Staatskünstler statt Jammerlappen

Finanzpolitische Akteure stecken lieber den Kopf in den Sand, als ihrem Job nachzugehen. Damit verspielen sie nicht zuletzt die Chancen für ein geeintes Europa.


Quittiert ein Bauer seinen Dienst, weil er eine schlechte Ernte fürchtet? Wohl kaum. Wer sich mit seiner Meinung in politischen Gremien nicht durchsetzt und deshalb seine Backförmchen in die Ecke schmeißt, kann nichts mehr gestalten. Wer sich kopflos vom Acker macht, verschlimmert die Lage. Wer als Schlaumeier außer Dienst seinen Senf ablässt, hätte es in seiner aktiven Zeit doch besser oder anders machen können. Insofern sehe ich die Demission von Jürgen Stark als Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank und Axel Weber als Bundesbankpräsident nicht als Weckruf, sondern als Fahnenflucht. Sie begreifen und beherrschen ihr wirtschafts- und geldpolitisches Metier nicht als Staatskunst. Dass die geldpolitischen Falken den Sündenfall des Ankaufs von Staatsanleihen nicht ertragen, ist nachvollziehbar. Vielleicht waren Stark und Weber in den Marathon-Sitzungen des EZB-Rates nicht überzeugend genug, um sich gegen die Linie des EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet durchzusetzen? Welche Alternativen hatten sie anzubieten? Es reicht nicht aus, nur „Nein“ zu sagen. Mit seinem spektakulären Rücktritt im Frühjahr verbaute Weber zudem jegliche Chancen, einen deutschen Vertreter an die Spitze der europäischen Geldhüter zu schicken – auch das zeugt nicht von politischer Weisheit.

Mit beleidigten Leberwürsten ist kein Staat zu machen

Bockigkeit ist kein Katalysator für geschickte Diplomatie. Den EZB-Rat zu boykottieren und die Ratifizierung der Beschlüsse für den Rettungsfonds auszusetzen, bis sich andere Spielregeln durchsetzen, wie es der liebwerteste Ökonomie-Gichtling Hans-Werner Sinn fordert, würde Deutschland europapolitisch für die nächsten Jahre kastrieren. Mit Jammerlappen und beleidigten Leberwürsten, das zeigte schon der unwürdige und weinerliche Abgang des Bundespräsidenten Horst Köhler, ist kein Staat zu machen. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor drei Jahren erleben wir in Deutschland eine erschreckende Visionslosigkeit und Visionstabuisierung der Eliten in Politik und Wirtschaft: „Nicht die Trägheit der Volksseele ist das Problem, sondern die freiwillige Entmündigung der führenden Köpfe des Landes“, bemängelt der Psychologe Stephan Grünewald.

„Einen entsprechenden Befund haben wir in unserer Studie über die mangelhafte Reformbereitschaft von Entscheidungsträgern festgestellt. Der übergreifende Sinn von Reformen wird weder gesehen noch verstanden. Reformpolitik erscheint entweder als überkomplex oder man hat den Eindruck, dass die verschiedenen Reformstränge nicht zusammenlaufen. Oft wird die Notwendigkeit einer übergreifenden Reformidee oder gesellschaftlichen Vision verneint oder ad absurdum geführt: ‚Vision – Illusion – Desillusion!‘ Die Visions-Negierung erschwert es, sich für politische Reformen zu begeistern und sie zu eigenen Anliegen zu machen“, so Grünewald, Geschäftsführer des Rheingold-Instituts in Köln.

Die Selbstentmündigung der Entscheidungsträger und ihre systematische Abkopplung von der Reformpolitik bringe sie in eine seelisch bequeme Position: Man könne alles einklagen, sei aber zu nichts verpflichtet. Das vehemente Klagen über die herrschenden Zustände und die Verlagerung des Unmuts auf höhere Instanzen kaschiere nur die eigene Unzulänglichkeit. Gleichzeitig entziehe man sich der Notwendigkeit, selber aktiv zu werden. Die Finanzkrise verstärke diese Denkhaltung und bekommt eine ungeheuerliche Dimension. „Sie erscheint wie ein Schwarzes Loch, das alles zu verschlingen droht. Das macht Menschen noch handlungsunfähiger. In diesem Schwarzen Loch können über Nacht nicht nur Gelder, sondern auch Immobilien und ganze Banken verschwinden. Zurück bleibt ein Ohnmachtsgefühl“, sagt Grünewald.

Fatal sei der um sich greifende Zweckpessimismus, der zu einer zweiten krisenhaften Bugwelle führt. Viele würden sich vorsorglich schon so verhalten, wie es die düsteren Prognosen voraussagen. Das sei alles andere als visionsfreudig. Wer sich prozyklisch verhält, kann Krisen nicht bewältigen. Besser wäre es, wenn man sich jetzt auf seine Kernwerte besinnen und stärker über Zukunftsprojekte nachdenken würde. In Deutschland sollte man nicht mit Rücktritten, Verfassungsklagen und Nihilismus reagieren, sondern ein positives Konzept für Europa anschieben.

Die Krise ist eine Chance

Die Probleme der Schuldenkrise können auch als Chance begriffen werden, endlich die politische Union voranzubringen und für die Idee der Vereinigten Staaten von Europa zu werben. Zu diesem Befund kam der Publizist und Ludwig-Erhard-Berater Rüdiger Altmann schon in den 90er-Jahren. „Der Vertrag von Maastricht, der den Weg zur Währungsunion ebnen soll und nicht einmal das Scheitern des schon bestehenden Währungssystems (EWS) verhindern konnte, schwebt inzwischen wie ein Ballon ohne Treibstoff über dieser Szene. Mehr als auf irgendeinem anderen Gebiet zeigt diese Situation, dass eine Erneuerung der Politik ihr Wachstum im supranationalen Raum und dementsprechende Funktionsordnungen verlangt. Als Altersheim der Nationalstaaten hat die Europäische Union keine Chance.“ Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger, so die Forderung des Historikers Heinrich August Winkler. Recht hat er!


Crosspost von theeuropean

ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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