Anläßlich der Diskussion um das Web und dessen Auswirkungen nicht zuletzt im öffentlichen Fernsehen, ist es offenbar an der Zeit, einige Vorurteile und Legenden zu beleuchten. Denn um eine profunde Diskussion darüber zu führen, was es kann das weltweite Datennetz, wäre es hilfreich, seine Anfänge und Vorhaben in den Blick zu nehmen, da die primäre Gestaltung dieses Netzes Folgen hatte, die wir heute zumindest teilweise in den Menschen oder die Gesellschaft verlegen.
Noch während des zweiten Weltkriegs begann das, was wir heute den militärisch-industriellen Komplex nennen. Mit diesem Begriff bezeichnet der Soziologe Charles Wright Mills ein Amalgam aus Industrie und Militär. Diese Verknüpfung der Interessen beider Lager sind aus seiner Sicht eine enorme Bedrohung für die modernen Demokratien. Die Verhältnisse während der Bushregierung, vor allem die Diskurse über Halliburton, Dick Cheney sowie Bushs Beziehungen zu einige bekannten Risikokapitalfirmen haben die Diskussion um diesen Begriff aktualisiert. Der bekanntes Name aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in diesem Zusammenhang ist gleichzeitig einer der Väter des Web, wie wir es täglich nutzen: Vannevar Bush. Sein Memory Extender (memex) war eine Vorwegnahme dessen, was wir heute mit dem Web-Konzept des Tim Berners-Lee verbinden: Ein visueller Zugang auf untereinander vernetzte Dokumente. Bush war auch einer der Gründer des bekannten Rüstungskonzerns Raytheon, das hängt mit seiner Tätigkeit rund um Radar und Sonar zusammen. Der Memex war Inspiration für Englebarts und Lickliders erste Versuche eine nutzerfreundliche Mensch-Maschine-Interaktion zu gestalten. Sie taten diese im Auftrag der ARPA (Advanced Research Projects Agency), einer Behörde des Verteidigungsministeriums, die gegründet wurde, um militärisch relevanten Technologien im Sinne des Militärs koordinieren zu finanzieren.
In den 50er Jahren begann die militärische Aufklärung mit den damals größten Informationssammlern, einem landesweiten Netzwerk aus Radarstationen zur Luftverteidigung, das in einer ARPA-Abteilung namens SAGE (Semi Automatic Ground Environment) geführt wurde. Das war das erste Mal, das viele militärische Informationen per Netzwerk zusammenführte. Um diese Informationen zusammenzuführen gründete man mit dem Information Processing Technology Office (IPTO) eine Computerabteilung, deren Aufgabe darin bestand eben diese Informationen zusammenzuführen und auszuwerten – und was noch deutlich wichtiger war – es musste ein Projekt in Gang setzen, dass als robustes und krisenfeste Kommunikationsnetzwerk den Austausch zwischen den verteilten Radarstationen und den Zentralrechnern gewährleisteten sollte. Es sollte damit beginnen, die Computer von Pentagon, Cheyenne Mountain und dem SAC Hauptqartier als autonomes Netz zu verbinden. Der erste Chef des IPTO wurde Joseph Carl Robnett Licklider, der 1962 mit dem Galaktischen Netzwerk konzeptionell die Idee des Internet zusammenfasste. Außerdem ermöglichte er es, dass fortan Informatiker in den USA zu Gebiet Computerwissenschaften promovieren konnten. Fußnote: Als Co-Direktor des US-Rüstungslieferanten Bolt Beranek and Newman (BBN) kaufte Licklider einen großen DEC-Rechner und plante und realisierte quasi darauf das erste Mehrbenutzersystem (Time Sharing).
Die Vision des Galaktischen Netzwerk von Licklider verfasste er in einer Reihe von Memos. Das erste wurde 1961 publiziert unter dem Titel „Man-Computer Symbiosis“ und fokussiert die Mensch-Maschine Interaktion. Dieses Buch kann als Werk der Kybernetik und der künstlichen Intelligenz angesehen werden. Er hat dort schon sehr früh die Grenzen des Computers formuliert – anders als viele heutige Kritiker des Web bzw. des Computers:
„Men will set the goals, formulate the hypotheses, determine the criteria, and perform the evaluations. Computing machines will do the routinizable work that must be done to prepare the way for insights and decisions in technical and scientific thinking.“
Das zweite Memo hieß „On-Line Man Computer Communication“ und behandelte die soziale Interaktion zwischen Menschen über das Netzwerk. Mit Robert Taylor schrieb er dann 1968 „The Computer as a Communication Device“ wo Online Communities als effektive Systeme der menschlichen Kommunikation vorgestellt wurden.
1962 überzeugte er die anderen Forscher, dass das Netzwerk den Kern aller notwendigen Aufgaben darstellen würde. Er veranlasste das Project MAC am MIT, ein Computer, der bis zu 30 Personen die Arbeit am Mainframe-Rechner per eigenem Terminal und eigener Tastatur ermöglichte. Er war es auch, der die Gelder für ähnliche Projekte an anderen Universitäten bereitstellte – vor allem für das Stanford Research Institute unter Douglas Englebart (den Erfinder der Maus und Autor von Augmenting Human Intellect). Dann wurde Licklider Direktor des Project MAC und baute damit das erste Online Setup sowie ab 1964 Multics, den Vorfahren von UNIX. Die Idee war, das per Netzwerk dann später auf so einen Mainframe zugegrifffen werden konnte. Die Idee des thin client war geboren.
Die Idee des robusten Netzwerks basierte auf einer besonderen Form der Nachrichtenvermittlung, die Donald Watts Davies ersann. Die Inhalte werden in Pakete aufgeteilt und mit Quellenangabe, Ziel, Datenlänge, einer Laufnummer und einer Klassifizierung (Netzneutralität!). Bei der Paketvermittlung werden Rechner gebraucht, die ersten dieser waren 1969 von Honeywell und konnten 50Kbit/s im ARPANET übertragen. Dieses erste Netzwerk, das auf betreiben von Lickliders Nachfolger Robert Taylor von Lawrence Roberts, Leonard Kleinrock, Paul Baran und Watts Davies konzipiert wurde (TCP/IP). Zwischen Kleinrocks Network Measurement Center an der UCLA und Englebarts SRI (Stanford) kam es am 29.Oktober zu ersten funktionierenden Übertragung von zwei Buchstaben. Das LOGIN klappte nur bis zum Buchstaben G, dann fiel die erste Verbindung zusammen. Nach einigem Hin und Her kamen aber doch robuste paketvermittelte Verbindungen zustande. Zur selben Zeit wurde UNIX entwickelt und die Programmiersprache C – zusammen mit dem ARPANET wird diese als Nukleus des Internet angesehen. Aber erst die als Ideen von Vannevar Bush über den visuellen Zugriff auf Wissenssammlungen mit Ted Nelsons Konzept des Hypertexts von 1960 (XANADU) zusammenkam in einem Projekt namens world wide web des Briten Tim Berners-Lee am CERN in Genf, da begann der Siegeszug des Datennetzes, wie wir es kennen auf dem HTT(P)-Protokoll.
Es ist nicht davon auszugehen, dass der erste Gedanke des Netzwerks ein Verknüpfen der Universitäten war. Zumal zweckfreie Grundlagenforschung gar nicht der Zweck der ARPA war. Dass im Laufe des Projekts klar wurde, dass die verschiedenen Abteilungen, Projekte und Forscher überhaupt erstmal miteinander verbunden werden müssen enbindet nicht von dem historischen Gedanken, warum die federführende Stelle IPTO überhaupt gegründet wurde. Nämlich um die Idee des SAGE-Netzwerks weiterzuführen. Und SAGE hatte keine universitäre Ursache oder akademische Veranlassung. Eat Your Own Dogfood bedeutet ja nicht, dass es nicht einen externen Anlass für die Entwicklung des Hundefutters gibt. Und wenn man die juristische Schlußfolgerungsregel conditio sine qua non bemühen will, dann kann man sagen, dass der russische Sputnik als im wahrsten Sinne des Wortes damals höchste Form des Radars deswegen einen initialen Einfluß auf die ARPA hatte. Denn erst danach reagierte sie mit dem Auftrag ein mächtigeres und überwachungssicheres Kommunikations-Netzwerk als SAGE zu entwickeln, das auch die oben genannten militärischen Rechenzentren zuverlässig verbinden sollte.
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