Ich gebe es zu. Ich habe dem derzeitigen Kassetten-Hype niemals besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Als Schallplatten-Jüngerin war und bin ich fest davon überzeugt, dass auf Vinyl beinahe jedes Lied besser klingt. (Vorausgesetzt die Aufnahme im Studio war ordentlich und derjenige, der den Song auf Vinyl gepresst hat wusste, was er tut.) Trotzdem erwischte ich mich dabei, wie mich ein wohliges Gefühl der Nostalgie überkam, als ich mir das neue Album meiner Lieblingsband kaufte und dem „Exclusive Vinyl Bundle“ ebenfalls eine Kassette beigelegt war. Ich habe keinen Kassettenspieler mehr. Trotz dessen war es ein merkwürdig schönes Gefühl, diesen etwas in die Jahre gekommenen Tonträger wieder in den Fingern zu halten. Rückblenden in meine Kindheit zu alten Spongebob-Hörspielen und Bibi und Tina-Folgen inklusive.
Doch ich bin nicht die Einzige, die die Besonderheit der Kassette wiederentdeckt hat. Egal ob in Serien, in Filmen oder bei Neuerscheinungen in der Musik-Branche. Der Retro-Hype schreitet voran und mit ihm erwacht auch die Kassette zu neuem Leben.
Warum Kassette?
Darauf gibt es wohl keine rein rationale Antwort. Technisch gesehen steht die Kassette modernen CDs und vor allem Streaming Diensten in einiges nach. Maximal 90 Minuten Musik passen auf eine Seite der Kassette. Nach Benutzung muss man das Band manuell zurückspulen, es sei denn das Wiedergabegerät kann das selbst. Und das Wechseln von Songs, oder das Überspringen, ist deutlich komplizierter als bei anderen Tonträgern. Auch wenn die CD insgesamt nur 80 Minuten Musik speichern kann, rauscht und springt sie im Vergleich mit der Kassette nicht. Des Weiteren kann man hier Songs deutlich einfacher überspringen. Wenn es um die reine Praktikabilität geht, macht aber den heutigen Streaming Diensten keiner etwas vor. Millionen von Songs, von überall abspielbar, inklusive der Möglichkeit hunderte individuelle Playlists zu erstellen und diese mit Freunden zu teilen.
Aber um den „praktischen“ Nutzen geht es bei der Kassette auch eher weniger. Viel mehr hat der auflebende Hype etwas mit Nostalgie zu tun.
Totgesagte Technologien leben länger
Einige machen die Streaming-Plattform Netflix für das Wiederkehren der Kassette verantwortlich. In Serien wie „Stranger Things“ oder dem Film „Guardians of the Galaxy” wird die Kassette zum Kult-Objekt erhoben. Indirekt wird der Kassette also vorgeworfen, sie sei nur ein Mittel zum Zweck, um noch mehr Hype zu erschaffen und noch mehr Merchandise zu verkaufen. Aber das wäre zu kurz gedacht. So lässt sich zum Beispiel in Berlin beobachten, dass immer mehr Musikläden Kassetten wieder zunehmend in das Sortiment aufnehmen. Die Kassette sei auch nie ganz weg gewesen, wird hier argumentiert, sie lebe nur neu auf. Gleichzeitig beobachten die Betreiber der Musikgeschäfte das, was die Kassette auch auf längerfristige Sicht wieder stärker in den Mainstream holen könnte: Im digitalen Zeitalter gibt es immer mehr Menschen, die Musik wieder bewusster erleben wollen. Und dazu gehört eben auch, Tonträger wieder in der Hand zu haben. Ähnlich wie bei der Schallplatte sucht man nicht zwangsweise nach rauschfreier Perfektion, sondern nach dem individuellen Charakter der Musik. Somit ist die Kassette nicht einfach ein aufgewärmter „Werbegag“ großer Firmen, sondern sie hat ihren festen Platz in der Retro-Bewegung der Postmoderne gefunden.
Image by Tobias Tullius / unsplash.com
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Schlagwörter: CDs, Hype, Kassette, Musik, retro, Retro-Hype, Retro-Technik, Schallplatten, streaming, Tapes, Wiedergabe