Online-Aktivismus – Fluch oder Segen?

Politik findet heutzutage nicht mehr nur im Bundestag statt. Viele Menschen haben klare Meinungen und Stimmen, die gehört werden wollen. Der Aktivismus bietet ihnen die Möglichkeit von der klassischen Politik gehört zu werden, Forderungen zu stellen und Missstände aufzuzeigen. Jeder, der das möchte kann (und sollte) politisch sein. Demonstrationen, Mahnwachen, Menschenketten und Sitzblockaden sind dabei ein wichtiges Mittel. Doch es gibt auch viele verschiedene Arten sich online zu engagieren. Der Online-Aktivismus wächst immer mehr. Auch Fridays for Future oder die Black Lives Matter Bewegung sind viel online unterwegs. Anhand von diesen zwei Beispielen möchte ich mir im Folgenden anschauen, was Online-Aktivismus so alles kann und auch wo seine Schwächen liegen.

Was ist Aktivismus?

Klären wir zuerst einmal, was unter Aktivismus im Allgemeinen zu verstehen ist. Der Duden sagt Aktivismus ist aktives Verhalten, fortschrittliches zielstrebiges Handeln und Betätigungsdrang. Ein Aktivist wird auf Wikipedia als eine Person, die in besonders intensiver Weise für die Durchsetzung bestimmter Ziele eintritt definiert. Ich würde Aktivismus als eine Form des politischen Handelns bezeichnen, durch die man auf Missstände hinweist und vor allem aktiv dagegen vorgeht. Es gibt unterschiedliche Arten des Aktivismus mit einer breiten Bandbreite. Wo Aktivismus jedoch anfängt und wo er aufhört, ist schwer zu definieren. Klar ist jedoch, dass Aktivismus auftritt, wenn es ein Problem, eine Ungerechtigkeit und dadurch große Unzufriedenheit in der Bevölkerung gibt. Zwei dieser Probleme sind momentan sehr aktuell: Klimawandel und Rassismus. Für beide Probleme gibt es aktivistische Bewegungen.

Aktivismus gegen den Klimawandel: Fridays for Future

Fridays for Future sind vor allem für eins bekannt: ihre Klimastreiks, die weltweit regelmäßig stattfinden. Auch in den meisten deutschen Städten kann man freitags Demonstranten beobachten, die mit Parolen, wie „What do we want? – Climate Justice! When do we want it? – Now!“ und Plakaten durch die Straßen ziehen. Doch auch online ist die Klimaschutzbewegung präsent.

Social Media

Fridays for Future ist auch auf allen gängigen Social Media Plattformen aktiv. Dabei haben die meisten Ortsgruppen eigene Accounts, in denen sie über die Ziele und auch Errungenschaften in der jeweiligen Region informieren. Außerdem halten sie ihre Follower dort auf dem Laufenden, wenn sie mit örtlichen Politikern oder Behörden diskutieren oder ihre Meinung zu lokalen klimapolitischen Themen abgeben. Natürlich gibt es hier auch Informationen zu anstehenden Streiks. 

Es gibt auch viele Influencer, die Fridays for Future unterstützen und auf die Bewegung aufmerksam machen. Auch als Einzelperson könnt ihr auf Social Media Informationen zu Themen teilen, die euch am Herzen liegen und dazu aufrufen an Demonstrationen teilzunehmen. Social Media ist also ein Tool, durch das jeder einzelne von uns ohne viel Aufwand aktiv werden kann.

Im Moment kann es leicht passieren, dass man das Gefühl bekommt, FFF hätte sich zurückgezogen oder wäre nicht mehr so aktiv wie vorher. Auch wenn die Bewegung an Medienpräsenz verloren hat, ist sie immer noch aktiv und kämpft für ihre Ziele. Der Hashtag #FightEveryCrisis macht momentan seine Runden. Damit wollen die Aktivisten und Aktivistinnen zeigen, dass es nicht nur eine Krise gibt, die wir im Moment bewältigen müssen. Die Klimakrise betrifft und gefährdet auch jeden von uns. Sie sollte mit dem gleichen Eifer bekämpft werden, mit der auch die Coronakrise angegangen wird.

Social Media kann also als Tool des Online-Aktivismus benutzt werden, um auf den Offline-Aktivismus aufmerksam zu machen. Genauso aber auch, um zu informieren und über Problematiken aufzuklären. Es scheint ein kleiner Schritt zu sein, doch zumindest für den Anfang ist er dennoch wirksam. Vielen ist mittlerweile bewusst, dass der Klimawandel ein ernsthaftes Problem darstellt. Bei anderen Themen ist das nicht der Fall. Wenn jedoch auch für solche Themen Aufmerksamkeit gewonnen wird, hilft das sehr das Problem zu lösen. Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung!

Profilbildgenerator

Ein Tool, das FFF für die großen bundesweiten oder globalen Streiks entwickelt hat, ist der Profilbildgenerator. Mit diesem könnt ihr eurem Profilbild auf Instagram, Whatsapp und Co. einen Rahmen verpassen, der zeigt, dass ihr beim nächsten großen Streik dabei seid. Auch das ist eine sehr simple, aber doch wirksame Art auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Ihr setzt damit ein Statement und positioniert euch eindeutig. Im Idealfall führt das dazu, dass ihr andere dazu inspiriert selbst mitzumachen. Auch den Profilbildgenerator benutzen viele Influencer mit großer Reichweite.

Netzstreik fürs Klima

In Zeiten von Corona ist Online-Aktivismus wichtiger als je zuvor. Große Versammlungen, wozu Demonstrationen und Kundgebungen gehören, waren nicht mehr erlaubt. Auch der globale Klimastreik am 24.04 konnte nicht wie geplant stattfinden. Damit die Klimakrise jedoch während der Coronakrise nicht in Vergessenheit gerät, wurde der Netzstreik fürs Klima ins Leben gerufen. Auf einer Onlinekarte haben sich rund 87.000 TeilnehmerInnen als digitale DemonstrantInnen eingetragen. FFF rief auch dazu auf die Plakate in Fenster oder an öffentliche Orte zu hängen, um Präsenz zu zeigen. Bilder der Plakate wurden online gepostet. Am Tag des Streiks gab es einen großen Livestream mit unterschiedlichen AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen. In vielen Städten gab es außerdem Sammelstellen für Streikschilder, welche öffentlich ausgestellt wurden. In Berlin war an diesem Tag die Wiese vor dem Bundestag mit rund 10.000 Plakaten bedeckt. Damit sollte gezeigt werden, dass die Demonstranten präsent sind, auch wenn sie nicht vor Ort sein können.

Webinare

Während der Coronakrise hat FFF außerdem zahlreiche Webinare organisiert. Da die Reden auf Streiks nun wegfallen und die Schulen dabei versagen ausreichend über die Klimakrise und Lösungen dafür zu unterrichten, gab es ab Mitte März Live-Streams auf YouTube. Viele bekannte Gesichter und Organisationen wurden hierzu eingeladen. Von Experten wie Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Prof. Dr. Maja Göpel, über Politiker wie Erik Marquardt, Künstler wie Henning May oder Katja Riemann bis hin zu Influencern wie Louisa Dellert, war alles dabei. Auch Greta Thunberg selbst hat eines der Webinare abgehalten. Dabei wurde eine breite Bandbreite an Themen besprochen. Diese Art des Online-Aktivismus, von FFF ausgehend, hilft bei der Aufklärung.

Vor allem über Themen wie die Klimakrise gibt es bei vielen Menschen noch viel Unklarheit. Informationen bringen Licht ins Dunkel und lassen erkennen, dass das Thema ernst ist und dass Handlungsbedarf besteht. Auch wenn vermutlich hauptsächlich Menschen an den Webinaren teilgenommen haben, die sich bereits für das Thema interessieren werden diese eventuell dazu animiert in Zukunft aktiver zu handeln. Auf Social Media auf das Thema aufmerksam zu machen, entsprechende Petitionen zu unterschreiben, Diskussionen zu führen oder an Streiks teilzunehmen. Die Webinare wurden auch alle auf dem YouTube Channel von Fridays for Future DE hochgeladen.

Aktivismus gegen Rassismus: Black Lives Matter

Durch die Ermordung von George Floyd am 25. Mai in Minneapolis ist auch die Aktivistenbewegung Black Lives Matter wieder in den Fokus der Allgemeinheit gerückt. Die Bewegung wurde 2013 nach der Freisprechung von Trayvon Martin´s Mörder gegründet. Ihre Mission ist es gegen White Supremacy vorzugehen und staatliche und polizeiliche Gewalt gegen People of Colour entgegenzuwirken.

Hier haben wir euch bereits gezeigt, was ihr jetzt tun könnt.

Hashtag-Aktivismus

Hashtag-Aktivismus ist eine relativ neue Art des Online-Aktivismus. Twitter war die erste Social Media Plattform, die Hashtags zur Schlagwortsuche 2007 eingeführt hat. 2010 folgte Instagram. Mittlerweile ist das Rautezeichen nicht mehr nur ein Mittel zur Schlagwortsuche. Beispiele wie #metoo oder #blacklivesmatter zeigen, dass durch Hashtags Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Probleme gerichtet werden kann.

Hashtagbild von PaHa via Adobe Stock

#Blackouttuesday

Am Dienstag, den 2. Juni konnten wir auf Instagram überall schwarze Bilder sehen. Die Aktion, mit dem Hashtag #blackouttuesday stammt nicht von Black Lives Matter selbst. Die Musikindustrie hat mit dem Hashtag #TheShowMustBePaused dazu aufgerufen, an diesem Dienstag in Gedenken an George Floyd, Breonna Taylor und Ahmaud Arbery sowie anderer Opfer rassistisch motivierter Gewalt, zu ruhen. Diese Art des Online-Aktivismus soll zum Innehalten und Nachdenken anregen. Plattenlabels wie Warner Records nahmen an der Aktion teil und viele US-Radiosender und Musiksender stellten ihr Programm für 24 Stunden ein. Viele Prominente nahmen teil, indem sie ein völlig schwarzes Bild posteten.

Es gab jedoch auch viel Kritik. Viele Teilnehmer haben neben dem #blackouttuesday auch den #blacklivesmatter Hashtag genutzt. Auch wenn die Nutzer dieser Hashtags gute Intentionen haben, führt es dazu, dass Posts, die tatsächlich Informationen liefern in der Masse der Inhalte untergehen. Der Hashtag wird dadurch mit schwarzen Bildern verstopft. Es wurde auch die Kritik laut, dass die Aktion nicht wirklich etwas bringen würde, sei sie vor allem dazu da, dass Firmen sich gut positionieren und Einzelpersonen ihr durch Untätigkeit hervorgerufenes schlechtes Gewissen stillen können. Aufmerksamkeit hat die Initiative trotzdem geschaffen. Auf Instagram allein kamen bis 18Uhr mehr als 14 Millionen Posts zusammen.

Wie funktioniert Hashtag-Aktivismus? Und funktioniert er überhaupt?

Hashtag-Aktivismus ist zunächst immer eine Online-only-Initiative und dadurch für viele Menschen sehr zugänglich. Es kostet kaum Zeit oder Aufwand einen Post mit einem Hashtag zu versehen, wodurch es weniger Hemmungen gibt daran teilzunehmen. Das kann jedoch auch zum Problem werden. Dadurch, dass so gut wie jeder mitmachen kann, machen das auch viele ohne irgendeinen Mehrwert zu liefern. Das kann schnell heuchlerisch wirken. Wenn jedoch die Online-only-Initiative in den Offline-Bereich überschwenkt und in die Köpfe der Leute gelangt, ist das Ziel erreicht.

Außerdem geraten Hashtags schnell wieder in Vergessenheit. Ein Hashtag wird zum Trend und eine kurze Zeit lang springen viele darauf auf. Es liegt jedoch in der Natur eines Trends, dass dieser schnell wieder vorübergeht. Zurück bleiben die Aktivisten, die auch vorher bereits gegen das Problem angekämpft haben und es auch nachher noch tun werden. Der breite Mainstream fällt jedoch weg. In der relativ kurzen Zeit, in der ein Hashtag also populär ist, muss ein Umdenken oder ein Erkennen in den Köpfen der Menschen stattfinden, die ihre Sichtweisen nachhaltig verändern.

Auch wenn es also auch mit dieser Form des Online-Aktivismus Probleme gibt, kann sie trotzdem hilfreich sein. Das sieht man an #blacklivesmatter sehr gut. Auch wenn dieser Trend vermutlich leider irgendwann wieder abflachen wird, wie er auch nach 2013 abgeflacht ist, beschäftigen sich im Moment sehr viele Menschen mit ihrem eigenen Verhalten. Das kann dazu führen, dass auch in Zukunft mehr auf Alltagsrassismus geachtet und im Idealfall darauf hingewiesen wird. Viele Weiße sind sich der White Supremacy endlich richtig bewusst.

Einen umfassenden Artikel zu Hashtags von zeit online findet ihr hier.

Petitionen

Auch Petitionen sind ein hilfreiches Tool des Online-Aktivismus. Das Internet gibt uns die einmalige Chance, viele Menschen auf einmal zu erreichen. Natürlich gab es bereits früher Petitionen, doch war es damals um einiges schwerer, viele Unterschriften zu sammeln. In Deutschland gibt es Petitions-Netzwerke, wie change.org, Campact und andere, bei denen sich täglich hunderte von Menschen engagieren. Durch die Teilnahme Tausender Menschen, können Petitionen zu einem öffentlichen Dialog führen. Je mehr Unterschriften, desto mehr mediale Berichterstattung und desto größer der Druck auf Entscheidungsträger. Petitionen sind also vor allem dazu da, Druck auf Entscheidungsträger auszuüben und diese damit zum Handeln zu bewegen.

Auch gegen Rassismus und Polizeigewalt gibt es unzählige Petitionen. Black Lives Matter hat eine Liste von Petitionen zusammengestellt, die ihr unterschreiben könnt.

Dieser sogenannte Klicktivismus steht jedoch auch in der Kritik. Ähnlich wie auch bei den Hashtags gibt es hier die Kritik, dass das reine Unterschreiben von Petitionen wenig inhaltliche Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema verlangt. Dieses Phänomen nennt sich auch Slacktivismus. Das Wort setzt sich aus den englischen Begriffen „slack“ (bummeln, Flaute, Stillstand) und „activism“ (Aktivismus) zusammen.

Brauchen wir Online-Aktivismus?

Der Online-Aktivismus hat also seine Vorteile, aber eben auch Nachteile. Es geht schnell und einfach, einen Hashtag zu benutzen oder eine Petition zu unterschreiben. Durch das Internet werden außerdem viel mehr Leute erreicht wie offline. Es kann also gut auf eine bestimmte Problematik aufmerksam gemacht werden. Jedoch ist auch die Kritik stichhaltig, dass der Online-Aktivismus sehr schnelllebig und trendbasiert ist und dadurch oft schnell wieder an Wirksamkeit verliert. Außerdem verlangt er oft keine thematische Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema. Gerade in den letzten Monaten, als Offline-Aktivismus schlichtweg kaum möglich war, bot die digitale Alternative jedoch viele Möglichkeiten.

Auch wenn der Online-Aktivismus also sehr hilfreich sein kann, sollte man aufpassen, dass man ihn nicht nur benutzt, um das eigene Gewissen zu erleichtern oder einem Trend zu folgen. Eine Kombination aus Offline- und Online-Aktivismus scheint mir die beste Lösung zu sein.

Man könnte argumentieren, dass viele Arten des hier aufgezeigten Online-Aktivismus überhaupt nicht als Aktivismus angesehen werden können. Wenn wir uns die Definition eines Aktivisten von Wikipedia anschauen mag das stimmen. Dort heißt es, ein Aktivist sei eine Person, die in besonders intensiver Weise für die Durchsetzung bestimmter Ziele eintritt. Das Unterschreiben einer Petition oder das Teilen eines Posts mögen keine besonders intensive Weise sein sich zu engagieren, doch meiner Meinung nach sind sie immer noch besser als nichts zu tun. Wo Aktivismus also beginnt und wo er aufhört ist eine Frage, auf die es nur subjektive Antworten gibt und wir müssen alle für uns selbst entscheiden inwieweit wir aktiv werden wollen. 


Titelbild von Daniel Berkmann via Adobe Stock

Image von PaHa via Adobe Stock

Anna Klaffschenkel ist Teil der Netzpiloten-Redaktion und interessiert sich für alles rund um die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Politik.


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