Neue Provinz: Der ländliche Raum braucht Glasfaser statt Kupfer

Warum Neue Provinz? Die erste Ausgabe der neuen Kolumne erklärt die Titelwahl.


Das Wort „möglichst“ steht im angestrebten Koalitionsvertrag zwischen den Unionsparteien und den Sozialdemokraten genau 22 Mal drin. Bereits bei der zweiten Verwendung des Adverbs geht es indirekt um den ländlichen Raum. Genau genommen geht es um den Breitbandausbau. Die beiden ehemals als Volksparteien bezeichneten Koalitionspartner CDU/CSU und SPD wollen gemeinsam die Gigabit-Netze in alle Regionen bringen… auf einmal, denkt man sich insgeheim. Dafür planen sie zehn bis zwölf Milliarden Euro, um flächendeckende Glasfaser-Netze möglichst direkt bis zum Haus zu ermöglichen.

Da war es. Ist es Ihnen aufgefallen? „Möglichst“. Die Glasfaser-Netze sollen „möglichst direkt bis zum Haus“ kommen, steht in dem von den Parteien noch zu beschließendem Vertragswerk. Doch bei diesem Thema zeigt sich auch der ganze Ärger des Wortes „möglichst“. Das Wort bedeutet leider nichts anderes als „wie sich ermöglichen lässt“ oder „wenn möglich“, also auch „wenn es sich ermöglichen lässt“. Zumindest laut Duden. Dort werden unter anderem auch zwei Synonyme für „möglichst“ angeboten: „besser“ und „klugerweise“. Beide Worte hätte ich lieber im Koalitionsvertrag gelesen als besagtes „möglichst“.

Dann würden die Politiker*innen der alten und auch neuen Großen Koalition vereinbaren, dass „flächendeckende Glasfaser-Netze klugerweise direkt bis zum Haus“ gebaut werden. Das klingt doch schon ganz anders. Allerdings wohl auch nur in den Ohren von uns leidgeplagten Bürgern – in der Stadt und auf dem Land. Denn in den Ohren der Deutschen Telekom klingt das alles andere als gut. Es würde nämlich verhindern, dass sie aus dem jetzigen Mangel der Infrastruktur auch noch ein gutes Geschäft machen könnten. Dann wären sie womöglich noch genötigt, selber Glasfaser-Netze bis zum Haus zu bauen.

Nur Marktversagen, wenn die Deutsche Telekom es will

Genau diese sind aber nötig, um den ländlichen Raum attraktiv für die Menschen und auch Unternehmen zu machen. Seit zwei Jahren verfolge ich den Kampf um bessere Glasfaser-Netze in der Region. In der Altmark will man nicht mehr auf die Politik warten. Bereits vor über fünf Jahren gründete sich der Zweckverband Breitband Altmark, ein Zusammenschluss von 20 Gemeinden aus den zwei Landkreisen der Altmark, die gemeinsam das schaffen wollten, was die Deutsche Telekom der Region im Norden von Sachsen-Anhalt verwehrt(e): Glasfaser-Netze. 2016 begann der Ausbau der 4.700 Quadratkilometern großen Region.

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Unser Autor Tobias Kremkau in der Altmark, die viel Platz, aber wenig Netz hat.

Dies rief die Deutsche Telekom auf den Plan. Nach Jahren des Nichtstuns wollte das Unternehmen doch ausbauen – mit Vectoring-Technik. Diese ermögliche Anschlussgeschwindigkeiten von bis zu 100 MBit/s, der Zweckverband setzt auf Glasfaser-Netze mit 300 MBit/s und auch 500 MBit/s Geschwindigkeit. „Das Problem ist, dass das private Unternehmen auch noch wunderbar mit Kupferkabeln verdient“, erklärt Andreas Brohm, Bürgermeister von Tangerhütte. Als er laufende Bauarbeiten der Telekom stoppen lässt, eskalierte die Situation. Der Streit ist nun deutschlandweit ein Thema.

Brohm sieht in Glasfaser einen Standortvorteil, den die Region dringend braucht. Bernd Beckert, Innovationsforscher am Frauenhofer-Institut, stimmt ihm im Gespräch mit den Netzpiloten zu: „Aus Innovationssicht ist Vectoring suboptimal, eine Brückentechnologie.“ Für ihn haben Initiativen wie der Zweckverband deshalb Pioniercharakter. Sie könnten langfristig dafür sorgen, dass Deutschland beim Glasfaser-Ausbau im internationalen Ländervergleich aufschließt. „Der Schritt speist sich aus dem Versorgungsgedanken, dass Breitband genauso wichtig ist wie Wasser und Strom,“ erklärt Beckert nachvollziehbar.

Schnelles Internet ist Grundlage von einfach allem

Doch privatwirtschaftliche Investitionen von Telekom & Co. fehlen nicht nur in der Altmark. Im baden-württembergisch Karlsdorf können sie Ähnliches berichten: Die Telekom ignorierte Anfragen nach Netzausbau, woraufhin die Gemeinde selber tätig wurde und Glasfaser-Kabel verlegte. Erst danach baute auch die Telekom aus, die Straße wurde ein weiteres Mal aufgerissen und ein Telekom-Kabel verlegt. Nun droht der Gemeinde der Verlust der Investition von 500.000 Euro, wenn sich Anwohner*innen für das Angebot der Telekom entscheiden. Das gleiche passiert auch im Nachbarort Forst. Das Satiremagazin extra3 berichtete darüber:

Im brandenburgischen Finsterwalde wollte man ähnlich wie in der Altmark nicht mehr auf die Versprechen der Politik warten. Bereits vor vier Jahren stiegen die Stadtwerke Finsterwalde ins Glasfaser-Geschäft ein und versorgen inzwischen die halbe Stadt mit Glasfaser-Kabeln. Statt auf staatliche Förderprogramme setzen sie auf Unternehmen aus der Region. So können sie teilweise die 20-fache Geschwindigkeit der privaten Konkurrenz anbieten und sparen mehr als ein Drittel der Ausbaukosten, indem sie sich an sowieso geplante Straßenbauprojekten wie die Erneuerung der Straßenbeleuchtung dranhängen.

Klugerweise warten Kommunen nicht mehr auf die Landes- oder Bundespolitik, die in einer einmaligen Art und Weise den Wandel bisher verschlafen haben. Egal ob in der Stadt oder auf dem Land, die Menschen brauchen Glasfaser-Netze für einen schnellen Zugang zum Internet. Dies ist sowohl Grundlage der neuen Arbeitswelt, die aufgrund der Digitalisierung ortsunabhängig und damit genauso in ländlichen Regionen entstehen, als auch der privaten Gestaltung seines eigenen Lebens und der Teilhabe an unserer auch online stattfindenden Gesellschaft. Ohne schnelles Internet kann es keine neue Provinz geben.



ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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