Chatprotokoll: Kai-Jürgen Lietz vom Entscheiderblog

Gast der letzten Blogsprechstunde vor der Sommerpause war am vergangenen Mittwoch Kai-Jürgen Lietz vom Entscheiderblog.

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Moderator: Hier kommt die erste Frage:

Kaiser: Wie arbeitet ein Entscheidercoach genau?

Kai-Jürgen Lietz: Ich arbeite mit meinen Kunden an immer genau drei Fragen:
1. Wie schaffe ich Entscheidungsklarheit? Das heißt, was will ich wirklich?
2. Wie sorge ich für attraktive Entscheidungsalternativen?
3. Wie sichere ich mir die größtmögliche Zustimmung für die Umsetzung meiner Entscheidungen?
Um diese drei Fragen dreht sich meine ganze Arbeit.

Mariachi: Ich habe bisher noch nicht gewusst, dass es Entscheidercoachs gibt – ist der Beruf so selten?

Kai-Jürgen Lietz: Jupp! :-)

Moderator: Gibt es Gründe dafür, wenn wir fragen dürfen :-)?

Kai-Jürgen Lietz: Das frage ich mich auch immer wieder. Es gibt natürlich eine Menge Psychologen, die ein Entscheidungscoaching anbieten. Aber das hat nicht so sehr viel mit meinem Thema zu tun. Da geht es mehr darum, den Entscheider überhaupt zu Entscheidungen zu bringen. Bei mir geht es darum, Entscheidungen erfolgreich zu treffen. In Deutschland gibt es ansonsten noch drei Kollegen, die sich mit dem Thema befassen und das ist dann natürlich eine ganz interessante Alleinstellung. :-)

Bernd: Brauchen Unternehmen wirklich einen Entscheidungscoach? Eigentlich wissen doch die Verantwortlichen selbst am Besten, was sie wollen, oder?

Kai-Jürgen Lietz: Das habe ich als junger Unternehmensberater auch gedacht. Nachdem ich dann mehr als zehn Jahre Entscheider live erleben durfte und auch gesehen habe, wie leicht Entscheider zu manipulieren sind, wollte ich daran etwas ändern. Und voilá – der Entscheidercoach war geboren!

Moderator: Das Thema wurde gerade gestreift, vielleicht noch einmal die präzise Frage eines Users:

MacOs: Mir kommt ein Entscheidercoach eigentlich wie ein Unternehmensberater á la McKinsey vor, oder täuscht das?

Kai-Jürgen Lietz: Das täuscht wirklich! Denn ich arbeite mit Entscheidern eine kurze Zeit zusammen, weil es ja nun wirklich keine Raketenwissenschaft ist, gute Entscheidungen zu treffen. Die Jungs von McKinsey leben ein Stück weit von ihrem Nimbus. Entscheider engagieren sie, um unbequeme Entscheidungen rechtfertigen zu können, während ich einen anderen Ansatz fahre. Entscheider sollen selbst die Entscheidungen treffen und sich dafür auch glaubhaft vor ihre Mitarbeiter stellen.

Joe: Was findest du besonders schwierig beim Coachen?

Kai-Jürgen Lietz: Als Coach bist Du immer der Spiegel Deines Kunden. Oft siehst Du die Lösung schon lange vor ihm, darfst aber nichts sagen. Das ist eine große Herausforderung.

g!nger: Wie weit greifst du tatsächlich in Unternehmens-Abläufe ein?

Kai-Jürgen Lietz: Gar nicht! Das ist nicht meine Aufgabe. Meine Kunden wissen viel besser über ihr Unternehmen Bescheid. Ich kann ihnen nur helfen, ihre Entscheidungen erfolgreich zu treffen. Das ist aber kein inhaltlicher Input von meiner Seite.

oOsa: Fallen dir spontan Unternehmens-Entscheidungen ein, bei denen du dir an den Kopf gefasst hast :-)?

Kai-Jürgen Lietz: Dazu darf ich leider nichts sagen. Es gibt zwar keine Berufsethik für einen Beruf ohne Verband, aber wenn ich es tun würde, brauche ich nach Kunden nicht mehr zu fragen.

fEE: Was für Kunden hast du so? Eher kleine/mittelständische Unternehmen oder auch richtig große?

Kai-Jürgen Lietz: Ich coache Einzelpersonen. Das sind dann Unternehmer, Führungskräfte und Selbstständige. Zum aller größten Teil sind diese aber in mittelständischen Unternehmen zu finden, weil die wenigsten bereit wären, privat für ein Coaching Geld auszugeben. Und wer sich wegen eines Entscheidercoachings in einer großen Company an die Personalabteilung wendet, braucht sich wegen seiner Karriere keine Sorgen mehr zu machen :-(

V-Bot: Was sollen kleine Unternehmen machen, die sich keinen Coach leisten können, aber Angst vor (vielleicht weit reichenden) Entscheidungen haben?

Kai-Jürgen Lietz: Die können zum einem mein Buch lesen und zum anderen sind die Kosten für ein Coaching überschaubar, weil ich ja nur eine gewissen Zeit mit meinen Kunden zusammenarbeite. Durchschnitt sind derzeit 24 Coachingstunden, Tendenz fallend, weil ich irgendwie mit der Zeit auch immer besser werde :-)

Lous: Wie „nachhaltig“ ist dein Coaching denn? Im Prinzip muss man ja nur einmal richtig lernen, Entscheidungen zu treffen und macht es im Idealfall dann immer so, wie es sein soll, oder?

Kai-Jürgen Lietz: Ich rufe in regelmäßigen Abständen bei meinen Kunden nach dem Coaching an, 3 Monate, 9 Monate und danach eigentlich nicht mehr. Im Regelfall sind die Kunden dann noch sehr begeistert, wobei ich dann durch Nachfragen auch dahinter komme, dass oft die Situation noch stärker ist als die guten Vorsätze. Aber der Anruf reicht dann in der Regel schon, den Kunden auf den Pfad der Tugend zurückzubringen. :-)

fEE: „Coachen“ klingt für mich immer auch ein bisschen nach Psychologie, spielt das eine große Rolle?

Kai-Jürgen Lietz: Ja und nein. Ich habe ganz am Anfang meiner Berater-Karriere durch meinen Vater eine Schulung in sinnzentrierter Psychologie nach Viktor E. Frankl bekommen. Aber ich verlasse mich beim Coachen mittlerweile mehr und mehr auf meine Intuition.

Moderator: Zwei Fragen, die in die gleiche Richtung gehen:

Hilde: Wie wird man denn zu einem Entscheidercoach?

berry: Welche Ausbildung haben Sie als Entscheidercoach?

Kai-Jürgen Lietz: Bei mir war es zunächst einmal die Passion für das Thema. An der Uni fand ich Entscheidungstheorie und Spieltheorie hoch spannend. In der Unternehmensberatung meines Vaters durfte ich das dann bei mittelständischen Geschäftsführern ausprobieren und ich habe niemals wieder Menschen so schnell mit den Augen rollen sehen :-) Ich musste erst einmal lernen, dass ich damit nicht die wahren Entscheidungsprobleme der Menschen anspreche. Daher habe ich das Thema erst einmal ad Acta gelegt und mich mit anderen Aspekten der Beratung auseinander gesetzt. Ich habe allerdings jedes Jahr jede Menge Weiterbildungen zu NLP usw. besucht, weil ich wissen wollte, was Menschen bewegt. Als mich dann entschlossen hatte, Entscheidercoach zu werden, brauchte ich erst einmal einige Versuchskaninchen, um zum Kern der Sache vorzudringen.
Heute kann ich nicht wirklich sagen, was im Einzelnen mich dazu befähigt, diesen Beruf auszuüben. Es hat wohl auch mit der Erfahrung als Berater zu tun, durch die ich ein sehr gutes Verständnis für alle möglichen Aspekte unternehmerischen Handelns bekommen habe.

Julia: Ist dein Beruf nicht mit extrem viel Verantwortung verbunden? Wenn du z.B. zu einer falschen Entscheidung rätst?

Kai-Jürgen Lietz: Zum Glück nicht! Denn ich rate ja zu keiner Entscheidung. Das macht der Entscheider selbst. Ich helfe ihm nur dabei, herauszufinden, was er wirklich will, attraktive Alternativen für seinen Bedarf zu entwickeln und sich dann noch die notwendige Unterstützung zu sichern. Das geht im Übrigen nur, bevor ich Tatsachen durch eine Entscheidung geschaffen habe.

Janis: Gibt es ein paar einfache Regeln, wie man zu guten Entscheidungen kommen kann?

Kai-Jürgen Lietz: Klar! Aber damit wiederhole ich mich:
1. Wissen, was Dein Bedarf ist => Die meisten orientieren sich immer gleich an den Alternativen und leiten davon ab, was Sie angeblich wollen.
2. Eigene Alternativen zum Bedarf schaffen. Wenn ich meinen Bedarf nicht kenne, werde ich daran scheitern.
Tja, und dann noch die Unterstützung sichern. Da ist es spannend, dass es relativ einfach funktioniert, alle auf ein Ziel einzuschwören, bevor eine Entscheidung getroffen wurde. Aber wenn die Entscheidung einfach mal so ohne Vorgespräche verkündet wird, dann fühlen sich die von den einzelnen Maßnahmen Betroffenen so „pissed“, dass sie über Ziele nicht reden wollen. Ein Beispiel dafür?

Moderator: Gerne!

Kai-Jürgen Lietz: Ok! Ein Unternehmen hat Qualitätsprobleme. Ein internes Gremium findet heraus, dass es an der Zusammenarbeit der Abteilungen liegt. Daher möchte man die Abteilungen restrukturieren und die Mitarbeiter auf neue Positionen setzen, die dann eben teilweise in anderen Abeilungen liegen. Als Geschäftsführer kann ich jetzt einfach die Entscheidung verkünden, wer in Zukunft wo arbeitet. Oder ich kann mit den Betroffenen vorab sprechen und sie dafür gewinnen, dass wir ja alle stolz auf die Qualität unserer Produkte sein wollen. Die Erfahrung zeigt, dass die Betroffenen auf diese Weise zu Beteiligten werden und die Einzelmaßnahmen unterstützten, obwohl sie es sonst nicht gemacht hätten.

redondo: Wie geht man mit Fehlentscheidungen um?

Kai-Jürgen Lietz: Das kommt darauf an, welche Art von Fehlentscheidung Du meinst. Es gibt ja zwei Arten:
Die Eine ist die, wo Du von mehreren Alternativen die objektive Falsche wählst und danach denkst: „Wie konnte mir das nur passieren.“ Das ist aber der relativ seltene Fall.

Viel häufiger ist die Art von Fehlentscheidung, wo der Entscheider die so genannte „goldene Alternative“ gar nicht gesehen hat. Er wählt dann eine andere in seiner Unkenntnis und wird wahrscheinlich auch nie davon erfahren. Es ist klar, dass es keine Statistiken über die zweite Art der Fehlentscheidung gibt. Aber bei meinen Vorträgen schätzen die Teilnehmer, dass sie etwa 70% Ihrer Entscheidung solche Fehlentscheidungen treffen.

Zur ersten Art: Korrigieren, wenn möglich und ansonsten daraus lernen. Zur zweiten Art: Das eigene Entscheidungsverhalten verändern. Top-Entscheider sind Regelbrecher. Sie lassen sich Entscheidungssituationen niemals aufzwingen. Ein Beispiel?

Moderator: Sehr gerne.

Kai-Jürgen Lietz: Ich nehme dafür gerne ein Rätsel. Stellt Euch vor, nach einem großen Sturm fahrt Ihr mit Eurem zweisitzigen Coupé an einer Bushaltestelle vorbei. Dort steht eine alte Frau, die offensichtlich ins Krankenhaus möchte, Eurer bester Freund, der Euch schon aus zahlreichen Problemen geholfen hat und die Frau Eures Lebens. Wen werdet Ihre mitnehmen?

Die alte Frau: Euer Gewissen ist zufrieden, aber der Freund nicht und Ihr seht die Frau Eures Lebens nicht wieder.
Den Freund: Ein schlechtes Gewissen gegenüber der alten Frau und die junge Frau seht Ihr auch nie wieder.
Die junge Frau: Schlechtes Gewissen gegenüber der Alten und die junge Frau hält Euch für einen Asozialen und Euer Freund wird auch nicht zufrieden sein.

Die Lösung könnte hier sein, dass wir dem Freund die Schlüssel in die Hand drücken. Der fährt dann die alte Frau ins Krankenhaus und wir warten mit der jungen Frau auf den Bus. Ein anderer Entscheider würde vielleicht sagen, dass er erst einmal mit dem Freund spricht und für Verständnis wirbt und danach auf die junge Frau zugeht und Ihr sagt, dass Sie die Frau seines Lebens ist und er Sie unbedingt wieder sehen muss. Danach fährt er dann die Alte ins Krankenhaus.

Moderator: Die bestbewertete Frage aus unserem PreChat, in dem die User schon vorab Fragen stellen konnten:

Nino: Welche Entscheidungen findest du persönlich am schwierigsten?

Kai-Jürgen Lietz: Ich persönlich finde Geschmacksfragen am schwierigsten, denn die entziehen sich meinen drei Fragen schon allein dadurch, dass ich nie so genau weiß, was ich wirklich will, denn das liegt in den Tiefen meines Unterbewusstseins. Bei solchen Entscheidungen wünsche ich mir dann einen Entscheidercoach, der genau das ans Tageslicht bringen könnte :-)

Moderator: Unsere letzte Frage für heute:

Gernaesa1: Wieso treffen wir so viele „schlechte“ Entscheidungen? Müssen wir anders erzogen werden, muss die Schule uns da mehr beibringen…?

Kai-Jürgen Lietz: Du triffst genau den Nagel auf den Kopf! Wir lernen häufig die falschen Ansätze. So werden wir ja schon von unseren Eltern erzogen, uns nach dem zu richten, was verfügbar ist. Und in der Schule habe ich noch gelernt, bei wichtigen Entscheidungen soll ich die Vor- und Nachteile der Alternativen einander gegenüberstellen. So ein Nonsense! Mit den Vor- und Nachteilen definiere ich unbewusst meine Entscheidungskriterien. Diese sollen aber meinen Bedarf abbilden. Was kann schon sinnvolles dabei herauskommen, wenn der Bedarf durch das Angebot definiert wird? Gleichzeitig soll ich mich auch damit abfinden, dass dies die einzigen Alternativen sein sollen und ich gar keine neue schaffen soll. Das ist nur ein Beispiel für zahlreiche Fehler in der Entscheider-Schule. Ich würde mich freuen, wenn da ein Umdenken stattfindet. Aber dazu muss jeder bei sich selbst anfangen. :-)

Moderator: So, das waren 60 Minuten Blogsprechstunde. Vielen Dank an unsere Nutzer für die vielen Fragen. Und ganz besonderen Dank an unseren Gast Kai-Jürgen Lietz. Das Protokoll dieses Chats können Sie in Kürze auf den Seiten von politik-digital.de und bei den Blogpiloten nachlesen. Das letzte Wort für heute hat unser Gast:

Kai-Jürgen Lietz: Ich hoffe ich konnte Eure Fragen so beantworten, dass Ihr einen Nutzen davon hattet. Ansonsten stehe ich natürlich auch über meinen Blog jederzeit für Fragen zur Verfügung. Ich danke Euch für die tollen Fragen und jetzt muss ich erst einmal das Loch in meinem Bauch stopfen gehen. :-)

Moderator: Wir wünschen allen noch einen schönen Abend und sagen Auf Wiedersehen!

Kai-Jürgen Lietz: Auf Wiedersehen!

ist freiberuflich als Medien- & Verlagsberater, Trainer und Medienwissenschaftler tätig. Schwerpunkte: Crossmedia, Social Media und E-Learning. Seine Blogheimat ist der media-ocean. Außerdem ist er einer der Gründer der hardbloggingscientists. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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