatsbürger oder EU-Bürger. Das gilt für fast alle Sektoren, außer vielleicht für Immigrations-Beamte. Aber im Londoner Tech-Sektor ist die Unsicherheit auf jeden Fall zu spüren. Somit machte es für die Macher von “Tech Life Ireland” absolut Sinn, eine Jobbörse in London zu veranstalten. Diese war, wenn man sich den betreffenden Bericht bei RTE anschaute, hervorragend besucht.
Berechtigte Sorgen
Fast 20 Firmen reisten mit Jobangeboten an und mit neuen Kollegen – oder besser gesagt erst einmal mit deren Zusagen – wieder ab. In ein paar Wochen oder höchstens Monaten müssen sich die Neurekruten keine Sorgen mehr um Brexit machen. Nein, Sorgen muss man sich eher um bezahlbaren Wohnraum machen. Denn sowohl Hypotheken als auch Mieten sind hier schon wieder so hoch – wenn nicht gar höher – wie im Boom. Und der Crash, der dem Boom folgte, ist schon wieder vergessen.
Da viele sich die immer weiter steigenden Mieten nicht leisten können, steigt die Zahl derer, die nach Rauswurf durch Vermieter in Notunterkünften enden, immer weiter an. Und mit der Zahl derer, die auf neue, normale Unterkünfte warten, die gar nicht so schnell gebaut werden können, wie sie gebraucht werden, steigt leider auch die Zahl derer, die die Schuld bei Unschuldigen suchen. Wie anders ist es zu erklären, dass die Angst vor dem “Faktor Anreiz im Zeitalter von Brexit” als Begründung dafür herhalten muss, dass das Urteil des höchsten irischen Gerichts, welches Asylbewerbern das Recht auf Arbeit gewährt, ignoriert und eben jenes Recht stark eingeschränkt wird.
Einschränkungen und Demonstrationen
Es geht um Asylbewerber, die seit Jahren in Aufnahmelagern leben. Und die sich vor allem mittels Arbeit nicht nur selber ernähren. Sondern es geht auch um die, die sich auch integrieren wollen. Womit wir bei der zweiten Veranstaltung zum Thema Jobs wären, die bei RTE im gleichen Programm lief. Nachdem eine Taskforce der irischen Regierung nach dem Urteil des Supreme Courts zum Recht auf Arbeit für Asylbewerber so reagierte, dass starke Einschränkungen gemacht wurden, fanden in mehreren Städten Demonstrationen statt, die sich gegen die Beschränkungen richteten. So muss ein neuer Job zum Beispiel mindestens mit 30.000 Euro vergütet werden und viele Jobs sind ausgenommen.
Dass dazu zum Beispiel auch Jobs für gut ausgebildete Ingenieure gehören, war anhand der Plakate so mancher betroffener Asylbewerber offensichtlich – “Ich möchte als Bau-Ingenieur arbeiten.” – dass solche Einschränkungen in einem Land gelten, das in London nach Fachkräften sucht, macht so gar keinen Sinn. Was Sinn machen würde, wäre wenn der Taskforce zumindest ein Arbeitgeber-Vertreter angehört hätte.
Noch ist es aber nicht zu spät
Es besteht noch die Möglichkeit, dass die Regierung Vertreter des Arbeitsministeriums mit Vertretern von Arbeitgebern im Einzugsgebiet von Asylbewerber-Heimen an einen Tisch bringt und Listen mit Anforderungen an Bewerber erstellt. Außerdem besteht noch die Möglichkeit, die Mitarbeiter des Arbeitsministerium danach diese Listen mit Asylbewerbern abgleichen zu lassen. Und Nein – ich sage nicht, dass jeder davon ein Coder oder ein Ingenieur ist. Aber jeder Einzelne, der so vermittelt werden kann, hilft hoffentlich ein bisschen, den Schreiern, die Asylbewerber als Schuldige sehen, das Maul zu stopfen. Und RTE hat auch noch die Möglichkeit, nicht nur einen Beitrag über solch gelungene Beispiele von Integration ins Programm zu nehmen. Sondern auch Kontext herzustellen, vollkommen egal, wer in welcher Position den Beitrag anmoderiert.
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Schlagwörter: Arbeit, Asylbewerber, Brexit, EU, Immigration, Irland, Jobbörse, Jobs, Miete, Work