Martin Röll bloggte von 2002 bis 2007 auf http://www.roell.net/weblog zum Thema E-Business, Internet und Netzkultur. Als E-Business-Blogger war er einer der frühen deutschen „A-Blogger“ und hat durch seine Postings und Themen zahlreiche Diskurse in der Blogosphäre angestoßen und mitgestaltet. Damals wie heute arbeitet Martin als Coach und Unternehmensberater, im Interview spricht er über Getting Things Done, Meditation und über seine „geheimen“ Leidenschaften im Web.
Blogpiloten: Lieber Martin, fangen wir mit dem an, worüber Dich viele (bloggende) Menschen ganz lange wahrgenommen haben, genau gesagt von 2002 bis 2007. In Deiner Begründung, warum Du mit dem Bloggen aufhörst, hast Du damals geschrieben, dass der E-Business-Blogger nur zwei Prozent ausmacht und dass es da noch 98 weitere Prozent gibt. Was haben diese 98 Prozent seither gemacht? Was die frei gewordenen zwei Prozent? Martin Röll: Ich habe nach der Schließung des Weblogs zunächst so gearbeitet wie bisher: Ich war weiter als Berater und Referent zu Web 2.0 und als persönlicher Coach zu Effektivität und Getting Things Done unterwegs. Allerdings habe ich die Anzahl der Engagements und meine Arbeitszeit sehr stark reduziert. Ich habe recht viel Zeit in Cafés verbracht und war viel auf Reisen. Flickr hat einige Fotos.
BP: Also vom Fulltime Blogger zur Four Hour Workweek? Martin Röll: Ich war ja nie ein Fulltime Blogger – das Bloggen hatte einen viel geringeren Anteil an meiner Arbeit, als das von vielen wahrgenommen wurde. Aber im Prinzip: Ja. Weniger arbeiten, weniger bloggen, nur noch wichtige Dinge tun. BP: Die letzten Wochen hast Du mit Meditation verbracht. In Deinem Beruf hilfst Du Menschen dabei, Ihre Selbstorganisation und Effektivität zu steigern und hast Getting Things Done von David Allen selbst erfolgreich implementiert. Wie hängen Meditation und Produktivitätstechniken für Dich zusammen? Martin Röll: Meditation kann einem helfen, die Dinge klarer zu sehen. Es wird leichter, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden. Gleichzeitig trainiert sie Durchsetzungsfähigkeit und Disziplin – das hilft einem, getroffene Entscheidungen dann auch umzusetzen. BP: Blogger verstehen sich als Sender. Sie lesen zwar auch Blogs anderer, aber erkennen meist nicht, dass das Lesen und Reflektieren des eigenen Blogs die eigenen blinden Flecken aufzudecken hilft. Das Blog also quasi als Projektionsfläche der eigenen Reflektionen. Kennst Du den Effekt? Martin Röll: Für mich ist normalerweise das Schreiben selbst schon der Reflexionsprozess. Ich schaue mir die alten Blogeinträge fast nie an. Wenn ich es tue, finde ich sie meistens nur flach oder dumm oder töricht oder langweilig und wundere mich, dass ich so einen Unfug mal gedacht und geschrieben habe. BP: Aus eigener Erfahrung wissen viele, dass der Erfolg bei der Produktivitätssteigerung nicht unbedingt dazu führt, dass man die daraus gewonnene freie Zeit auch entspannt genießen kann. Wie schafft man es, hier die Balance zwischen Beruf und Privat herzustellen? Martin Röll: Produktivitätssteigerung wird ziemlich schnell zu einer Droge: Es fühlt einfach unheimlich gut an, viel zu schaffen. Gerade weil sich das aber so gut anfühlt, müssen wir auch das Nicht-Tun üben, sonst entwickeln wir die Gewohnheit, überall etwas tun, etwas machen zu wollen. Das ist dann das, was uns in der freien Zeit die Entspannung raubt. Ich empfehle zwei Übungen: Die erste ist: Abstand von der Arbeit. Das heißt: am Ende der Arbeitsphase wirklich aufhören zu arbeiten, auch im Kopf! Nicht weiter über Projekte, Ziele oder Aktivitäten nachdenken, sondern komplett aufhören und voll in der Nicht-Arbeitszeit präsent sein. Das ist gar nicht so schwer. Ein Selbstorganisationssystem kann einem zum Beispiel helfen, die Gedanken loszulassen, ohne dass Angst entsteht. Die zweite Übung ist Nicht-Aktivität. Das heißt nicht Faulenzen! Es geht darum, unverplante Zeit zu erleben, in der nichts zu tun ist und in der es nichts zu erreichen gibt. Also nicht: Freizeitaktivitäten, nachdenken, Pläne schmieden, Freunde treffen usw. Sondern völlig zur Ruhe kommen und schauen, was passiert. Wenn wir das tun, stellt sich Balance von selber ein. BP: Bleiben wir beim Thema: Im Vorgespräch haben wir uns länger darüber unterhalten, wie Stimmen und Stimmungen zusammenhängen. Also wie z.B. die eine Stimme in einem selbst sagt: „Ich muss ABC unbedingt erledigen!“ die andere Stimme aber sagt: „Ich will lieber zuerst XYZ machen“. Gleichzeitig fühlen wir uns aber vielleicht nach „Spaziergang im Wald mit dem oder der Liebsten“. „Müssen, wollen, fühlen“. Ist die Kakofonie dieser Stimmen und Stimmungen für Webworker nicht das eigentliche Problem? Martin Röll: Diese Stimmen im Kopf sind nicht das Problem. Sie sind einfach ein Zeichen dafür, dass Du ein Mensch bist. Wir sind alle voller unerfüllter Wünsche, schwankender Gefühle und wirrer Zielkonflikte. Das ist kein Problem, das ist menschlich. Das Problem ist Deine Beziehung zu diesen Stimmen: Wenn Du ihnen den ganzen Tag lauschst und ihnen folgst, dann bekommst Du wirklich ein Problem: Im Büro denkst Du: „Oh, ich wäre so gerne im Wald.“ Beim Spaziergang im Wald denkst Du „Oh, ich muss im Büro noch…“. Das ist nicht sehr geschickt: Deine Arbeit wird schlechter werden und Deine Liebste auch nicht sehr froh mit Dir sein. Es gibt nur einen Weg da raus: Präsenz. Nimm die Stimmen wahr, aber beachte sie nicht zu sehr. Sei da, wo Du bist, voll präsent. Beim Arbeiten: nur Arbeiten. Beim Gehen im Wald: Nur Gehen. Die Frage ist immer die gleiche: Was ist JETZT zu tun? Tu das. Lass die Stimmen reden. BP: Welche drei Orte im Web inspirieren dich aktuell am meisten?
Martin Röll: Der Buddhist Geeks Podcast, bookmooch.com und… Facebook! Ich weiß nicht, was mich daran so fasziniert, aber irgendwie lässt es mich nicht mehr los. BP: Lieber Martin, vielen Dank für das Interview.
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Schlagwörter: blogger, e-business, Interview, martin_röll, meditation
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