Der /die Kellner/in
Bedeutung: Angestellte(r) in der Gastronomie, veraltet auch Kellerjunge, Kellerknecht.
Häufig verwendete Synonyme: Bierschubser, Getränkeschwester, Schankmoped, Serviertraktor, Tellermuli
Lebensraum: Cafés, Kneipen, Bars, Szenerestaurants, Systemgastronomie
Voraussetzungen: geschickter Umgang mit Gläsern und Tabletts, sowie diversen neurotischen Befindlichkeiten, ein sympathisches und gepflegtes Auftreten, körperliche Fitness, gutes Kopfrechenverständnis, ein stabiles Nervenkostüm, sowie ein gesundes Maß an Ignoranz gegenüber unqualifizierten Kommentaren und persönlichen Affronts
Zuletzt gehörte Sätze: „Wir zahlen alle getrennt!“, „Kann ich den Kinderwagen mitten im Gang parken?“, „Kannst Du einen 500 Euro Schein wechseln?“, „Das stimmt so“ (Definitionsfrage), „Habt ihr auch Sojamilch?“, „Kann ich meinen Caesar Salat auch mit Balsamico-Dressing und ohne Hähnchen haben?“
Verdienstmöglichkeiten: ab 7 Euro /Stunde, Trinkgeld inzwischen Glückssache
Zugegeben, die Fabel des ewig kellnernden Studenten ist längst hyperpräsente Realität. Die fixe Idee von schnellem Reichtum per überaus grosszügigen Trinkgeldern leider nur noch eine Mär aus dem Deutsche-Mark-Land. Hier geht’s weiter…
Doch trotz der nicht enden wollenden Rennerei und Putzerei, ewig fleckigen Schürzen und des oftmals aufreibenden „Service am Gast“ ist ein Rendezvous mit Kellnermesser und Handfeger jedem zumindest temporär zu empfehlen.
Denn im bunten Zoo der Gastronomie hat jeder sozial- und gesellschaftswissenschaftlich Versierte seine helle Freude: nirgendwo kann man seine lieben Mitmenschen authentischer und unverstellter studieren, als im eigenen Tisch-Revier.
Und mit der Zeit dämmert es dem Kellner-Kopf, dass er neben seiner Funktion als Dienst-Leistender auch noch Butler, Blitzableiter, Freiwild und Projektionsfläche für seine hungrigen, durstigen und zerstreuungssüchtigen Gäste ist.
Man macht Bekanntschaft mit den absurdesten Allergien, den sinnentleertesten Bestellungen und gesellschaftlichen Entgleisungen, bei denen sich unser geschätzter Freiherr Knigge im hübsch gemachten Grabe umdrehen würde.
Man observiert kulinarische Trendwenden und die neusten Diätwunder. So verloren wir die Apfelschorle an das Rhabarber-Lager, das Kännchen Kaffee an den Soja-Latte und den Prosecco an Aperol. Spindeldürre Weibchen entwickelten über die Jahre kollektive Weizenunverträglichkeiten und das Salat-Dressing wurde kategorisch abbestellt. Der Schraubverschluss auf Weinflaschen verschliesst nun nicht mehr nur billigen Lambrusco, sondern gibt geltungssüchtige Pseudo-Sommeliers am Tisch der Kork-Lächerlichkeit preis.
Nach einer Weile Schürzen-Dienst lernt man, die Befindlichkeiten seiner Gäste innerhalb weniger Augenblicke einzuschätzen und sich in delikate Hierarchiegefüge einzuordnen. Jungen Kellnerinnen geht schnell auf, dass ein gewisser Schlag Herren ihre Bestellung bevorzugt ins Dekolletè nuscheln, ungeachtet der An- oder Abwesenheit ihrer derzeitigen Herzensdamen. Und Barmänner erhellt zu fortgeschrittener Stunde die Einsicht, dass das Privileg hemmungs- und stilloser Avancen längst nicht mehr nur der Adam-Garde vorbehalten ist.
Trotz oder vielleicht gerade wegen dieses Karnevals der unverstellten Interaktion unter (Un)gleichen, wird der Kellner-Job allzu oft zu einem Bermudadreieck für einstmals ehrgeizige Köpfe. Die Verlockung einer abwechslungs- und bewegungsreichen Tätigkeit, mit klar definierten Arbeitsabläufen und stetem Bargeldfluss, scheint einfach zu gross für all jene, die eigentlich „etwas ganz anderes machen wollen“, „eine Auszeit zwischen zähen Prüfungsphasen brauchen“ oder gerade „nichts besseres finden“. Und so wird das, was eigentlich als Übergangs- oder Ausgleichstätigkeit geplant war, oft zu einer neverending Teller-story.
Aber bekanntlich hält ja nichts länger als ein Provisorium. Jaja.
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Schlagwörter: Gastronomie, Kellner, Kellnerin
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