Pokémon Schwert im Test – viel Lärm um Nichts?

Die Pokémon-Reihe ist mittlerweile 23, bei uns in Europa sogar genau 20 Jahre alt. In jeder Generation durchstreiften tapfere Pokémon-Trainer eine neue Region, fingen Pokémon und duellierten sich in spannenden Kämpfen. Doch bisher immer nur auf Handheld-Konsolen. Nie erlebten wir ein Abenteuer auf einer Heimkonsole. Die Nintendo Switch als Hybrid zwischen tragbarer und stationäre Konsole scheint deshalb prädestiniert für diesen großen Schritt zu sein. Im Februar 2019 war es dann soweit: Pokémon Schwert und Schild wurden angekündigt. Selten gab es im Vorfeld zum Release einer neuen Generation so viele Kontroversen, Diskussionen und Shitstorms. Doch wie schlagen sich die neuen Spiele im Test?

Willkommen in der Galar-Region

Doch starten wir am Anfang. Zu Beginn des Spiels begrüßt uns zum ersten Mal nicht die Professorin der Region Mgnolica, sondern der Präsident der großen Arena-Challenge namens Rose. In einem großen Stadion lädt er alle Trainer der Galar-Region zu dem großen Sport-Event ein. Wir sehen Delion, den Champ der Liga und sein Glurak, welches sich auf beeindruckende Weise gigadynamaxt.

Bei dieser neuen Verwandlung wächst das Pokémon über sich hinaus und erhält ebenfalls eine spezielle Form. Ein beeindruckendes Schauspiel. Auch für unseren Protagonisten, der das Ereignis auf seinem Fernseher verfolgt.

Screenshot aus Pokémon Schwert von Philipp Bader. Spiel von Nintendo
Präsident Rose begrüßt uns in der Galar-Region.

Kurz darauf beginnt dann auch unser großes Abenteuer. Denn der Champ Delion ist zufälligerweise der große Bruder unseres Nachbarn Hop und hat ein ganz besonderes Geschenk dabei: die obligatorischen drei Starter-Pokémon. In diesem Fall dürfen wir uns zwischen dem Feuer-Hasen Hopplo, dem Pflanzen-Affen Chimpep und der Wasser-Echse Memmeon entscheiden. Unser neuer Rivale Hop aber wählt, anders als in den Anfängen der Serie, das Pokémon, welches eine Schwäche gegen unseren Starter besitzt. Nach einem kurzen Kampf mit Hop beginnen wir unsere Reise durch die Galar-Region.

 

Pokémon Schwert erfindet das Rad nicht neu

Nun machen wir das, was man eben in Pokémon so macht: wir erkunden die Region, entdecken und fangen neue Pokémon und kämpfen uns durch die acht Arenen, um schließlich der Champ zu werden. Die bereits erwähnte Arena-Challenge ist dabei die Besonderheit der Galar-Region, denn sie ist ein riesiges Sport-Event und Kämpfe werden in großen Stadien ausgetragen. Die britisch angehauchte Galar-Region feiert diese Ereignisse wie reale Fußball-Final-Spiele. Die Zuschauer jubeln sogar laut mit der Hintergrundmusik mit. Noch nie haben sich die Arena-Kämpfe so intensiv angeführt. Das gilt aber nicht unbedingt für den Schwierigkeitsgrad. Präsentiert werden die Duelle mit dem Arena-Leiter jedoch sehr gut. Im Vorlauf jedes Arena-Kampfes müssen wir auch in Pokémon Schwert und Schild eine kleine Aufgabe lösen. Diese sind manchmal ganz niedlich, zum Beispiel wenn wir eine Herde Wollys am Hütehund Voldy vorbei treiben müssen. Knifflig wird es hier aber auch nicht.

Abseits der durchaus groß inszenierten Arena-Challenge strickt sich die Story von Schwert und Schild aber um die legendären Helden der Galar-Region, die vor vielen Jahrhunderten einen Giganten bezwingen konnten. Diese Helden kämpften mit einem Schild und einem Schwert. Dieser Gigant hat viel mit dem Phänomen des Dynamaxen beziehungsweise Gigadynamaxen zu tun. Doch dazu später mehr. Die Story wird dabei von Sania, der Enkelin von Professorin Magnolia vorangetrieben. Immer wieder bringt sie uns die Geschichte der Region näher. Auch der bereits erwähnte Präsident Rose und seine eiskalte Assistentin Olivia sowie die weiteren Rivalen Betys und Mary kreuzen immer wieder unseren Weg. Ein böses Team gibt es übrigens in der Form nicht, einmal abgesehen von Team Yell. Diese Rabauken sind der Fanclub eurer Challengerin Mary und versperren euch auch gerne einmal den Weg, um ihr einen Vorteil zu verschaffen. Sie sind so etwas wie die Hooligans der Galar-Region.

Der Kampf der Riesen-Pokémon

Wie bereits erwähnt hat die achte Generation Pokémon Schwert und Schild ebenfalls ihr eigens Gimmick. Beim Dynamaxen wächst dein Pokémon zu gigantischer Größe heran. Es erhält mehr Kraftpunkte und die Dyna-Attacken machen mehr Schaden und haben zusätzliche Status-Effekte. Es spielt sich ein wenig wie eine Mischung aus den bereits existierenden Mega-Entwicklungen und Z-Moves. Allerdings könnt ihr diese speziellen Formen nur in den Arena-Kämpfen und einigen Ausnahmen benutzen. Denn jedes Pokémon im Spiel kann sich Dynamaxen.

Gigadynamaxing ist wiederum etwas spezieller. 25 Pokémon im Spiel haben neue Riesen-Formen erhalten, darunter neue Pokémon, wie der Riesenkuchen Pokusan, aber auch alte Mons, wie Glurak oder Pikachu. In diesen Formen erhalten sie stärkere Attacken und zusätzlich ebenfalls bessere Werte. Sämtliche Arena-Leiter nutzen Gigadynamaxing, der Spieler darf aber erst nach Beendigung der Hauptstory darauf zugreifen. Im normalen Spiel bietet das Dynamaxing keinen wirklichen taktischen Mehrwert, sieht aber ganz cool aus. Für Online-Kämpfe kann das Gigadynamaxing aber sehr interessant werden.

Im hohen Gras bewegt sich etwas

Das Fangsystem hat sich im Vergleich zur siebten Generation erneut verändert. Die Monster an sich fangen wir zwar immer noch, indem wir sie schwächen, einschläfern oder paralysieren und dann mit einem Pokéball einfangen. Interessant ist nun eher der Vorlauf des Kampfes. Ähnlich wie in den letztjährigen Let’s Go Pikachu und Eevee streunen nun zahlreiche Pokémon für uns sichtbar durch das hohe Gras, manche laufen aggressiv auf uns zu, andere sind eher scheu. Die klassischen Random Encounter lassen sich wiederum sehr einfach vermeiden. Nähert sich ein Pokémon im Gras, ploppt ein Ausrufezeichen auf. Nun haben wir ein paar Sekunden Zeit, wegzurennen. Das Fangen wird so um einiges erleichtert und weniger anstrengend, da wir uns die Fangfavoriten aussuchen können. Für Freunde der Jagd sind die versteckten Pokémon aber durchaus auch ein Ansporn.

Dieses neue Fangsystem wird vor allem in der größten und gleichzeitig polarisierenden Neuerung genutzt. Die Naturzone ist ein riesiger Bereich in der Galar-Region, der mehrere Städte miteinander verbindet. Hier tummeln sich allerlei starke Pokémon, die oftmals aus dem Nichts vor euch auftauchen. Wir können hier viele verschiedene Pokémon fangen, die teilweise weit über unserem aktuellen Level und sogar dem Level der Arenaleitern sind. Allerdings können wir nicht einfach ein super starkes Pokémon fangen und durch das Spiel brausen. Denn die Mons, die wir fangen können, unterliegen einer Levelgrenze, die erst durch den nächsten Orden erhöht werden. Das ist zu Trainingszwecken zwar ganz nützlich, aber trotzdem ist es etwas schade, dass es gar nicht möglich ist. Es wäre eine schöne Belohnung nach einem schwierigen Kampf gewesen.

Die Naturzone – hässlich, aber herzlich

Die Naturzone ist wirklich eine erfrischende Abwechslung zum normalen Routen-Alltag und kann zu einem echten Zeitfresser mutieren. Bei meinem ersten Besuch war meine Aufgabe eigentlich nur, die nächste große Stadt Engine City zu erreichen. Aber ich verlor mich in der Erkundung des offenen Gebiets, in dem wir zum ersten Mal in der Serie tatsächlich die Kamera frei bewegen können. Im Laufe des Spiels decken wir immer neue Gebiete der Zone auf. In jedem Gebiet wechselt das Wetter dynamisch und damit auch die Pokémon, die wir treffen können. Manche Bereiche verstecken sich hinter einem See oder Tümpel und sind nur im späteren Teil des Spiels per verbesserten Rotom-Fahrrad erreichbar.

Hier kommen wir zu einem weiteren wichtigen Teil des Spiels. Wie schon in Sonne und Mond und den Let’s Go-Spielen sind die versteckten Maschinen (VMs) endgültig passé. Behalf man sich dabei in der siebten Generation noch mit Pokémon, die man anrufen konnte, ist es in Schwert und Schild etwas langweiliger. Abseits des Rotom-Rads steht an Orten, die wir noch nicht betreten dürfen einfach nur ein NPC im Weg herum und blockiert den Weg. So etwas gab es zwar auch schon in den alten Spielen, das macht es aber nicht weniger billig. Einen Ort können wir zum Beispiel nicht betreten, weil vier Wollys im Weg stehen.

Grafisch kein Meisterwerk

Grafisch ein zweischneidiges Schwert – oder Schild. Bereits seit Monaten kursierten die Bilder gewisser Pixel-Bäume aus der Naturzone und auch die Animationen der Pokémon, welche 1:1 wie die aus den Vorgängern aussehen, sorgten für Kopfschütteln. Vor allem, da Entwickler Game Freak behauptete, sämtliche Pokémon im Spiel neu gemodelt und die Animationen verbessert zu haben. Im finalen Spiel ist das leider genauso. Nicht nur die Bäume in der Naturzone sehen nicht gerade nach Next-Gen aus und die ständig aufploppenden Pokémon nerven ebenfalls. Sobald man sich jedoch aus der Naturzone entfernt, sieht alles schon besser aus. Die Städte der Galar-Region aber sind sehr abwechslungsreich und hübsch gestaltet. Und auch die neuen Pokémon-Designs sind beinahe durch die Bank weg kreativ und ansprechend. Vor allem Porentas neue Entwicklung Lauchzelot und auch die dritte Stufe des Feuer-Starters Hopplo haben mir sehr gut gefallen.

Pokémon Schwert und Schild: eine Reise ohne große Stolpersteine

Pokémon Schwert und Schild sind auch dieses Mal wieder vor allem Einzelspieler-Erfahrungen. Die Spielzeit bis zum Sieg gegen den Champ beträgt ungefähr 15 Stunden, verlängert sich aber natürlich, je länger man sich in der Naturzone verliert. Die neue Aufteilung der Erfahrungspunkte auf alle Team-Pokémon und eine Vielzahl an Items und Möglichkeiten, weiter EXP zu farmen, machen das Spiel auch nie wirklich schwer. Das Post-Game ist zwar etwas besser als in den beiden Vorgängern, aber trotzdem nicht besonders beeindruckend. Die beiden neuen Charaktere in dieser kleinen Zusatz-Episode sind allerdings sehr unterhaltsam. Außerdem gibt es noch einen Kampfturm, in dem wir wieder Punkte für spezielle Items sammeln können.

Dann bleibt nur noch die Vervollständigung des Pokédex, der mit einer Zahl von 400 so klein wie zuletzt in Rubin und Saphir ist. Die gesamte Kontroverse haben wir hier schon einmal besprochen,  aber hier noch einmal die Kurzform: Game Freak sagt, dass sie nicht alle Pokémon ins Spiel implementieren, da sie Animationen, Models und Engine modifizieren, Trailer zeigen etwas anderes, die Fanbase ist gespalten. Schlussendlich wirkt sich die geringe Pokémon-Anzahl auf den normalen Spiel-Durchlauf kaum aus, gab es doch auch in den Vorgängern meist nie mehr als 400 Monster in der Region an sich zu entdecken.

Es ist in jedem Fall schade, dass viele ihr Lieblings-Pokémon nicht mit in die neue Generation bringen können (mein armes Brutalanda). Und auch für den Online-Kampf hat man nun weniger Möglichkeiten. Vielleicht sorgt es im kompetitiven Bereich aber sogar für einen Fokus auf die neuen Pokémon. Trotzdem sind die deutlichen Lügen des Entwickler-Studios Game Freak erschreckend. Aber die aktuellen Verkaufszahlen der neuen Editionen zeigen leider, dass sich das Studio eben alles erlauben kann. Pokémon verkauft sich trotzdem wieder richtig gut und ist jetzt sogar der erfolgreichste Switch-Verkaufsstart aller Zeiten.

Ein Pokémon-MMO könnte wirklich gut sein…

Die Online-Features von Pokémon Schwert und Schild wirken eher wie der Prototyp eines Pokémon-MMOs. In der Naturzone radeln viele weitere Trainer herum, mit denen wir aber nur auf sehr seichte Weise interagieren können. Interessant sind hier aber die neuen Raids. Sie funktionieren fast genauso wie die gleichnamigen Kämpfe aus Pokémon Go, sogar mit der identischen Sterne-Bewertung. In diesen Kämpfen treten wir an sogenannten Nestern mit drei Mitstreitern gegen ein gedynamaxtes Pokémon an. Die Riesenmonster setzen besonders starke Attacken ein, können mehrfach angreifen, sich heilen oder einen Schild erzeugen.

Wir können entweder mit drei KI-Kämpfern oder bis zu drei Online-Spielern antreten, wobei letzteres fast nie zustande kommt. Vor allem die Fünf-Sterne-Raids werden ohne reale Mitkämpfer relativ knifflig, denn sobald die Pokémon viermal besiegt wurden, schmeißt uns das Spiel wieder aus dem Nest heraus. Wenn wir das Raid-Pokémon schlagen, dürfen wir es zur Belohnung einfangen. Außerdem bekommen wir noch nützliche Items wie EP-Bonbons und technische Platten (TP), Attacken-CDs, die wir nur einmal verwenden können.

Außerdem können wir im Online-Modus auch noch tauschen, Liga-Karten sammeln und kämpfen. Der Wundertausch ist wieder mit dabei, heißt aber jetzt Zaubertausch. Nicht mehr mit von der Partie ist allerdings das Global Transfer System, mit dem wir gezielt nach dem Pokémon suchen konnten, das wir tauschen wollten. Dafür ist der VS-Mode etwas entschlackt worden und bietet wechselnde Online-Turniere an. Kompetitive Spieler freuen sich außerdem über einige Erleichterungen beim Pokémon-Training. Die Fleiß-Punkte und Determinant Values zur Stat-Erhöhung lassen sich besser einsehen und  mithilfe von Items wie Protein, Kalzium etc. nun auch effektiver steigern. Ebenfalls kann mit bestimmten Items das Wesen der Pokémon geändert werden, was für einen Stat-Boost sorgt. Mega-Entwicklungen und Z-Moves fallen aber natürlich weg und werden von der Dynamax-Fähigkeit ersetzt.

Pokémon Schwert und Schild: der ganz große Schritt bleibt aus

Kurzum, Pokémon Schwert und Schild sind eigentlich wirklich gute Spiele geworden. Die Galar-Region und ihre Pokémon sind wirklich hübsch geworden, vielleicht einmal abgesehen von der Naturzone. Die Zone bietet aber dafür viel Raum für Entdecker und wirkt wie ein Prototyp für etwas ganz Großes. Die Arena-Challenge ist so spannend wie jemals zuvor und auch die Charaktere fand ich persönlich größtenteils charmant.

Leider wurde aber eben auch an vielen Stellen Potenzial liegen lassen. Vor allem die allgegenwärtige National-Dex-Debatte verbunden mit den technischen Möglichkeiten des ersten Pokémons auf einer Heimkonsole sorgt am Ende für einen faden Beigeschmack. Trotzdem scheint die Reihe auf einem vielversprechenden Weg zu sein. Ob die Pokémon Company diesen Weg auch im Sinne der Fanbase beschreiten will, bleibt allerdings abzuwarten.

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Alles Bilder sind Screenshots aus Nintendos Pokémon Schwert, angefertigt von Philipp Bader.

ist Journalistik-Student an der Hochschule Hannover und hat seit dem unter anderem bei der N-Zone in Fürth und beim Lokalteil der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung einige Erfahrungen sammeln können. Ob Videospiele, Filme oder Serien - in diesen Bereichen fühlt er sich am wohlsten.


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