Wikipedia als Newsflash für die Norwegische Tragödie

Ist Wikipedia eine Enzyklopädie, die das Wissen der Menschheit kostenfrei und wahrheitsgemäß zur Verfügung stellen soll oder ist Wikipedia ein Newsflash für Gerüchte? Die Frage beschäftigte am Wochenende viele. Die Tragödie von Norwegen war der Anlass für eine beispiellose Flut an Beiträgen mit unbestätigten Informationen.

Am Freitag gingen zwei Nachrichten um, dich mich in meinen Grundzügen erschaudern ließen. Erst der Anschlag von Oslo und im Anschluss das menschenverachtende Massaker auf der norwegischen Insel Utöya. Schnell stellte sich heraus, das eine einzige Person für beide Geschehnisse verantwortlich ist, was die Nachricht noch unglaublicher und abschäulicher werden ließ. Die Tragödie führte bei vielen zu völliger Sprachlosigkeit, Entsetzen und einem Gefühl von Ohnmacht. Allerdings führte sie bei einigen anderen auch zu einer Sensationsgier beispiellosen Ausmaßes. Man merkte in einigen Blogs und Nachrichtenkanälen das die News sich überschlugen und jeder mehr wissen wollte als der andere, schneller posten wollte als der andere und so haben sich sogar Personen und Medien zu Wort gemeldet, von denen man so eine Manier eigentlich nicht gewohnt ist.

So geschehen wurde beispielsweise bereits zwei Stunden nach der Meldung der Explosion in Oslo der Beitrag „2011 Oslo Explosion“ auf der englischen Version Wikipedias erstellt und gelistet. Da der Beitrag natürlich offen für neue Ergänzungen war, füllte er sich auch sehr rasch mit neuen Eintragungen – bestätigter und unbestätigter Informationen – einiger Autoren. Kurze Zeit später wurden auch deutsche Beiträge erstellt, die sich zwar was die Maße an Informationen angeht noch deutlich von der englischen Version absetzte, aber bereits ganz klar von den englischsprachigen Beiträgen abstammte. Dieses Vorgehen löste (meiner Meinung nach berechtigter Weise) eine große Diskussion innerhalb der Wikipedia Autoren-Community aus. Darf man Wikipedia – eine freie Enzyklopädie, die auf Fakten basieren sollte – für boulevardartige Spekulationen à la BILD-Zeitung missbrauchen? Viele Angaben gerade zum Tathergang und Motiv des Täters wurden hier ganz offen und ohne jegliche Grundlage, wie in einem Newsfeed gepostet und führten unter Lesern zu großer Verwirrung. Nicht einmal die norwegische Polizei konnte bis dato eine Stellungnahme zu dem Motiv abgeben.

Der heutige Zeitgeist verlangt es schon fast das man die Qualität der Nachricht, der Quantität hinten anstellt. Selbst von vielen Qualitätsmedien ist man das bereits gewohnt. In Manier des rasenden Reporters jagt man allen Informationen hinterher und postet, gerade auf Microblogs wie Twitter, erstmal jeden Brotkrumen den man auch nur ansatzweise bestätigt bekommen hat. Um etwaiger Kritik der Falschmeldung aus dem Weg zu gehen, hat Wikipedia vorsorglich alle Artikel am Wochenende mit dem Vermerk „Dieser Eintrag dokumentiert ein aktuelles Ereignis. Die Informationen könnten sich schnell ändern.“ versehen. Ich hoffe allerdings, dass diese Art und Weise nur eine ambulante Lösung darstellt und das man das ganze Vorgehen der „Berichterstattung“ noch einmal in Frage stellt. Artikel auf Wikipedia sollten, auch wenn sie aktuell sein sollen, einer gründlichen Prüfung voraus gehen und einen bestimmten zeitlichen Abstand zu Ereignissen einhalten. Es kann und darf nicht sein, dass so etwas wertvolles wie Wikipedia zu einem Forum für Gerüchteschreiber wird. Wikipedia ist die größte Enzyklopädie der Menscheit, eine kulturelle Errungenschaft, die komplett non-profit geführt wird und von Menschen für Menschen gemacht ist. Wikipedia ist schützenswert und sollte nicht für die Sensationgier, Profilierungssucht oder sogar der Trollerei einiger Wenigen hinhalten!

Momentaufnahmen des Footers zum Artikel „Anschläge in Norwegen 2011„. Hier wird sichtbar in welchen Abständen die Autoren ihre Informationen korrigierten. Zum Vergrößern einmal klicken!

schreibt seit 2011 für die Netzpiloten und war von 2012 bis 2013 Projektleiter des Online-Magazins. Zur Zeit ist er Redakteur beim t3n-Magazin und war zuletzt als Silicon-Valley-Korrespondent in den USA tätig.


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