Letzten Dienstag startete Sarkozy einmal mehr in seiner unnachahmlichen Art einen ganzen Blumenstrauß an operativer Hektik, um Wählerstimmen einzufangen. Das Vehikel das diesmal dran glauben musste, war kein nordafrikanischen Volk sondern die Webwelt. Und so lud seine PR-Agentur allerleirauh zu einem Stelldichein der digitalen Dingsbumse. Jeff Jarvis, Googles Chefdiplomat Eric Schmidt und Wikipedia-Oberguru Jimmy Wales sowie andere Firmenlenker, die ein hübsches Feuerwerk an Marketing-Raketen bei allen Veranstaltungen im ehrwürdigen Louvre anzündeten. Die geladenen Web-Experten hatten Chancen, sich bzw. ihre Bücher an den Mann zu bringen und so verbrachte man zwei Tage auf dieselbe Art und Weise in der jeden Freitagabend ältere Schauspieler teure öffentliche TV-Produktionen und Autobiographien anpreisen. Es gab einen Livestream und kaum Diskussionen zu wesentlichen Themen, die man als sachliches Gespräch oder gar Diskurs bezeichnen könnte…
Da Politker sich seit einigen Jahren darin gerieren, als bessere PR-Agentur oder Lobbyorganisationen die Inhalte der Parteispender an den Mann und die Frau zu bringen, können die Kommunikatonsagenturen nur noch basale Dienste leisten wie die Organisation, die Einladungen und das Pampern der Gäste.
Lustig wurde es als Mark Zuckerberg vielen nordafrikanischen Bloggern und Aktivisten widersprach in Bezug auf youtube und Facebook, die Anfang des Jahres die gleichgeschalteten Medien in Tunesien ersetzten: „Facebook war weder notwendig, noch ausreichend, um die Jasminrevolution zu bewirken. Die Menschen waren es“, schnodderte der Facebook-Gründer. Wie immer bei Millionären, gefällt es ihnen besonders, die eigenen Leistungen, den eigenen Einfluß und die eigene Wirkung extrem herunterzuspielen. Das ist aus seiner Sicht verständlich, weil ein zu großer Einfluß Neider und Begehrlichkeiten befruchtet. Anders als er hatten viele Nordafrikaner das Netz genutzt um eine Transparenz herzustellen, die es vorher zumindest in Tunesien gar nicht gab. Und auch in Ägypten, dass eine bessere Presselandschaft kannte, nutzte die Jugend in der frühen Phase Facebook, youtube und twitter um Informationen schneller und direkter auszustauschen als per Zeitung oder TV.
Aber so wie Zuckerberg sein Licht unter den Scheffel stellte, versuchte sich Sarkozy in die Sonne zu rücken und mit kruden und zum allergrößten Teil lächerlichen Argumenten über die hanebüchene französische Netzpolitik der Internetsperren und aberwitzigen Urheberrechststrafen hinweg zu lächeln. Es fällt mir schwer, zu entscheiden wer einen pathologischeren Charakter hat, Berlusconi oder Sarkozy. Aber wahrscheinlich haben die Auguren recht, die in den Raum werfen, dass man nur mit einem deformierten und beschädigten Charakter das notwendige Rüstzeug hat, um an der Macht zu bleiben. Da kommt die tolle Jubelstudie von McDisney gerade recht, die das Netz als Heilsbringer für verstopfte Volkswirtschaften preist. Vernünftige Diskussionen über Sachthemen werden wir erst dann wieder im politischen Raum erleben, wenn Politiker anhand von Schlüsselindikatoren bewertet werden, die am Anfang und am Ende einer Regentschaft gemessen werden. Dann müssen allerdings auch die Deltas betrachtet werden, also die Differenzen der Einkommensentwicklung und des Vermögensanstiegs zum Beispiel oder tatsächliche Wochenarbeitszeit und die tariflich vereinbarte…
„Niemand sollte vergessen, dass die Regierungen die einzigen legitimen Repräsentanten der Bürger sind. Sonst geraten wir in Gefahr, ins soziale Chaos und in Anarchie zu verfallen“ mahnte Sarkozy. Er scheint etwas zu ahnen. Dass Menschen sich via Netz schnell und einfach selbst ein Bild von der Welt machen und es als Werkzeug nutzen, um Aktionen zu koordinieren (Schwarmintelligenz), muss denen Furcht einflößen, die Jahrzehnte des selbstlosen Unterordnens brauchten, um erst mit viel Macht im Rücken ihr wahres Gesicht zu publizieren Lustig, dass ausgerechnet das Web daran schuld sein soll, dass die Menschen ihrer Wirklichkeit tausendfach begegnen. Dann klappt es ja noch mit dem Internet als Massenvergewisserungswaffe. Schade, dass Parteien, Vereine und andere prädigitale Erfindungen um ihre Existenz bangen. Aber sie haben wohl recht.
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