„Digitale Plattformen schaffen Netzwerkeffekte“ – so erklärt der Ökonom Nick Srnicek vom King’s College in London völlig unspektakulär aber dennoch treffend, die uns umgebende und beherrschende Plattform-Ökonomie. Das ist nicht vergleichbar mit verteilten Produktionsketten, Subunternehmen und modularisierten Produkten, die man beispielsweise aus der Autoindustrie kennt. In der Industrie dominieren lineare Prozesse.
Das Erfolgsrezept der digitalen Plattformen
„Eine Firma baut ein Teil, eine andere verbaut es und vermarktet schließlich das Endprodukt. Auf einer Plattform ist die Abhängigkeit nicht linear, sondern wechselseitig. Uber zum Beispiel funktioniert nur, wenn es zugleich genügend Fahrer und Fahrgäste gibt. Beide Gruppen umkreisen sich und werden immer wertvoller füreinander“, so Srnicek im Zeit-Interview.
Nach seiner Ansicht werde eine digitale Plattform für alle Beteiligten umso wertvoller, je mehr Leute mitmachen. Es könne sein, dass man den Umgang von Facebook mit Daten nicht mag. „Aber wenn Sie sich heute bei einem sozialen Netzwerk anmelden, wird es wahrscheinlich Facebook oder einer seiner Ableger sein – einfach deshalb, weil alle Ihre Freunde und Verwandte schon dort sind. Netzwerkeffekte sorgen dafür, dass konkurrierende Plattformen es sehr schwer haben. Digitale Plattformen haben eine natürliche Tendenz zum Monopol“, erläutert der Spezialist für Automatisierung, soziale Reproduktion und die Ökonomien künstlicher Intelligenz.
Fluch und Segen der Silicon Valley-Dickfische
Das ist Fluch und Segen zugleich, denn die Dickfische des Silicon Valley müssen weiter expandieren. Google kooperiert mit Amazons wichtigstem Einzelhandelskonkurrenten Walmart und auch Facebook will sich zur Verkaufsplattform entwickeln. Amazon und Facebook haben erfolglos versucht, ein Smartphone zu etablieren. Facebooks gesamter Erfolg beruht darauf, dass es einen Teil des Internets von Google abschirmt. „Der Plattformkrieg wird vielleicht nicht offen ausgetragen, aber man sieht, wie die Gegner sich in Stellung bringen“, betont Srnicek.
Den heftigsten Wettbewerb werde es um künstliche Intelligenz geben. Um wirklich anspruchsvolle KI zu bauen, brauche man Ressourcen, über die nur eine Hand voll Firmen verfügen: enorme Datenmengen, Serverkapazitäten und die besten Ingenieure. „Die großen Tech-Firmen haben erkannt, dass sie sich eine Monopolsituation verschaffen und KI an andere Firmen verleihen können. An diesem Punkt stehen sie gerade“, sagt der Wissenschaftler vom King’s College.
Der Cloud Computing-Riese Amazon
Cloud-Computing ist bei diesem Datengeschäft für Amazon zur Zeit die Gewinnmaschine. Das beleuchtet Michael Kroker in der Wirtschaftswoche. Für satte 90 Prozent des Konzerngewinns waren die Amazon Web Services (AWS) verantwortlich. Egal ob Privatnutzer, Mittelständler oder Konzern: AWS ist mittlerweile der größte und wichtigste Anbieter im Wolkengeschäft und bei der Vermietung von IT-Dienstleistungen über das Internet. „Doch das könnte wackeln“, glaubt Wiwo-Redakteur Michael Kroker.
Oberschnüffler wollen Zugriff auf ausländische Daten
Das oberste Gericht in den USA, der Supreme Court, verhandelt einen Fall, der die Grundregeln des Cloud Computing tangiert. Die Richter wollen entscheiden, ob US-Behörden, wie die Oberschnüffler von NSA, künftig auch auf Daten zugreifen können, die im Ausland gespeichert sind. Sollte die Entscheidung für die Schlapphüte positiv ausfallen, dürften wohl einige internationale Großkunden von Amazon nervös werden. „Womöglich könnten die Juristen damit sogar König Bezos aus seinem Wolkenreich vertreiben“, schreibt Kroker. IT-Analyst Axel Oppermann bestätigt dieses Szenario gegenüber der Wiwo: „Ein Urteil zugunsten der US-Regierung würde dem weiteren Wachstum der Cloud-Branche, die fest in der Hand amerikanischer Unternehmen liegt, einen enormen Dämpfer verpassen.“
Die #9vor9 Kontroverse
Es würde die gesamte Strategie von Amazon mit AWS als Speerspitze gefährden. Davon ist Stefan Pfeiffer vom CIO-Kuratorium nicht überzeugt:„Wenn ich sehe, wie europäische und deutsche Unternehmen derzeit mit dem Thema umgehen, glaube ich nicht an den Dämpfer. Seit Jahren ist die NSA-Frage virulent und wird offensichtlich akzeptiert.“ Am Ende geht es auch gar nicht um die NSA oder um die Tatsache jederzeit von staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen überwacht zu werden, spekuliert Oppermann in einer Facebook-Diskussion zur Sendung #9vor9:
Es gehe bei dem Verfahren auch um andere Themen – etwa um den Zugriff anderer staatlicher Stellen. Und besonders auch um den Zugriff innerhalb zivilrechtlicher Verfahren. „Grundsätzlich um exterritorialen Zugriff, sowie Sicherheit und offene Handelsbeziehungen. Wenn der Oberste Gerichtshof entscheiden würde, dass die Daten weitergegeben werden müssen, bestehe Unsicherheit darüber, ob und wann sich das Gesetz ändern würde und wie der tatsächliche Inhalt eines neuen Gesetzes aussehen könnte. Natürlich wäre das neue Gesetz noch immer Gegenstand von mehr Auslegung und Rechtsstreitigkeiten“, sagt Oppermann. Einige Länder könnten Datenoasen einrichten, die den derzeit existierenden Finanz- und Steueroasen ähnlich sind. Der Dämpfer komme aus der grundsätzlichen Unsicherheit.
Plattform-Anbieter zerschlagen?
Egal wie das Verfahren ausgeht – das Vertrauen vieler Akteure gegenüber den Oligopolen des Netzes sinkt. Immer mehr Unternehmen gehe die Marktmacht von Amazon zu weit, so Kroker. Ähnlich wie bei Google und Facebook, fordern sie politische Schritte, womöglich eine Zerschlagung wie in der Telekommunikation. Ökonom Srnicek hält die Überführung dieser Firmen in einen irgendwie gearteten öffentlichen Besitz für ideal. Aber sobald man das sagt, gerät man in ziemliche Schwierigkeiten, denn Google oder Amazon dem Staat unterordnen? Wie soll das technisch, ökonomisch und rechtlich funktionieren? Ich denke jedenfalls, wir müssen neue Modelle entwickeln, zum Beispiel wie eine öffentliche und gemeinnützige Kontrolle aussehen könnte. Das Thema drängt, aber die Diskussion hat noch gar nicht richtig begonnen. Vielleicht stolpern die Big Five des Silicon Valley ja über die Daten-Gier von NSA & Co. Wäre ein Treppenwitz. Würde das Notiz-Amt aber freuen.
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Schlagwörter: AWS, cloud computing, Digitale Plattformen, Jeff Bezos, Nick Srnicek, Plattform-Ökonomie, Wirtschaftswoche